Manfred Lütz: Immer so feierlich und pathetisch

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Interview. Bestsellerautor Lütz begrüßt, dass wieder öffentlich von Gott die Rede ist. Und sagt, warum Atheisten manchmal die Überzeugenderen sind.

Die Presse: Gott kommt derzeit in zwei Büchern auf der deutschen Bestsellerliste vor: Sie argumentieren für Gott, Richard Dawkins in „Gotteswahn“ dagegen – ist Dawkins Vorbote oder Abgesang eines kämpferischen Atheismus?

Manfred Lütz: Dawkins argumentiert ja gegen einen amerikanischen Fundamentalismus, den es bei uns hier noch nicht mal im Zoo gibt. Dabei verkörpert er selbst das irritierende Phänomen eines fundamentalistischen Atheismus: Jeder Gegner ist entweder lächerlich, böswillig oder geistesgestört. Und auf 570 Seiten hat Dawkins eigentlich nur ein Argument: Gott hält sich nicht an die Evolutionstheorie, denn nach ihr kann ein so komplexes Phänomen wie Gott erst am Ende einer Entwicklung stehen, aber nicht an ihrem Anfang.

Sie zitieren den „Spiegel“-Satz, wonach Deutschland der „Glauben an die Gottlosigkeit“ abhandengekommen sei. Ist das vielleicht nur eine Modeerscheinung, seit Deutschland Papst ist?

Lütz: Ich glaube, diesmal geht das tiefer. Spätestens seit der Paulskirchen-Rede von Jürgen Habermas, wo er, der sich ja selbst als religiös unmusikalisch bezeichnet, darauf hinweist, dass die Menschenwürde nur fundiert werden kann mit dem jüdisch-christlichen Begriff der Gottebenbildlichkeit. Aber wenn wir öffentlich von der Gottesebenbildlichkeit reden sollen, müssen wir auch öffentlich wieder von Gott reden. Das ist jetzt der Fall, und das ist gut so.

Steigendes Interesse an Gott hat aber offensichtlich noch kein steigendes Interesse an den Kirchen bewirkt – warum?

Lütz: Die Kirche ist sekundär, das sagt sie selbst. Heute wird aber sogar die Gottesfrage von außen wieder an die Kirchen herangetragen. Gregor Gysi, der Chef der deutschen Ex-Kommunisten, hat bei der Vorstellung meines Buches in Berlin gesagt, er sei Atheist, habe aber Angst vor einer gottlosen Gesellschaft, weil ihr die Solidarität abhandenkommen könnte. Die Linke sei für die Wertefrage auf Jahrzehnte diskreditiert, glaubwürdig seien hier nur die christlichen Kirchen.

Das ist für sich genommen aber noch keine Antwort auf die Gottesfrage, wenn jemand sagt: Wir brauchen Gott für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Lütz: Die funktionalistische Beschreibung Gottes, wie sie Gysi vornimmt, ist gewiss nicht vollständig – aber auch nicht ganz falsch.

Ist die Krise des Vertrauens in die Kirchen nicht auch von diesen mitverschuldet?

Lütz: Ich glaube, das Problem liegt eher bei der Gesellschaft als bei der Kirche. In einer „vaterlosen Gesellschaft“, von der Alexander Mitscherlich gesprochen hat, sind die Protestobjekte abhandengekommen. Die Österreicher haben schon lange keinen Kaiser mehr, und auch gegen Politiker kann man nicht mehr demonstrieren, weil die bisweilen dazu neigen, sich nach der Lektüre einiger Umfrageergebnisse der Demonstration gegen sich selbst anzuschließen. Und da bietet sich natürlich die katholische Kirche als Protestobjekt an, weil sich in 2000 Jahren genügend wirkliches oder vermeintliches Protestmaterial angesammelt hat.

Hier schlägt der Psychotherapeut in Ihnen durch...

Lütz: Klar. Protest gegen eine Institution, die von Männern geleitet wird und an deren Spitze ein Heiliger Vater steht! Das lässt einem Psychoanalytiker doch das Wasser im Munde zusammenlaufen. Auch die gesellschaftliche Fixierung auf die „Kirche-und-Sex-Themen“, die gerade der katholischen Tradition ziemlich fremd ist, hat aus meiner Sicht mit dieser geradezu pubertären Vaterprojektion zu tun. Doch damit verpasst man das Wesentliche und verschüttet die Schätze christlicher Spiritualität. Und vor allem weicht man der entscheidenden Frage aus: Gibt es Gott, oder gibt es Gott nicht?

Sehen Sie gar kein hausgemachtes Problem der Kirchen?

Lütz: Die Kirchen haben ein Sprachproblem – das Problem, in einer ganz normalen Sprache über Gott zu reden. Das klingt immer gleich so feierlich und pathetisch, dass man den Eindruck hat, da ist jemand gestorben. Dabei ist da doch jemand auferstanden. Mein Buch hat daher auch das Ziel, die Frage nach Gott allgemeinverständlich und unterhaltsam, aber ohne Fremdwortgeklingel zu beantworten.

Derzeit bildet sich eine Art neuer europäischer Wertekanon, oftmals in aggressivem Gegensatz zum christlichen. Ist das eine Folge des religiösen Vakuums?

Lütz: Um es halbironisch zu sagen: Die Menschen haben offensichtlich ein unvermeidliches Bedürfnis nach Orthodoxie und Inquisition. Die political correctness ist die neue Orthodoxie, und die Inquisition ist die öffentliche Meinung, die über Sie herfällt, wenn Sie nur ein falsches Wort verwenden. Was wir brauchen, ist respektvoller existenzieller Dialog. Ein Christ, der nur Phrasen drischt, ist weniger überzeugend als ein Atheist, der echte Fragen hat.

ZUR PERSON: Manfred Lütz

Sein Buch „Lebenslust“ über „Diät-Sadismus, den Gesundheitswahn und den Fitness-Irrsinn“ war in Deutschland schon Bestseller. Dasselbe hat nun auch „Gott – eine kleine Geschichte des Größten“ geschafft. Autor Manfred Lütz ist promovierter Theologe und Psychotherapeut und im Hauptberuf Chefarzt des Alexianer-Krankenhauses in Köln.

In „Gott“ versucht der überzeugte Katholik, Vatikan-Berater und gesuchte Talk-Show-Gast, den Atheismus ernst zu nehmen, aber nicht unbeantwortet zu lassen: „Die Frage, ob Gott existiert, ist die existenziellste von allen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2007)

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