Schriftsteller: Die Jungen und die Nazi-Dichter

Pürgg in der Steiermark: 1953 bis 1955 Österreichs Plattform für eine Annäherung von alten, belasteten und jungen Schriftstellern.

Der erste Abend, reizend. Ein freundlicher Stationsvorsteher trug mir das Gepäck bergauf zum Hotel Adam in Pürgg. Dann gab's einen großen Jubel. Achtzehn meist alte Bekannte begrüßten einander. Und Hans Grimm." Ein Jubler, der am 16. September 1953 im Bahnhof Stainach-Irdning ausgestiegen und in das für die Fresken aus dem 12. Jahrhundert in der Johanneskapelle berühmte Dorf Pürgg aufgestiegen war, notierte das in seinem Tagebuch: der Deutsche Hans Friedrich Blunck, Verfasser deutschtümelnder Romane wie "Werdendes Volk", 1933 bis 1935 Präsident der Reichsschrifttumskammer.

Hans Grimm, den braunen Visionär ("Volk ohne Raum", ein Kolonialisten-Epos, 1926), nennt Blunck im Tagebuch "Gegner". Aber es gab keinen Zank. Dem Organisator der 1. Pürgger Dichterwoche, dem ÖVP-Landtagsabgeordneten Alfred Rainer war versprochen worden, "dass kein Schatten auf die Veranstaltung fallen werde".

Die alten Kameraden aus der bis 1945 offiziellen Schreibkunst waren zur Versöhnung mit Unbelasteten nach Pürgg gelockt worden. Pürgg: ein Reinigungsbad, weil auch Junge, sogar Linke eingeladen waren.

So Günther Nenning von der Grazer "Kleinen Zeitung". Hans Gerald Kandolf über Nenning in seiner mit argen Ressentiments gegen die damalige literarische Avantgarde belasteten Chronik der drei Pürgger Dichterwochen: Er habe den Älteren ungestüm vorgeworfen, was sie alles hätten tun müssen, um Hitler zu vermeiden.

Von den 25 Gästen behielten nur wenige Rang und Namen. Das Werk der Paula Grogger (1892 bis 1984) wird in der Steiermark gepflegt - das Dorf Pürgg liegt beinahe in Rufweite des von ihr in der Literaturgeschichte verankerten Topos "Grimmingtor". Bruno Brehm (1892 bis 1974) blieb dank seiner frühen Romane über das Ende der Donaumonarchie ("Apis und Este", "Weder Kaiser noch Könige", "Die Throne stürzen") trotz brauner Flecken in den Lexika. Natalie Beer (1903 bis 1987) stieg zur Grande Dame der Vorarlberger Poesie auf (sie teilte 1954 mit Christine Lavant das Zimmer).

Ein Nazi-Großkaliber war der Tiroler Karl Springenschmid (1897 bis 1981, genannt der "Goebbels von Salzburg", weil er dort das Schulwesen leitete). Curzio Malaparte ("Die Haut", "Kaputt") porträtierte ihn in einer Kriegsreportage als Feigling: In Norwegen unterliegt er im direktem Kampf mit einem Lachs - darauf hin zieht er die Pistole und erschießt den Fisch. Springenschmid lebte nach 1945 jahrelang im Untergrund, als Waldgänger, Schmuggler. Bis er in Pürgg wieder auftauchen durfte.

Erwin Rainalter (1892 bis 1960) hatte in Südtirol-Romanen das Deutschtum gepriesen. Mirko Jelusich (1886 bis 1969) konnte sich mit historischen Romanen ("Caesar", "Oliver Cromwell") ins Führerherz einschreiben. Aus der Literaturwissenschaft der Ostmark war Norbert Langer übrig geblieben. Später gab er die Reihe "Dichtung aus Österreich" heraus.

Die andere Seite: Fritz Habeck (1916 bis 1997) und Herbert Zand (1923 bis 1970) - trotz vieler Bücher auch schon vergessen; Habeck hatte 1941 mit einem Fran§ois-Villon-Roman debütiert, Zand 1947 mit "Die Sonnenstadt"; 1953 erschien sein Kriegsroman "Letzte Ausfahrt". Der Junggermanist Alfred Holzinger (1918 bis 1979) wurde später als ORF-Literaturmann in Graz der maßgebliche Förderer der "manuskripte"-Autoren (Kolleritsch, Frischmuth, Bauer, Eisendle, Handke, Roth etc.).

Nicht nur zu Vorträgen, Lesungen (Blunck vor Lehrlingen), Ausflügen (so nach Altaussee) war man vereint. Heinz Brunner vom Grazer Stocker-Verlag gab den Ehemaligen Hoffnung. Der Lyriker Paul Anton Keller (1907 bis 1976) aus Graz warnte Blunck vor der "sozialdemokratischen Entwicklung" bei Leykam, Bluncks Hausverlag. Brehm unterhielt die Herren mit der Anekdote vom General, der ihn nach der Jagd in Russland ausfragte - weil er ihn mit dem "Tierleben"-Brehm verwechselte.

1954 stieß der erste jüdische Emigrant, Hans Weigel, zu Blunck, Brehm, Springenschmid. Er hielt einen Vortrag, ebenso der Germanist Herbert Cysarz und der Roman-Verkaufskönig Frank Thiess. Auch Christine Lavant, Erich Landgrebe, Josef Friedrich Perkonig, sind mit dem Landeshauptmann Josef Krainer sen. auf dem Erinnerungsfoto zu sehen. Die "Kleine Zeitung" schickte Ulrich Baumgartner - später Wiens Festwochen-Intendant. Alle schon gestorben.

1955, nach dem Staatsvertrag, schwoll der Kreis schon auf fünfzig Teilnehmer. Es waren zugleich die letzte Pürgger Dichterwoche. Unter den neuen Namen die bekannteren: Rudolf Bayr, Werner Bergengruen, Jeannie Ebner, Gerd Gaiser Alois Herguth, Wolfgang Kudrnofsky, Hubert Mumelter, Eugen Roth, Wieland Schmied, Hermann Stuppäck, Ernst Vasovec.

Ein Foto zeigt Christine Lavant auf der Austria-Hütte unterm Dachstein. Blunck im Tagebuch: "Das Wunder bleibt die Lavant, die eine Sprache kennt, die sie nirgendwo herhaben kann. Die zwergenhaft kleine Frau mit dem großen Kopftuch, mit großen, fast krankhaft aufgerissenen Augen, von Beruf Wirtschafterin eines kleinen Malers im Lavanttal, Schwester eines dortigen Bauern, spricht eine erhabene Sprache, die über Rilke hinausquillt und herrlich ist."

Das Buch "Die Pürgger Dichterwochen 1953, 1954, 1955" von Hans Gerhard Kandolf erschien 1997 als Band 18 der Schriftenreihe des Kammerhofmuseums Bad Aussee.

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