Eine Bestatterin als Racheengel

Bernhard Aichner
Bernhard AichnerFotowerk Aichner
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Der Tiroler Bernhard Aichner hat mit "Totenfrau" einen Thriller von internationalem Format geschrieben. Für seine Recherchen arbeitete er in einem Bestattungsinstitut mit.

Dem Tiroler Krimiautor Bernhard Aichner ist etwas gelungen, wovon deutschsprachige Autoren normalerweise nur träumen. Sein Thriller „Totenfrau“ hat sich in sieben Ländern verkauft, darunter auch die USA und Großbritannien. Und das, noch ehe dieser Anfang März im deutschsprachigen Raum erschienen ist. In den USA wird das Buch 2015 im renommierten Stephen-King-Verlag Scribner erscheinen, auch eine Verfilmung ist bereits geplant.

Wer das Buch gelesen hat, versteht schnell, warum die Verlage zugeschlagen haben. „Totenfrau“ ist schlicht ein perfekter Thriller, der auch keinen Vergleich mit namhaften internationalen Autoren zu scheuen braucht. Auf 446 Seiten treibt Aichner seine Geschichte rund um eine Bestatterin, die zum Racheengel wird, gekonnt und rasant voran. Beim Lesen entsteht schnell das Gefühl, dass man das Buch verschlingt. Zurückzuführen ist das allerdings auch auf die über 120 Leerseiten vor den 49 Kapiteln – ohne diese wäre der Thriller eigentlich nur knapp über 300 Seiten lang.

Dass die Bestatterin Brünhilde Blum eine außergewöhnliche Titelfigur ist, wird schon auf den allerersten Seiten klar, als sie sich als Mörderin entpuppt. Doch Blum findet die große Liebe in dem Polizisten Mark, mit dem sie auch zwei Kinder hat. Sie wird zur liebenden Mutter und Ehefrau, die nur beruflich mit Leichen zu tun hat. Dann stirbt Mark bei einem Unfall mit Fahrerflucht. Schon bald tauchen Zweifel auf, ob mit seinem Tod nicht ein düsteres Geheimnis vertuscht werden sollte. Beim Lüften dieses Geheimnisses erweist sich Blum als erbarmungslos. Nicht grundlos wird Blum daher mit Stieg Larssons Kultfigur Lisbeth Salander verglichen.

Blums seelischer Defekt liegt – wie so oft – in der Kindheit begründet. Die Tochter eines Bestatter-Ehepaars muss schon als Kind Leichen waschen und deren Münder zunähen. Ihr Vater sperrt sie zur Strafe auch schon einmal in den Sarg.


Ein kalkulierter Erfolg.
Aichner erweist sich als kühler Erzähler, der seine Geschichte bis zum Ende solide und fesselnd ohne jede Schwäche darzubringen weiß. Einen Einblick in Blums Innenleben erhält man nicht, was auch die Faszination dieser Figur ausmacht. Sie wird nie richtig greifbar. Ihre innere Auswegslosigkeit, die sie zu den fürchterlichen Taten treibt, ist daher mit Voranschreiten der Geschichte nicht immer ganz nachvollziehbar.

Manchmal wird man beim Lesen das Gefühl nicht los, dass Aichner mit „Totenfrau“ einen durchkalkulierten Bestseller geschrieben hat, der darauf angelegt ist, international zu funktionieren. Das zeigt sich auch daran, dass das Buch, obwohl es in Tirol spielt, nahezu ohne Lokalkolorit auskommt. Mitunter ist das auch ganz angenehm, da der inflationäre Lokalkolorit-Boom im Krimigenre auch schon ein wenig nervt. Aichner gibt im „Kurier“-Interview offen zu: „Im Grunde ist es mir wurscht, ob aus dem Ötztaler Schnitzer ein Patschenmacher in Island wird.“ Oder aus Blum eine „Bloom“ oder „Flower“ in den USA.

Es überrascht daher wenig, dass Aichner – der aus einem Land kommt, in dem die wahren Fälle Kampusch und Fritzl für weltweite Schlagzeilen sorgten – seine Leser ausgerechnet in die Keller wohlbetuchter Männer entführt, die dort skrupellos ihren perversen Gelüsten nachgehen. Die Faszination des Grauslichen boomt zweifellos.


Aichner als Bestatter-Helfer.
Das alles kann man Aichner aber nur schwer zum Vorwurf machen. Er hat für seinen Erfolg keine Mühen gescheut und im Zuge seiner Recherchen ein halbes Jahr in einem Bestattungsunternehmen mitgearbeitet. Das war eine Bedingung der Tiroler Bestatterin, der Zusehen zu wenig war.

Außerdem ist es eines, einen Erfolg zu planen, und etwas anderes, ihn dann auch tatsächlich zu haben. Es ist letztlich legitim, vom Schreiben leben zu wollen. Der finanzielle Erfolg sei Aichner gegönnt. Denn der Tiroler ist ein hoch talentierter Erzähler, der in Zukunft seinen Fokus dann vielleicht auch mehr auf Charakterzeichnung und weniger auf plakative Horrorszenarien legen kann.

Neu Erschienen

Bernhard Aichner
„Totenfrau“

BTB Verlag
446 Seiten
20,60 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2014)

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