"Tampa": Lehrerin verführt Minderjährigen

Alissa Nutting unterrichtet Englische Literatur in Ohio.
Alissa Nutting unterrichtet Englische Literatur in Ohio. Aaron Mayes
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Wer heutzutage noch schockieren will, der schreibt eine Geschichte über Erwachsene, die auf Teenager stehen. Alissa Nuttings Buch quält beim Lesen und fesselt auf absurde Weise.

Was Gewalt betrifft, haben wir schon so gut wie alles gelesen. Die zerstückelte Leiche, der bestialisch verübte Mord, solche Szenen kommen in unzähligen Büchern vor. Die Anhänger des Horror- und Thriller-Genres lesen über Blutlachensätze, wie über jeden anderen Satz – auch wenn viele diese Begeisterung für Mord und Gewalt nicht verstehen können, erschrecken können solche Bücher heutzutage niemanden mehr.

Dafür braucht es andere Tabus, die gebrochen werden, andere Szenarien, die einen beim Lesen das Buch weglegen lassen. Einmal, zweimal, mehrmals. Alissa Nuttings Buch „Tampa“ zählt zu den kontroversesten Büchern, die in den USA 2013 veröffentlicht wurden. Und ja, das begreift man schon nach der Lektüre des Klappentextes. Selbst im nicht so prüden Europa.

Die 26-jährige und bildhübsche Lehrerin Celeste Price hat Angst vorm Älterwerden – alle erwachsenen Körper schrecken sie ab. Teenager hingegen sind für sie eine Art „Jugendelixier“. Und so sucht sie, als sie ihre neue Stelle als Lehrerin in Tampa, Florida, antritt, ein neues Opfer. Jack Patrick. 14 Jahre alt. Und ja, er mag sie auch.

Was folgt, ist eine genaue Beschreibung der Beziehung zwischen Celeste und Jack, in der Nutting keine pornografischen Details auslässt.

Brüste, Land, Sex.
Um Jack an sich zu binden, hält Price ihn jedes Mal am Ende der Klasse für ein Gespräch zurück. Sie öffnet ihre Bluse, verführt ihn ohne zu zögern („Magst du mich anfassen?“), bis sie ihn zum Beischlaf aufs Land karrt, wo er sein erstes Mal mit ihr erlebt. „Der dünne Spitzenstring meines Tangas bedeckte kaum die Spitze meiner Klitoris: ,Hast du deine Finger schon einmal in ein Mädchen gesteckt?‘“

Alissa Nutting – der Nachname ist kein Pseudonym, sie unterrichtet selbst Englische Literatur und schreibt unter anderem für die „New York Times“ – zeichnet ihre Protagonistin ohne Gefühle, ohne Reue. Eine Frau, die den Sex mit Minderjährigen zu glauben braucht, wie die Luft zum Atmen. Ohne zu zögern wird die Beziehung mit Jack Patrick – der sich als williges Opfer zeigt – weitergeführt. Celeste zeigt Jack alles, er gibt ihr im Gegenzug alles: Seinen Körper, vor allem aber sein Herz. Sie kann darüber nur kalt lächeln.

Am Abend schläfert sie ihren Ehemann mit einem Medikamentencocktail ein. Sie kann seine Aufmerksamkeit (er ist Polizist, Sohn aus reichem Hause), schon gar nicht seinen Körper ertragen. Vor seinen Freunden spielt sie ihm die perfekte Partnerin vor. Was er will, ist ohnehin nur eine Vorzeigefrau.

Und da blitzt es auch schon durch, das Stück Gesellschaftskritik, das dieses Buch darstellen soll. Eine Satire auf Fälle wie jenen von Debra Lafave, wie Nutting selbst sagt. Die Lehrerin wurde wegen einer sexuellen Beziehung zu einem 14-Jährigen Schüler angeklagt. Exkurs: Auch Österreich kennt solche Geschichten. Die Handballlehrerin Renata sorgte für einen Skandal, weil sie eine Beziehung zu ihrem 13-jährigen Schüler Ervin hatte. Exkurs vom Exkurs: Die beiden sind heute glücklich verheiratet und haben ein Kind.

In Nuttings Debütroman geht es aber weniger um Liebe als ums Anprangern des Jugendwahns. Die Qualen, denen sich Frauen für Schönheitsbehandlungen aussetzen (Celeste findet es gut, wenn es richtig wehtut), die Sucht nach dem perfekten Körper, das Abstoßen von allem, was alt ist. Die Sehnsucht nach vorpubertären Körpern. Diese Kritik ist Nutting durchaus gelungen. Das Buch versenkt ein paar Treffer (wenn Price andere Frauen analysiert), lässt einen bis zum dramatischen Ende schaudern, und zwischendurch nimmt man sich vor, die Lehrer seiner ungeborenen Kinder genau anzusehen. Sollte man sich für das bisschen Gesellschaftskritik beim Lesen aber wirklich so viel quälen? Vermutlich nicht.

Neu Erschienen

Alissa Nutting:
„Tampa“.

Übersetzt von
Verena von Koskull.
Hoffmann und Campe,
288 Seiten,
20,60 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2014)

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