Die Getriebene aus Berlin

Feridun Zaimoğlu
Feridun ZaimoğluKlaus Haag
  • Drucken

In seinem neuen Roman lässt Feridun Zaimoğlu seine Leser die traurige Gestalt Isabel begleiten. Seine Sprache ist asketisch und schön, die Erzählung bisweilen aber ärgerlich.

Das ist ein Berlin, das so viele andere vor Feridun Zaimoğlu bereits gezeichnet haben. Da sind dunkle Straßen im Nieselregen, Prostituierte, Irre, Obdachlose, Transvestiten, Schwulenbars – und immer ist Nacht. Die Stadt als ein Sammelbecken für ewig gescheiterte Randexistenzen. Isabel lebt in diesem traurigen Labyrinth, sie verbringt ihren Tag – oder vielmehr: ihre Nacht – zwischen der Armenspeisung, dem Lesbenlokal und ihrer Wohnung mit den noch verpackten Kartons. Dabei muss Isabel diesen armseligen Alltag gar nicht haben, sie ist nicht auf die Kleiderspenden angewiesen, die sie in Anspruch nimmt. Die Tochter aus bürgerlichem Hause hat sich das Leben im muffelnden Sumpf Berlins selbst ausgesucht. Ja, auf diese Idee muss man erst einmal kommen.

Isabel ist Heldin und Titelgeberin von Zaimoğlus neuem Roman. Sie ist eine tief deprimierte Gestalt, die kürzlich von ihrem gut situierten Partner verlassen wurde, und deren Freundin Suizid begangen hat. „Mal schied man im Guten, mal gab es Gemetzel“, heißt es an einer Stelle. Und weiter: „Man wurde nicht weise, man ermüdete nur mit der Zeit.“ So ist auch Isabel eine frühzeitig ermüdete, junge Frau. Mit ihr hat Zaimoğlu eine merkwürdige Figur erschaffen. Mehr als Mitleid erregt sie Zorn, denn: Warum, zum Kuckuck, rafft sie sich nicht auf? Warum führt sie freiwillig den Weltschmerz spazieren?

Zaimoğlu bleibt eine Antwort schuldig. Überhaupt hält er sich in seinem Buch mit Erklärungen bedeckt, es ist vielmehr eine (bisweilen rätselhafte) Momentaufnahme aus dem Leben mehrerer Berliner – etwa Marcus, dem ebenfalls seelisch gebeutelten Ex-Soldaten. Zaimoğlus Sprache ist asketisch und telegrammartig, aber das stört den Lesefluss nicht, im Gegenteil. In einem Interview sagt er dazu, er verwende „Deutsch, ohne ein Gramm Fett“.

Das ist durchaus eine Kunst, und die beherrscht Zaimoğlu auf ganzer Linie. So beschreibt er in wenigen Wörtern, wie sich Isabel einen Keuschheitsgürtel anzieht, um als Voyeurin im Schlafzimmer eines Ehepaares Geld zu verdienen. Oder er fängt Straßenszenen ein, die gerade durch den spartanischen Erzählstil gespenstisch wirken: „Ein Schwuler kam den Parkweg entlang: geföhnt, gekämmt, gerüstet für den Abend und die Nacht im Kiez. Ein Türkenjunge schrie: Ich kastrier dich mit dem Mund.“

Knappe Sätze. Der Schriftsteller Zaimoğlu hat bereits in der Vergangenheit mit Sprache experimentiert, man denke nur an die „Kanak Sprak“. Auch mit „Isabel“ hat das deutsche Feuilleton große Freude, erkennt sogar in Zaimoğlus knappen Sätzen den deutschen Erzählstil schlechthin. So simpel die Sätze des Autors auch sein mögen („Sie alle ödete auf einen Schlag das Grundsätzliche an.“), sie bleiben hängen, und das ist wahrscheinlich das Imposanteste an diesem Roman. Isabel jedenfalls – übrigens eine frühere Schauspielerin oder Model, man erfährt es nicht wirklich – beschließt an einem Punkt, zu ihren Eltern zu gehen, um sich potenzielle Heiratskandidaten vorstellen zu lassen. Den Vornamen nach sind ihre Eltern Türken, die Stadt, in der sie leben, wird aber nicht explizit benannt.

Das ist auch typisch für diesen Roman, und an manchen Stellen fast schon ärgerlich. Zaimoğlu lässt seine Leser in ihrer Unwissenheit zappeln. Aber gut, man vergibt ihm.

Neu Erschienen

Feridun Zaimoğlu
„Isabel“
Kiepenheuer & Witsch 240 Seiten
19,60 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.