Urlaubslektüre: Wogen der Worte

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Urlaubslektüre über Goethe, Papier, Wölfe und Weise.

Aperitif mit Montaigne

Immer schon haben Autoren ein Buch gern mit der Schilderung davon angefangen, warum es eigentlich unmöglich sei, ein solches Buch zu schreiben. Literaturprofessor Antoine Compagnon schildert im Vorwort zu „Ein Sommer mit Montaigne“, wie ihm ein Radiosender angeboten hat, einen Sommer lang täglich einige Minuten über Montaignes „Essais“ zu sprechen, was er absonderlich fand: „Die Leute sollten am Strand liegen oder bei einem Aperitif auf das Mittagessen warten, während im Radio über Montaigne geplaudert wird?“ Schließlich hat der Professor doch zugesagt und auch noch ein Buch daraus gemacht. Kaum einer auf der Welt kennt Montaigne wohl so gut wie er, deshalb ist „Ein Sommer mit Montaigne“ keine oberflächliche Ansammlung leicht verdaulicher Zitatenhäppchen. Stattdessen gelingt es Compagnon, in jedem der 40 Kapitelchen ein Schlüsselzitat auf wenigen Seiten so klar und packend zu vertiefen, dass man zu den wesentlichen Aspekten von Montaignes Denken Zugang findet – und erkennt, wie hilfreich diese bescheidene Lebensweise uns heute noch sein kann.

„Ein Sommer mit Montaigne“. Antoine Compagnon, Ullstein; 18,50 Euro

Neurosen auf dem Dachboden

Es hat etwas Beruhigendes, über Neurosen und Schwierigkeiten anderer Personen zu lesen. Noch mehr, wenn man dabei selbst sorglos im Liegestuhl liegt. Die deutsche Autorin Jasmin Ramadan – deren Debüt „Soul Kitchen“ von Fatih Akin verfilmt wurde – nimmt uns in ihrem neuen Buch mit in das Chaos der Familie Kugler. Die Mutter ist eine berühmte Schauspielerin, der Vater lebt seit 20 Jahren abgeschieden auf dem Dachboden, wo er an seinem Jahrhundertroman mit dem Titel „Kapitalismus und Hautkrankheiten“ schreibt. Stoff dafür liefert ihm
Tochter Teresa, die, sobald sie unter Druck gerät, von einer imaginären Schleimschicht befallen wird. Ihr Bruder Ture hat ein Problem mit Nähe. Dass die Familie auch durch ein folgenschweres Ereignis vor 30 Jahren so wurde, wie sie ist, findet Teresa nach und nach heraus. Was als chaotisch-manierierter Großstadt-Plot beginnt, gewinnt an Tiefe, Spannung. Ein tröstlicher Roman über das Unperfekte im Leben.

„Kapitalismus und Hautkrankheiten“. Jasmin Ramadan, Tropen; 19,50 Euro

Wenn Kakerlaken und Wölfe erzählen

Diesen Wälzer vergisst man nicht – das sagt sich leicht, aber „Anima“ ist wirklich ein solches Buch, ein merkwürdiges Buch, das sich beim Lesen wie ein tollwütiges Tier in den Leser verbeißt. Tiere sind es auch, die hier die Geschichte erzählen – Katzen, Vögel, Insekten, alle mit lateinischen Namen benannt, wechseln sich ab. Sie schildern, wie ein Mann in Montréal seine auf grässliche Weise ermordete Frau entdeckt und quer durch Amerika nach dem Mörder sucht. Der als Kind aus dem Libanon geflüchtete Autor Wajdi Mouawad erzählt mit der Wucht eines antiken Dramas und spielt auch mit dem Archaischen, er zitiert Sophokles und benennt die erzählenden Tiere mit lateinischen Namen. Hier geht es nicht nur um die Klärung eines Mordes, sondern viel mehr noch um die Enträtselung der höllischen Vergangenheit und der Identität des Protagonisten selbst. Dessen Schicksal hat sich, erfährt man von einem Tier, „vor langer Zeit mit dem der Tiere verbunden“. Was trennt, was verbindet Menschen und Tiere? Diese Frage zieht sich durch den Roman, der auch indianische Mythen einwebt. Es endet grausig und etwas zu ausufernd, trotzdem: Allein die erste Hälfte des Buchs lohnt die zweite.

„Anima“. Wajdi Mouawad, dtv Premium; 17,40 Euro

Die Geschichte des Papiers

Es ist eine der intellektuell anregendsten und auch abwechslungsreichsten Reisen, zu der der deutsche Buchmarkt heuer eingeladen hat: Erik Orsenna, Mitglied der Académie Française und passionierter Seefahrer, hat die Geschichte des Papiers als Reisebericht geschrieben, von China über die ehemalige Seidenstraße nach Europa, u. a. nach Fabriano, das seit dem 13. Jh. mit seinen Papiermühlen den Großteil Europas beliefert hat; Orsenna erkundet etwa die Rolle der Lumpen als Papierrohstoff oder spricht in Echizen, dem Zentrum japanischer Papiertradition, mit einem Mann, der in Japan den offiziellen Titel Lebender Kulturschatz trägt. Aber auch die aktuelle, teilweise blutige Geopolitik des Papiers erforscht er an Schlüsselorten, von Brasilien bis Sumatra; das alles sehr schmetterlingshaft, anekdotisch, aber nur vordergründig im Plauderton. Orsenna beherrscht nämlich die Kunst, in scheinbar nebensächlichen Details das Wesentliche zu sehen. Seine „Liebeserklärung“ ist immer wieder tiefsinnig – und immer elegant.

„Auf der Spur des Papiers. Eine Liebeserklärung“. Erik Orsenna, Beck; 20,60 Euro

Busenfeinde im Kleinkrieg

So ist eines der Kapitel in diesem Buch über das verzwickte Verhältnis von Jean Paul und Goethe überschrieben. Mit ernst-trockener Literaturkritik hat der Band nichts zu tun. Er ist sehr edel aufgemacht. Zu Beginn wird von „Szenen einer Beinahe-Freundschaft im Zeitraffer“ erzählt. Und Rüdiger Safranskis Buch „Goethe & Schiller – Geschichte einer Freundschaft“ bekommt eine Breitseite ab. Diese Dichterfürsten seien „zueinander gebogene Kontrahenten“ gewesen, schreibt der Schriftsteller Ulrich Holbein, den die „Zeit“ einen „Dandy mit Adorno-Ohren“ genannt hat, eine Mischung aus „Hippie und Freak“. Holbeins Buch über Goethe und Jean Paul ist äußerst witzig geraten. Die zwei
Literaturgranden schrieben munter voneinander ab und sparten nicht mit Bosheiten. Goethe nannte den Franzosen „halbgebildet“, Jean Paul mokierte sich über die „ästhetischen Gaukler von Weimar“ mit ihren
„eingeäscherten Herzen“. Besonders heiter ist das Kapitel über die sexuellen Codes in den Büchern der zwei Dichter unter dem Titel „Wer war prüder – im Chorus geiler Brüder?“ Dass aus dem Satz Gretchens im „Urfaust“ – „Mein Schoß, Gott, drängt sich zu ihm hin“ – durch Selbstzensur „Mein Busen drängt sich zu ihm hin“ wurde, ist noch eine der harmloseren Camouflagen. In puncto Nachruhm habe es Goethe besser getroffen als Jean Paul, findet Holbein: Während Ersterer so bekannt ist „wie Jesus, The Beatles, Osama, Obama oder Lady Gaga“, kommen in Google bei Jean Paul:  Belmondo, Sartre. Alles in allem: reichhaltig, originell, amüsant – und ganz leicht zu lesen. (bp)

„Ein Chinese in Rom“, Jean Paul und
Goethe“
. Ulrich Holbein, Haffmans & Tolkemitt; 19. 90 Euro

Büchertermine

Tage der deutschsprachigen Literatur. Im Vorjahr war das Bachmann-Wettlesen in aller Munde, weil der ORF drohte, die Finanzierung abzudrehen. Heuer blieb der Skandal im Vorfeld aus, dabei gäbe es mindestens so viel zu berichten: 2014 ist ein starkes Österreich-Jahr. Gleich sechs der 14 Autoren sind aus Österreich, Tex Rubinowitz inklusive. Dieser ist zwar gebürtiger Deutscher, zeichnet und schreibt aber schon so lang in Österreich, dass wir ihn als „Einheimischen“ sehen. Sonst bleibt alles beim Alten in Klagenfurt: Journalist Christian Ankowitsch moderiert, Burkhard Spinnen macht den Juryvorsitz, 3sat überträgt die Lesungen und am Sonntag (6. 7. ab 11 h) die Verleihung des Bachmannpreises.

O-Töne. Zum wievielten Mal der sommerliche Lese-Reigen im Museumsquartier stattfindet, ist eigentlich egal. Die „O-Töne“ sind längst fixer Bestandteil des Wiener Kultursommers. Eröffnet wird das Festival heuer am 10. Juli mit Marlene Streeruwitz (ab 20 h), die aus ihrem neuen Roman „Nachkommen“ liest. An den darauffolgenden Donners-tagen stellen Autoren wie Lydia Mischkulnig und Antonio Fian (17. 7.), Teresa Präauer und Franz Schuh (7. 8.), Michael Köhlmeier (14. 8.) und Daniel Glattauer (21. 8.) ihre neuen Werke vor. Die Lesereihe beschließt – wie schon im Sommer 2012 – Wolf Haas (28. 8.). Der Ansturm wird wohl auch diesmal groß sein, wenn der Bestsellerautor sein Buch „Brennerova“ vorstellt. www.otoene.at

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