Peter Turrini: „Alles ruft: Kauf, kauf, lauf, lauf!“

Peter Turrini
Peter Turrini (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Wie ein Psychiater den Autor mit einem Gedicht gerettet hat und wie schwer es mit 70 ist, ein guter Mensch zu werden: Peter Turrini sprach mit der „Presse“ über sein Leben und den Menschen als „Fraß der Ökonomie“.

Die Presse: Die Kindheit in Ihrem neuem Erinnerungsbuch „C'est la vie“ atmet viel Unglück, Verlorenheit. Aber wir erinnern nicht nur, was wir erinnern müssen, sondern auch, was wir wollen. War der kleine Peter wirklich so ein unglückliches Kind?

Peter Turrini: Ich habe ein Talent zum Lustigsein, aber kein Talent zum Vergessen. Die Kindheitserinnerungen verlassen mich einfach nicht, vor allem die betrüblichen kommen mir immer wieder ins Gedächtnis und ins Gemüt, obwohl ich sie liebend gern loswerden würde. Was allerdings davon „wahr“ ist und was ich mir einbilde, weiß ich selbst nicht mehr so genau. Die menschliche Seele ist ja eine einzige Verwirrnis, und warum sollte es die Erinnerung nicht sein.

Mönch, Papst, Friedensstifter wollten Sie u.a. werden, und Sie schreiben: „Ich möchte mit allen Mitteln ein guter Mensch sein.“ Woher kommt/kam dieses Bedürfnis hauptsächlich: von ihrer kirchlichen Sozialisierung oder vom Elternhaus?

Unser Elternhaus lag direkt im Schatten eines großen Domes, da sind ja einige katholische Schädigungen vorgegeben. Ich war Ministrant, und außerdem hatte ich sehr lang das Gefühl, der liebe Gott beobachtet alles, er schaut sogar durch die Oberlichte des WCs und notiert jede Unkeuschheit. Ganz wird man diese katholische Vergiftung nie los. In jungen Jahren habe ich öfters gebeichtet, da konnte man immer neu damit beginnen, ein guter Mensch zu sein. Aber was mache ich jetzt, mit 70 Jahren?

Amourös waren Sie als Teenager wenig erfolgreich, was das Künstlerwerden vermutlich mehr fördert als jugendliche Zufriedenheit. So gesehen hatten Sie Glück?

Im Nachhinein betrachtet ja. Aber wenn man aufwächst, sich eine Menge unglückliche Dinge in einem versammeln, dann denkt man doch nicht: Das tut jetzt weh, aber für eine kommende Literatur ist das ziemlich günstig. Als Kind wollte ich zu den anderen Dorfkindern gehören und als Jugendlicher bei den Mädchen ankommen. Beides hat nicht so richtig funktioniert. Gott sei Dank blieb als Ausweg die Kunst. Eine freiwillige Wahl war das allerdings nicht.

Ein von Ihnen konsultierter Psychiater hat bei Ihnen ein „unstillbares Bedürfnis nach fürsorglichen Krankenschwestern“ diagnostiziert, weil Sie als Baby schwer krank und lang im Spital waren. Die „Therapie“ des Stückeschreibens hat Ihnen nicht gereicht?

In der Regel reicht sie. Aber vor einigen Jahrzehnten ist mir plötzlich die Sprache ausgeblieben und die Düsternis war umfassend. Gott sei Dank hat mich der behandelnde Arzt mehr oder weniger dazu gezwungen, bei der Visite ein Gedicht vorzulegen. Die Sprache war die Leiter, mit der ich aus diesem Rex-Glas wieder herausgeklettert bin. Ein Frosch mit Gedichten sozusagen.

Sie lagern Ihr Unglück auf Ihren Figuren ab und befreien sich selbst dadurch ein bisschen davon, für kurze Zeit. Wie hilft Ihnen dabei der Zuschauer? Wirkt Unglück menschlich verbindender?

Das ganze eigene Glück oder Unglück macht auch in der Literatur nur einen Sinn, wenn es Gefühle, Erinnerungen, Assoziationen bei anderen Menschen auslöst. Alles andere wäre ja reine Privatsache.

Wie gut „vertragen“ Sie im Alltag unglückliche Menschen?

Lieber habe ich glückliche und fröhliche Menschen um mich herum, aber wenn das Unglück an mich herangetragen wird, dann versuche ich halt zu helfen. Bei manchen Unglücken kenn ich mich ja ganz gut aus. Aber damit das Bild hier nicht zu düster gerät, sage ich Ihnen, dass ich enorm viel Glück und Fröhlichkeit ertragen kann.

Das österreichische Theater war für Sie Heimat. Ist es das immer noch?

Ja.

Gehen Sie noch gern ins Theater, interessieren Sie sich für junge österreichische Autoren?

Wenn man an der niederösterreichisch-tschechischen Grenze lebt, ist die Theatergeherei ein Problem. Außerdem bin ich zumeist in der eigenen Stückeschreiberei gefangen und die dauert zumeist bis spät nächtens. Für junge Autoren interessiere ich mich nachhaltig, meine Verlegerin, die Maria Teuchmann, schickt mir immer wieder Neues und Frisches zu.

Das Buch endet gewissermaßen mit Ihrem Tod. Das Wissen, bestimmte Dinge nie tun zu können, die einem wichtig gewesen wären, kann einen aber schon zu Lebzeiten begleiten. Schleppen Sie viel davon mit sich herum?

Nicht im Geringsten. Ich habe immer das Gefühl, dass ich mit dem Leben quitt bin, dass ich alles erlebt habe. Auch wenn vieles nicht in der Wirklichkeit stattgefunden hat, war es doch in meinem Kopf und in meinem Gemüt. Und das war manchmal viel schöner.

Ihr Verhältnis zum schweigenden Vater berührt. Wie ist er gestorben? Sind Sie ihm bis zuletzt nicht nähergekommen?

Er ist sehr früh gestorben, ich war zwanzig Jahre alt. Ab meinem fünfzehnten Lebensjahr bin ich immer wieder zum Großvater nach Italien gefahren und habe den italienischen Dialekt, den lombardischen, gelernt. In meiner Kindheit war mein Vater ein sehr schweigender Mensch, aber kurz vor seinem Tod haben wir miteinander in diesem Dialekt geredet. Es gehört zu meinen schönsten Erinnerungen.

Es gab eine Zeit, da fühlten sich Schriftsteller kompetent als Kommentatoren des politischen Geschehens. Das Gefühl scheint dem der Ohnmacht und Ignoranz gewichen zu sein. Leiden Sie darunter?

Das politische Geschehen in Österreich zu kommentieren, wie ein Pawlow'scher Hund, das kann ich in der Tat nicht mehr und will es auch nicht. Grundsätzliche Dinge wühlen mich mehr denn je auf. Wir werden doch zunehmend zum Fraß der Ökonomie. Es gibt auch keine Debatte um öffentliche Fragen, es gibt nur noch die Verwertbarkeit des Menschen als Kundschaft. Von Rabattmarkerln bis SMS-Nachrichten auf Handys, von Fresssendungen bis Postwurfsendungen, alles schreit und ruft: Kauf, kauf, lauf, lauf! Der Mensch gerät immer tiefer in die Verwertungsmaschine, mit Leib und Seele.

JOSEFSTADT: „C'EST LA VIE“

Die Turrini-Revue „C'est la vie“ hat am 17.9. am Theater in der Josefstadt Premiere. Sie beruht auf älteren und jüngeren autobiografisch gefärbten Texten in Turrinis neuem Buch „C'est la vie“ (Zsolnay). Turrini, geb. am 26.9.1941, wuchs in Kärnten auf und wurde in den Siebzigerjahren durch die Stücke „Rozznjogd“, „Sauschlachten“ und die TV-Serie „Alpensaga“ bekannt. Weitere Werke u.a.: „Tod und Teufel“, „Alpenglühen“, „Josef und Maria“, „Die Minderleister“, „Die Schlacht um Wien“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2014)

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