Zweifelhafte Bestseller: Jesus, Eiferer und die Tea Party

Jesus
Jesus(c) REUTERS (ELOY ALONSO)
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In „Zelot“ gehört Jesus den paramilitärischen Zeloten an, in „Killing Jesus“ kämpft er wie amerikanische Konservative gegen Steuern.

Jesus wurde hingerichtet. Aber die unglaubliche Geschichte hinter diesem tödlichen Kampf zwischen Gut und Böse wurde bis jetzt noch nie vollständig erzählt.“ Wenn ein Buch über Jesus so anfängt, muss man an einen publizistischen Witz denken – oder an einen Roman. Noch dazu, wenn man in dem Buch erfährt, dass Jesus als Zwölfjähriger um exakt sieben Uhr abends an einem 23. März im Tempel gelehrt hat. Die Kapitelüberschriften lauten: Bethlehem, Judäa, März des Jahres 5 v. Chr.“, „Rom, 15. März 44 v. Chr.“, „Philippi, Nordgriechenland, 23. Oktober 42 v. Chr.“ usw.

Aber das Buch „Killing Jesus“ ist nicht als Witz gedacht, wird auch nicht als solcher gelesen. Stattdessen gehörte es in den USA zu den erfolgreichsten Büchern des Jahres 2013. Der bekannte TV-Moderator Bill O'Reilly vom konservativen TV-Sender Fox News schrieb es mit dem Autor historischer Sachbücher Martin Dugard, mit dem er bereits sehr erfolgreich die Bücher „Killing Lincoln“ und „Killing Kennedy“ veröffentlicht hat.

Illusion der „wahren Geschichte“

Nun ist „Killing Jesus“ auch auf Deutsch erschienen. Es gibt sich als Sachbuch über den historischen Jesus, als „die wahre Geschichte“ aus, in dem alles auf Fakten beruhe und auf Lücken hingewiesen werde – was dann aber nicht geschieht. Der Stil ist hemmungslos romanhaft, mit Kapitelenden wie: „Jesus von Nazareth ist zu einer spirituellen Reise angetreten, zu einer Mission, mit der er die mächtigsten Männer der Welt herausfordern wird“; oder: „Einstweilen ist er ein freier Mann. Einstweilen.“

Eigentlich müsste man gar kein Wort verlieren über ein Buch, in dem Samarien 722 v. Chr. von den Philistern erobert wird (statt von den Assyrern), die Autoren beim Rechnen vergessen, dass es nie ein Jahr null gab, oder römische Quellen so behandelt werden, als wären sie unparteiische Geschichtswerke. Allerdings ist das Buch trotzdem aufschlussreich: In ihm zeigen sich wie unter dem Vergrößerungsglas die Grundprobleme der „So war Jesus wirklich“-Literatur. Sobald Autoren ein eindeutiges Bild vom historischen Jesus liefern, kann man sicher sein, dass sie ins Wunschdenken gedriftet sind. Der Jesus aus „Killing Jesus“ etwa passt wunderbar in die Agenda US-Konservativer, er bekämpft so auffällig die den Untertanen auferlegten Steuern, dass er von einem Rezensenten scherzhaft als „Spross der Tea Party“ tituliert wurde.

Ein anderes Beispiel dafür ist Reza Aslans Buch „Zelot“, ebenfalls 2013 erschienen. Es war fast ebenso erfolgreich wie „Killing Jesus“, ist aber unvergleichlich seriöser und wunderbar geschrieben. Aslan ist gebürtiger Iraner, lebt in den USA und hat in Religionssoziologie promoviert. Er war kurze Zeit christlicher Konvertit, bevor er zum Islam zurückkehrte. In seiner Darstellung ist Jesus nicht nur ein politischer Rebell, wie schon oft behauptet, sondern ein Angehöriger der Zeloten (wörtlich: „Eiferer“), die gegen die römische Besatzung kämpften. Kurz, ein Kämpfer im alten Palästina nicht nur gegen Rom, die Weltmacht im Westen, sondern auch gegen ein korruptes jüdisches Establishment. Darin können sich auch heutige Palästinenser wiedererkennen.

Allerdings „funktioniert“ dieses Jesusbild, so spannend es ist, auch nur durch den sehr selektiven Blick auf die Quellen: Alles, was für einen friedlichen Jesus spricht, wird als spätere Erfindung abgetan. Und weil es zur Rebellenthese passt, ist sich Aslan auch sicher, dass Jesus zu den Ärmsten unter den Juden zählte. Josef war ihm zufolge nicht Zimmermann, sondern Kleinbauer. „Den realen Jesus müssen wir in den zerbröselnden Lehmziegelhütten suchen, die sich im Weiler Nazareth unter dem Wind ducken.“ Tatsächlich kann das griechische Wort „tekton“, auf das sich die Deutungen von Josefs Beruf stützen, „Zimmermann“ heißen, aber auch andere Arten von Bautätigkeiten meinen. Dass Jesus sicher „der untersten Schicht der bäuerlichen Bevölkerung im Palästina des 1. Jahrhunderts angehörte“, wie Aslan meint, ist damit aber nicht gesagt.

Im 18. Jahrhundert schrieb der Hamburger Gymnasiallehrer Hermann Samuel Reimarus optimistisch, man müsse nur die „Tünche der Apostel“ wegnehmen, um die „wirkliche“ Stimme Jesu zu hören. Das war damals revolutionär und brachte den Autor ebenso in Bedrängnis wie Lessing, der Reimarus' Schrift veröffentlicht hatte. Anfang des 20. Jahrhunderts befand Albert Schweitzer in seiner „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung“, die bisherigen Darstellungen des „historischen Jesus“ seien nur Projektionen der jeweiligen Forscher gewesen. Daran hat sich bis heute wenig geändert – zumindest überall dort, wo Autoren vorgeben, über den „wirklichen“ Jesus Bescheid zu wissen.

Was also, wenn man als Laie nach gut lesbaren Informationen über den aktuellen Forschungsstand sucht? Da gibt es etwa die Büchlein der Reihe „Wissen“ des C. H. Beck Verlags, allen voran Jürgen Roloffs immer noch aktuelles Buch „Jesus“, aber auch Alexander Demandts „Pontius Pilatus“. Immer interessanter wird die archäologische Literatur. Der israelische Archäologe Shimon Gibson etwa betrachtet in „Die sieben letzten Tage Jesu“ dessen Lebensende im Licht „sämtlicher verfügbarer archäologischer Funde in Jerusalem“ – von denen er viele selbst gemacht hat.

Golgotha: Kein Platz für drei Kreuze?

Auch bei ihm muss man vorsichtig sein, wenn er die Evangelien an manchen Stellen naiv harmonisiert und gewagte Thesen aufstellt: etwa, dass der leprakranke Simon aus dem Matthäus-Evangelium der Vater von Lazarus, Martha und Maria aus dem Johannesevangelium sei, oder dass sich Golgotha nicht an der von den meisten Wissenschaftlern vermuteten Stelle befinden kann, weil der Ort nicht genug Platz für drei Kreuze bot. Aber gerade, dass Gibson sich damit begnügt, der Wahrheit von Jesu letzten Tagen in Jerusalem nur „ein kleines Stückchen näherkommen“ zu wollen, macht dieses Buch wertvoll.

Dagegen verspricht die populäre „So war Jesus wirklich“-Literatur Gewissheit und meist eine Antwort auf die Grundfrage: War Jesus nur ein Mensch oder auch Gott? Zugleich lebt das Genre paradoxerweise davon, dass dieses Versprechen nie eingelöst wird. Denn gäbe es nicht den leisen Zweifel im Glauben wie im Unglauben – die meisten Jesus-Bücher würden wohl nie gelesen.

Buchtipps: Jürgen Roloff: „Jesus“, Alexander Demandt: „Pontius Pilatus“ (C. H. Beck); Shimon Gibson: „Die sieben letzten Tage Jesu“ (DTV); Reza Aslan: „Zelot. Jesus von Nazaret und seine Zeit“ (Rowohlt).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2014)

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