Im Schatten der Macht

Vaddey Ratner schrieb ein berührendes Buch über ihre Vertreibung aus dem Land ihrer königlichen Vorfahren.
Vaddey Ratner schrieb ein berührendes Buch über ihre Vertreibung aus dem Land ihrer königlichen Vorfahren. Unionsverlag
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Die kambodschanische Prinzessin Vaddey Ratner beschreibt in ''Im Schatten des Banyanbaums'' die kommunistische Revolution in ihrer Heimat. Trotz der geschilderten Gräuel ein hoffnungsvolles Buch.

Die kommunistischen Revolutionen in Eurasien, Ost- und Südostasien eint ein Muster: Initiiert, angezettelt und logistisch und strategisch geplant wurden sie von den Intellektuellen des jeweiligen Landes, die häufig auch im europäischen Ausland (vor allem in Frankreich) studiert hatten. Durchgeführt wurden die Revolutionen aber zum Großteil vom bildungsfernen, meist ländlichen Proletariat. Der Hass der Kleinhäusler und enteigneten Bauern wurde bewusst instrumentalisiert und richtete sich gegen die gesamte Oberschicht. Die plötzlich Mächtigen beschimpften die ehemals Reichen als Imperialisten und kapitalistische Ausbeuter und droschen die kommunistischen Phrasen, deren semantische Bedeutung sich ihnen aber nur ansatzweise erschloss. Statt der Schlagworte von der Diktatur des Proletariats hätten sie auch die Eulersche Formel oder den Lehrsatz des Pythagoras hersagen können.

Mehr und mehr entglitt die Bewegung den Händen der Intellektuellen, und zunehmende interne Querelen führten schließlich dazu, dass die revolutionäre Welle die Vertreter der gewaltbereiten ländlichen Unterschicht an die Schalthebel der Macht schwemmte: Stalin in der Sowjetunion, Mao Zedong in China, Ho Chi Min in Vietnam, Pol Pot in Kambodscha. Die Folgen waren verheerend. Keiner dieser Diktatoren, um die ein unglaublicher Personenkult betrieben wurde, hatte Skrupel, Menschen „für die Idee“ zu opfern.


Bürgerkrieg und Revolution. In Kambodscha setzten sich die Kommunisten erst 1975 nach langem Bürgerkrieg durch. Das Königshaus wurde entmachtet, wobei Prinz Sisowath selbst marxistische Ideale vertrat und sich für einen Übergang zur Demokratie starkmachte. Als die Roten Khmer die Hauptstadt Pnom Penh eroberten, jagten sie die Menschen aus der Stadt. Das Königshaus floh mit hunderttausend anderen Vertriebenen aufs Land.

Vaddey Ratner, Tochter des Prinzen, hat über diese Ereignisse ein poetisches Buch geschrieben. Sie erzählt die Geschichte aus der Perspektive eines fantasiebegabten siebenjährigen Mädchens. Es ist ihre eigene, wobei Vaddey damals erst fünf Jahre alt war.

Zu Beginn wird der Alltag des Königsclans, der als ganz normale Familie dargestellt wird, geschildert. Wie bei den Adeligen üblich, hat das Kind nicht nur eine leibliche Mutter, sondern auch eine Amme, die Milchmutter genannt wird. Diese und eine andere Hausangestellte kommen von einem Ausflug zu ihren Familien nicht mehr nach Hause und bleiben verschwunden – Raami, so heißt die Icherzählerin im Buch, erkennt darin die ersten Vorboten einer großen Veränderung.


Vertreibung aus dem Paradies. Zuerst finden die Prinzen und Prinzessinnen in einem aufgelassenen Tempel Unterschlupf. Dann sickert durch, um wen es sich bei den Flüchtlingen handelt. Die Familie wird getrennt, Raami verliert ihren Vater. Es folgen Jahre harter Arbeit, großer Hungersnot und willkürlicher Grausamkeit. 1979 gelingt schließlich die Flucht in den Westen, wo Ratner bis heute lebt.

Schon mit ihrem Debüt präsentiert sie sich als reife Autorin. Sie stattet Raami mit einer kindlichen, aber reichen, lyrischen Sprache aus. An ganz wenigen Stellen vertraut sie den Lesern zu wenig, etwa als sie von einem zappelnden Fisch in einem Netz erzählt und erklärt, dass sie sich selbst in dem Fisch erkenne. Wir hätten die Metapher auch so verstanden.

Insgesamt aber ist das Buch eine drastische, trotzdem schillernde, von den üppigen Farben des tropischen Landes geprägte Schilderung des Umbruchs in der Heimat der Autorin. Dass Ratner die Zustände vor der Revolution und ihren Vater verklärt, ist verzeihlich.

Wäre Kambodscha für alle das Paradies gewesen, als das Ratner es wahrnahm, hätte es keiner sozialen Reformen bedurft. Was später aber im Namen der marxistisch-leninistischen Ideen geschah, hat das Leid der Bevölkerung nur unwesentlich oder gar nicht gemildert, in schlimmen Phasen der Verfolgung, der Bürgerkriege und Säuberungswellen bedeutete es sogar das Gegenteil.

Neu Erschienen

Vaddey Ratner
„Im Schatten des Banyanbaums“
übersetzt von
Stephanie von Harrach
Unionsverlag
381 Seiten
22,60 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2014)

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