Literatur: „Die ist zum Aufsammeln von Leichen auf der Autobahn“

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Tausende Blätter in Koffern und einer Reisetasche: Wie der „Vorlass“ Peter Handkes um 500.000 Euro in die Nationalbibliothek kam.

Am 8. Juli 2007 übergibt ein Mann im französischen Chaville einem anderen zwei mächtige alte Koffer und eine Reisetasche. Die Tasche, sagt er dazu, diene „zum Aufsammeln von Leichen auf der Autobahn“. Ein Fall für die Kriminalistik? Nein, für die Literaturgeschichte. Germanist Wendelin Schmidt-Dengler verriet der „Presse“ den Ablauf „eines der angenehmsten Geschäfte meines Lebens“. Handke sei „wahnsinnig nett und gut gelaunt“ gewesen, erzählt er.

Kein Wunder bei 500.000 Euro in Raten für ein paar tausend Blatt. Im Österreichischen Literaturarchiv der Nationalbibliothek sind Autoren-Papiere bestens aufgehoben. Bei ihren eigentlichen Besitzern ist das nicht so sicher, schon gar bei einem Autor, der bekennt: „Ich sperre mein Haus fast nie ab.“ „Handke weiß es selbst nicht mehr so genau, wie sich die Dinge im Lauf der Zeit verloren haben“, meinte Schmidt-Dengler auf die Frage, warum der Vorlass nur handschriftliche Werkmanuskripte, Notizen und Materialsammlungen aus den letzten zwei Jahrzehnten umfasse.

Drei Millionen hat die Nationalbibliothek seit 2002 für Autoren-Vorlässe ausgegeben. Jener von Handke (den zu einem Drittel das Kultur-Ministerium zahlt) ist der bisher wertvollste. Um sein Studium werden sich bald die Forscher reißen. Aber auch Autoren reißen sich um das Vorlass-Geschäft, der finanzielle Druck sei groß, erzählt Schmidt-Dengler. „Da sagt der eine dem anderen, er hat 100.000 Euro bekommen, daraufhin will der nächste schon 200.000 ...“

In den letzten Jahren wurden die Vorlässe zunehmend „elektronischer“, aber Handke schreibt noch mit Bleistift. Neben Materialien etwa zu „Mein Jahr in der Niemandsbucht“, „Der Bildverlust“, „Kali“, „Don Juan“, „Die Fahrt im Einbaum“ oder „Untertagblues“ sind auch Druckfahnen einer Erzählung dabei, die noch gar nicht erschienen ist. Suhrkamp hatte sie voreilig unter dem Titel „Samara“ im Herbstprogramm angekündigt. Handke, erzählt Schmidt-Dengler, habe aus Ärger kurzerhand die Veröffentlichung verschoben. Das Buch heißt nun „Die morawische Nacht“ und erscheint Anfang Jänner. Die Druckfahnen im Besitz der ÖNB sind über und über mit Bleistiftnotizen übersät – eine Handkesche Spezialität. Schmidt-Dengler kennt außer Karl Kraus „keinen Autor, der so viel in die Druckfahnen hineinkorrigiert wie er“.

Und was passiert nun eigentlich mit Handkes Koffern? „Die stehen im Literaturarchiv herum. Wir möchten sie behalten.“ Auch wenn sie, genau genommen, von Handkes Frau und Tochter stammen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2007)

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