Lügen, aber richtig

Anton fällt vom Dach, Rosie wandert durch New York, Hund Brutus stürmt den Supermarkt - und Felix lernt die Kunst des Lügens: neue Kinderbücher zwischen Romantik und Realität, zwischen Idylle und Trennung. Eine Auswahl.

Anton fällt vom Dach, Rosie wandert durch New York, Hund Brutus stürmt den Supermarkt - und Felix lernt die Kunst des Lügens: neue Kinder- und Jugendbücher zwischen Romantik und Realität, Idylle und der Vermittlung nützlicher Lebensregeln.

Weihnachten naht - und damit der Zwang zum Weihnachtsbuch. Die Auswahl ist überreichlich. Wir, das sind meine Tochter Julia (7) und ich, wollen Sie da gar nicht verwirren. Und empfehlen nur ein einziges, dafür aber ganz besonders bezauberndes Weihnachtsbuch. Die Geschichte von Anton.

Eines Tages im Frühling fällt Anton aufs Dach eines Bauernhofes. Fortan sucht er herauszufinden, wer er ist, ähnlich wie "Das kleine Ich bin ich" (Mira Lobe), aber mit einem poetischeren Schluß. Kluge Kinder haben Antons Geheimnis natürlich schon vorher gelüftet. Seine Identität müßte eigentlich für jedermann und "jedestier" offensichtlich sein. Doch erst, als er seinesgleichen trifft, nicht zufällig zur Weihnachtszeit, erkennt er sich.

Sigrid Laube, Maria Blazejovsky: "Das Mancherlei", 32 S., € 13,40; ab 4 Jahren (Jungbrunnen Verlag, Wien).

Und nun zu ganz etwas anderem, was uns täglich beschäftigt - und Sie vielleicht auch: das Schlafengehen. Für Erwachsene wie für Kids ein Ärger-nis. Wobei Erwachsene den Vorteil haben, den Zeitpunkt der Nachtruhe selbst bestimmen zu können. Nicht immer zu ihrem Vorteil. Sie sind nämlich am Morgen oft genauso müüüde wie die Kinder. Also legen wir uns einmal gemeinsam mit den Kleinen nieder und sondieren Einschläferndes zum Lesen. Da ist zum Beispiel Tommi. Er will unbedingt noch spielen. Aber dann entdeckt er die Tiere, die auch schlafen gehen: Das Nashorn liegt in süßem Schlummer am Wasser, der Fisch im Wasser, die Schlange auf dem Ast, der Elefant unter der Palme und die Schäfchen unterm vollen Mond, auch sie schnarchen.

Guido Van Genechten: "Schlaf gut, Tommi!", 32 S., € 9,90 (Annette Betz Verlag, Wien).

Ach ja, Schäfchen zählen funktioniert auch nicht immer, wie man es sich vorstellt. Rosie hat schon allerlei versucht, vor allem ihre Eltern, die fol-gerichtig mit Latein und Nerven am Ende sind. Also macht Rosie einen Besuch auf der Weide. Dort trifft sie ein Baby-Schaf, das seine Mama verloren hat. Weil das sehr traurig ist, müssen nun alle Schafe noch einmal gezählt werden, rückwärts. Unterdessen trinkt das Baby-Schaf Rosies kaltgewordene Milch mit Honig; am Ende sind alle
zufrieden.

Dagmar Henze (Bilder), Isabel Abedi (Text): "Das neunundneunzigste Schaf", 32 S., € 12,90; ab 3 Jahren (ars edition, München).

Falls Sie noch nicht eingeschlafen sind, werden Sie sich jetzt vielleicht fragen, warum ich meiner Tochter, längst ein Schulkind, Bilderbücher für Minis vorlese. Weil sie das will - und weil das Zulassen von Regression meiner Beobachtung nach ein unterschätzter Anteil an der Erziehung ist. Aber wir haben auch Anspruchsvolleres auf Lager.

Noch eine Rosie, diesmal in New York, einer bekannt gefährlichen Stadt. Rosie bewegt sich darin wie eine Traumtänzerin oder eine weibliche Ausgabe des reinen Toren. Und wie das mit reinen Toren öfter ist: Rosie hat unwahrscheinliches Glück. Sie trifft auf einen Rasta aus West-Harlem, der ihr Freund wird. Sie rettet eine Joggerin, bekommt ein Sparbuch geschenkt - und sie wird beschützt von ihrer Freundin Ruta, engelsgleich aus einem Buch erlöst von einer schwarzen Nonne.

Birgitta Heiskel (Bilder), Monika Helfer (Text): "Rosie in New York", 48 S., € 14,90; gut auch für Englisch-Anfänger (NÖ-Pressehaus, St. Pölten).

Ein Wunder würde auch Lisas Mama helfen. Diese hat in den Supermarkt außer ihrer Tochter noch den stürmischen Brutus-Hund mitgebracht. Und während Lisa sich als äußerst nützlich erweist, indem sie die Einkaufsliste abarbeitet, benimmt sich Brutus unmöglich. Schuld daran ist aber nicht die reich ausgestattete Wurst-Theke, sondern eine Katze, und am Ende beschließt Mama, nächstes Mal einen anderen Supermarkt aufzusuchen.

Hilde Schuurmans: "Wir gehen einkaufen", 32 S., € 13,30; ab 6 Jahren (Lappan Verlag, Oldenburg).

Mit Unvorhergesehenem ist auch Willibald konfrontiert. Er glaubt nämlich, daß er nicht wasserdicht ist, und da kann ein Besuch im Schwimmbad, noch dazu mit der ganzen Klasse, nur eine tödliche Zumutung darstellen. Ein harmloser Tick, meinen Sie? Nicht, wenn man ihn hat. Und zum Beispiel in einem dicken, "aufgeschwemmten" Mann ein Opfer mangelnder Wasserfestigkeit sehen muß. Aber Willis Lieblingscousine weiß Rat.

Oliver Wenniges (Illustration), Rudolf Herfurtner (Text): "Der wasserdichte Willibald", 80 S., € 6,20; ab 7 Jahren (dtv-Junior, München).

Kater Tiger beißt nicht. Jedenfalls keine Menschen. Dafür ist er eines der vielen Haustiere, für die sich Kinder
so gern erwärmen - und die in einer Großstadtwohnung nicht immer leicht Platz finden. Die Hausmeisterin von Lilys Wohnung ist da besonders ungemütlich. Dabei hat Lily (10) sonst auch genug Probleme. Papa und Mama haben sich getrennt, Mama ist mit Lily vom Land in die Stadt gezogen, Papa malt, schickt Zauberbohnen, ist aber sonst recht fern - und dann noch die Sache mit dem Straßenkater, der sich von ihr aufpäppeln läßt und dann flugs verschwindet.

Thomas Brinx, Anja Kömmerling: "Tigerlily", 142 S., € 10,20; ab 8 Jahren (Thienemann Verlag, Stuttgart).

Trennungen: kein besonders weihnachtliches, aber ein zu jeder Jahreszeit aktuelles Thema. Moritz zum Beispiel hat sich gerade mühsam von Papas Auszug aus der gemeinsamen Wohnung erholt, da hat Mama einen neuen Freund, und der ist Moritz herzhaft unsympathisch. Anders als Papa kann der Mensch nicht einmal kochen. Und überhaupt: Hat der, zum Kuckuck, keine eigene Frau?

Corinna Gieseler, Stefanie Scharnberg: "Moritz heißt noch immer Meier", Die Geschichte von Mamas neuem Freund, 32 S., € 10,20 (Ellermann Verlag, Hamburg).

Lockerer als die Eltern von Moritz hält es Jung-Felix' Vater mit postehelichen Amouren, nach dem Motto: Jede Nacht eine andere. Schließlich ist er Rock-Musiker, ein lockerer Typ - nur Mama verzeiht sich nie, daß sie auf ihn hereingefallen ist. Also dauert der Ehekrieg an, und Felix hat einige Raffinesse entwickelt, diplomatisch mäßigend auf seine Eltern einzuwirken und seine eigenen, durchaus nicht unkomplizierten Angelegenheiten zu regeln.

Was also tun? Lügen, aber richtig. Also da und dort ein bißchen schwindeln, die Wahrheit verschweigen oder verschönern. Dabei muß Schlau-Felix freilich erfahren, daß "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht" zwar nicht immer stimmt, aber die Lehren des Lebens womöglich noch härter ausfallen können: Ein Schwindel zieht den nächsten nach sich, und alles wird auf diese Weise rasant immer komplizierter bis zum unvermeidlichen Knall. Dessen Folgen sind dann allerdings nicht so schlimm wie befürchtet.

Klaus-Peter Wolf: "Wie man es allen recht macht und trotzdem tut, was man will", 120 S., € 9,90; ab 10 Jahren (Ueberreuter Verlag, Wien).

Noch eine originelle Trennungsgeschichte und noch ein Felixx (sic!), Freund von Xenia. Auch sie steckt in dem Dilemma eines einander bekriegenden Ex-Paares, ordentliche Mutter, Vater beim Film, wechselhaft, an wechselnden Orten beschäftigt und auf neue Eroberungen aus, die er vor seiner Tochter geheimhalten möchte. Immerhin, Xenia schafft es, den flüchtigen Papa auf einer Reise nach Prag festzunageln, aber nicht richtig, denn er bringt sie und Felixx in einem separaten Hotel unter. Dort spukt es. Zu allem Überfluß tönen aus den Handys der Kinder geheimnisvolle Ratschläge von einem Little Ghost XXL.

Dirk Walbrecker: "Crazy Crazy L.A.", Die Geisterhandys, 190 S., € 9,90; ab 10 Jahren (ars edition, München).

Nun noch einige vermischte Tips aus unserem persönlichen Bücherladen:

Schulgespenst Kuno bringt Chaos in Buchstaben, macht aus Äpfeln Bananen, reiht aber auch artig für Volksschüler gedachte Wortschlangen an-einander - und wird zuletzt von einem Gespensterjäger gefangen. Sehr gefährlich, aber unterhaltsam, ferner mit Lied und Bastelanleitung geeignet, Kindern den schwierigen Übergang vom Kindergarten in die Schule zu erleichtern. Eine der Hauptpersonen heißt Julia: einer der Gründe, warum meine Julia dieses Buch besonders mochte.

Stephanie Wagner (Bilder), Gerald Jatzek (Text): "Kuno, das Schulgespenst", 64 S., € 6,90; ab 7 Jahren (Verlag St. Gabriel, Mödling).

Entzückend und auf ungewöhnliche Weise mit Photomontagen illustriert ist die Geschichte zweier von Elfen verzauberter Katzen. Kewpie und Jonny werden von Blumenkindern getrennt, in den Schlaf gesenkt, auf eine Reise entführt - und wieder zusammengebracht. Ein Märchen wie von Shakespeare, der heute ja nur mehr selten märchenhaft erzählt wird.

Theres Cassini (Bilder), F. J. Schaudy (Text): "Kewpie & Jonny", 48 S., € 17,90 (NÖ-Pressehaus, St. Pölten).

Nichts von Büchern wissen will Fred, da ist er wohl ganz ein Kind dieser Zeit. Es geht ja nicht nur um die Konkurrenz Fernsehen, sondern ganz allgemein um alles, was schnell konsumiert und weggeworfen werden kann. Bücher sind da eben anders.

Fred aber läßt sich gar nicht erst ein. Die Kiste mit Schmökern, die er auf dem Dachboden findet, hat er bald durchgenommen: Kennt er schon alles, braucht er nicht. Eine traurige Moral? Nein, subversiv, witzig - dieser Cartoon! Und vielleicht als "cooler" Einstieg zum Bücherlesen in den kommenden Weihnachtsferien geeignet.

Ole Könnecke: "Fred und die Bücherkiste", 48 S., € 6,20; ab 5 Jahren (Carlsen Verlag, Hamburg).

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.