Josef F.s "fiktive Vorfahren" in österreichischer Literatur

(c) EPA (Helmut Fohringer)
  • Drucken

Josef F. "existierte in der Literatur, bevor er im Leben existierte", sagt ein Germanist in der "Times". Die Literatur habe "tiefliegende Muster" in der österreichischen Gesellschaft längst erkannt.

Der Inzest-Fall in Amstetten beschäftigt in der ausländischen Presse mittlerweile auch das "Times Literary Supplement". Der Germanist Ritchie Robertson vom St. John's College in Oxford untersucht in einer umfangreichen Abhandlung die österreichische Literatur auf "fiktive Vorfahren" des Josef F. - und wird reichlich fündig. Von Johann Nestroy und Ferdinand Raimund über Adalbert Stifter, Elias Canetti oder Sigmund Freud bis zu Elfriede Jelinek sei der österreichischen Literatur "der Faktor der patriarchalen Autorität" und ihres Missbrauchs gemein, Josef F. "existierte in der Literatur, bevor er im Leben existierte." Robertson betont, dass man den kritischen Stimmen der Literatur wohl mehr Aufmerksamkeit hätte schenken müssen, statt ihre "monströsen und grotesken Charaktere" als Karikaturen abzutun.

Häufung von Gewalt und Verliesen auffällig

Kellerverliese fänden sich zwar auch in anderen Nationalliteraturen, die Häufung von gewalttätigen, oft missbrauchenden Vaterfiguren sei in der österreichischen Literaturgeschichte allerdings auffällig, schreibt der Autor. Schon Raimunds Rappelkopf ("Der Alpenkönig und der Menschenfeind", 1828) zeige Grundzüge davon.

Der Protagonist von Stifters "Turmalin" (1852), sperrte Frau und Tochter gar in den Keller, der Hauswart und ehemalige Polizist Benedikt Pfaff in Elias Canettis "Blendung" (1935) schließt seine Tochter nach dem Tod der Frau in ein Hinterzimmer, wo er sie, Hinweisen im Text zufolge, auch sexuell missbraucht. Elfriede Jelinek schließlich habe mit "Lust" (1989) eine scheinbar übertriebene Satire häuslicher Gewalt vorgelegt, die nun aber "von der Realität unvorstellbar übertroffen" wurde.

"Nachsicht gegenüber väterlicher Autorität"

Mit Hinweisen auf das "Züchtigungsrecht", das Vätern und Ehemännern in der österreichischen Rechtsprechung vor 1918 zustand, sowie auf die Rolle der katholischen Kirche, die in dem Bemühen die Familie zu stärken, auch die väterliche Autorität bekräftigt habe, wundert es Robertson nicht, dass auch Sigmunds Freuds Psychoanalyse aus Wien stammt.

Seine Analyse der Dynamik innerhalb der Familie, die "um die ambivalente Mischung aus Liebe und mörderischem Hass gegenüber dem Vater kreist", habe versucht zu zeigen, dass die Familie meist eher das Problem als die Lösung sei. Doch selbst bei seinen Fallstudien ortet Robertson "eine extreme und exzessive Nachsicht gegenüber väterlicher Autorität und ihres Missbrauchs" und "fehlendes Mitgefühl" mit den Frauen und Kindern, die ihr Opfer werden.

"kulturelle Matrix" des Josef F.

"Das ist die kulturelle Matrix aus der Josef F. hervor ging", resümiert der Germanist, der 2006 auch Mitherausgeber einer Österreichischen Literaturgeschichte von 1918 bis 2000 war und schließt aus diesen Beispielen auf "tiefliegende Muster", die die Literatur längst erkannt habe. Ihre Figuren müsse man deshalb als Verkörperung "mancher der verdrehten Energien ('twisted energies'), die in der österreichischen Gesellschaft am Werk sind" verstehen.

(APA)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.