Nic Pizzolatto: Das Leben, fair wie eine Lotterie

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Mit der TV-Serie »True Detective« wurde Nic Pizzolatto berühmt. Davor hat er einen kleinen, feinen Noir-Krimi geschrieben, der ans Herz geht. Dieser ist nun auf Deutsch erhältlich.

Im Jahr 2010 erschien der gerade einmal 243 Seiten umfassende Noir-Krimi „Galveston“ des jungen und damals noch unbekannten Autors Nic Pizzolatto in den USA. Das Buch verkaufte sich trotz Edgar-Nominierung nicht sonderlich aufregend, das Medienecho blieb gering. Bloß Ausnahme-Krimiautor Dennis Lehane („Mystic River“, „Shutter Island“) verglich „Galveston“ angesichts seiner Authentizität und seiner „furchtlosen Menschlichkeit“ in seiner Rezension in der „New York Times“ mit großen Werken des Noir wie James Ellroys „Schwarze Dahlie“.

Die einzigen Fehltritte mache er, so Lehane, auf den ersten Seiten, wenn er seine zwei Hauptfiguren zu hastig durch blut- und eingeweidespritzende Szenen („Heißes Blut sprudelte mir über Gesicht und Mund“) jage sowie harte Kerle zu sehr ihre Harte-Kerle-Blicke aufsetzen lasse. Ansonsten aber habe er ein Buch von „unerträglicher Schönheit“ geschrieben.

Lehane hat mit seinem Urteil vollkommen recht. Nach den etwas klischeebeladenen ersten Seiten nimmt Pizzolatto seine Leser auf eine ungewöhnliche Reise mit. Antiheld Roy Cady, ein in die Jahre gekommener Berufsverbrecher, erlebt gleich zu Beginn einen alptraumhaften Tag. Der ärztlichen Diagnose am Vormittag, dass er nicht mehr lange zu leben habe, folgt eine für ihn beinahe tödliche Falle seines Arbeitgebers am Abend, die mit ein paar Leichen in einem Motelzimmer endet. Cady befindet sich nicht unter den Toten – und ist ab sofort mit dem fast noch minderjährigen Mädchen Raquel, auch Rocky genannt, auf der Flucht. Die beiden geben ein seltsames Paar ab, aus dem kurz darauf mit dem vierjährigen Mädchen Tiffany, der Schwester von Rocky, ein ebenso ungewöhnliches Trio wird.

„True Detective“-Erfinder.
Mittlerweile kennt man Pizzolatto sehr gut, gilt er doch als Erfinder der Serie „True Detective“ in den USA als Retter des Fernsehens – als hätte es „Sopranos“, „The Wire“ und „Breaking Bad“ nie gegeben. Die TV-Serie mit den beiden Hollywood-Stars Matthew McConaughey und Woody Harrelson ist zweifellos eines der am meisten gehypten Medien-Phänomene des Jahres. Da kommt schon einmal der Verdacht einer literarischen Resteverwertung auf. Warum wurde das Buch nicht früher auf Deutsch übersetzt?

In diesem Fall ist Misstrauen jedoch unbegründet: Der kleine Metrolit-Verlag sicherte sich die Rechte noch ehe der durchschlagende „True Detective“-Erfolg absehbar war. Ein Glücksgriff, wie Herausgeber Gunter Blank im lesenswerten Nachwort, „einer kurzen Geschichte des Noir“, zugibt.

Nicht nur die Personen sind in „Galveston“ feindselig, auch die Landschaft. „Abseits der Städte verwandelt Texas sich in eine grüne Wüste, die darauf angelegt ist, dich mit ihrer unermesslichen Weite zu erschlagen. Ein mit Himmel gefüllter Granatwerfer.“ Kurz darauf sprenkelt die Sonne den Golf von Mexiko „mit Napalm“ und die Luft flirrt so stark, „dass sie die Sonne vergrößerte und ihre Strahlen zu Schwerterklingen zusammenschob.“

Vor allem überzeugt Pizzolatto aber mit seinem psychologischen Gespür. Er hat Figuren erschaffen, die zu Leben erwachen und einen auch lange nach der Lektüre begleiten. Roy, Rocky und Tiffany bleiben haften. In vielen kleinen, stillen Szenen beschreibt er ihr Leben, ohne in den Betroffenheitstopf zu greifen. Er trägt nie dick auf und erzählt präzise und stimmig von Außenseitern, die ihren Platz in der Gesellschaft suchen.

Menschlichkeit macht Mut. Sein Buch ist ein schonungslos authentisches sowie ein trauriges, aber kein hoffnungsloses. Die Menschlichkeit der vom Leben Gezeichneten, die sich dennoch nicht brechen lassen, macht Mut. Auch wenn sich das manchmal gegenteilig liest: „Manche Erfahrungen überlebt man nicht; selbst wenn man es schafft, nicht dabei draufzugehen, stirbt etwas, und man hört auf, ein intaktes Wesen zu sein.“
Doch irgendwie ist letztlich alles gerecht, wie Cady Rocky einmal zu erklären versucht: „Es kommt einem unfair vor, weil alles zufällig passiert. Aber genau deshalb ist es fair. Verstehst du? Fair wie eine Lotterie.“

Neu Erschienen

Nic Pizzolatto
„Galveston“
übersetzt von Simone Salitter und Gunter Blank
Metrolit Verlag, 253 Seiten, 20,80 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2014)

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