Starke Frauen in Israel: Von Kopftüchern und Hörnern

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Kaum eine Gesellschaft wird so sehr von Frauen geprägt wie die israelische: Das Buch "Starke Frauen in Israel" zeichnet ein vielfältiges, widersprüchliches Bild. Ein Textauszug.

In den ersten Tagen nach der Hochzeit ist das Kopftuch wie eine Krone. Ich trage es und spüre, dass jeder weiß, dass ich kein Kind mehr bin. Ich bin einundzwanzigeinhalb, aber schon verheiratet! Die Krone ist ein bisschen eng, aber die Aufregung, oh, diese Aufregung ...“

Rivka Neria Ben-Shahar beschreibt in einem Text ihre komplexe Beziehung zu dem Kopftuch, das sie als verheiratete religiöse jüdische Frau tragen muss. Es begleitet sie seit ihrer Hochzeit und sitzt nicht immer bequem, wird manchmal zu eng und manchmal brennend heiß: „Ich unterrichte an der Universität. In den ersten Vorlesungen sind die Studenten immer etwas schockiert – eine Vortragende mit langem Kleid und Kopftuch? Irgendwann habe ich ihnen gesagt, dass ich kein Horn darunter verstecke. Vielleicht hat sie das beruhigt ...“

Über die Zeit, in der sie noch selbst als Studentin Vorlesungen über feministische Theorien hörte und von „der männlichen Dominanz über den Körper der Frau“ lernte, schreibt sie: „Tausende Hämmer klopften gleichzeitig in meinem Kopf. Das Kopftuch – dünn und delikat – schien zu glühen. Ich war mein ganzes Leben lang religiös, aber ich war auch schon als kleines Mädchen (so sagt man) feministisch. Und jetzt bin ich Feministin von Beruf und halte selbst Vorlesungen zu dem Thema. Wie kann ich diese männliche Dominanz über meinen Körper dulden?“


Radikal. Der Text hat mich neugierig gemacht und ich verabrede mich mit Rivka Neria Ben-Shahar für ein Gespräch in einem kleinen Lokal in Baka, einem Viertel von Jerusalem, für nach acht Uhr abends, wenn sie von der Uni zurück und ihr kleiner Sohn im Bett ist. An ihrem Kopftuch, dem einzigen im ganzen Raum, ist sie leicht zu erkennen. Dazu trägt sie einen altmodisch anmutenden, bordeauxfarbenen Wollschal über dem langen Kleid. Während sie auf mich wartet, nutzt sie jede kostbare Minute und macht sich Notizen für ihre Vorträge am kommenden Tag. Rivka sieht aus wie eine streng orthodoxe Frau, doch sie ist auch Akademikerin und radikale Feministin, unterrichtet am Sapir College, einer säkularen Universität, und hält immer wieder Vorträge auf internationalen Kongressen. Unser Treffen findet kurz vor ihrer nächsten Reise zu einer Konferenz in Südamerika statt.

Es gibt unter den orthodoxen Juden viele verschiedene Strömungen und Gruppierungen. Sie alle leben nach der gleichen Thora, aber mit kleinen Abwandlungen, oft nach den Lehren und Anweisungen ihres jeweiligen Rabbiners. Über zwanzig Prozent der Israelis sind „Schomrei Schabbat“, halten also den Schabbat und einen Teil der religiösen Gebote ein. Knapp die Hälfte davon ist streng religiös. Man nennt sie auf Hebräisch „Charedim“, die Gottesfürchtigen. Sie leben in einer Art Parallelgesellschaft, meist in eigenen Wohnvierteln, nach strengen religiösen und gesellschaftlichen Vorschriften – aber auch unter ihnen gibt es verschiedene Auslegungen der Religion. [...] Rivka stammt aus einer sehr orthodoxen, aber zionistischen Familie. Sie selbst lässt sich nicht gerne durch eine Definition „in eine Box stecken“, aber wenn es sein muss, dann definiert sie sich als „orthodox“ oder als „Shomeret Mizwot“ – „die religiösen Gebote einhaltend“. Von ihrem Erscheinungsbild her würde sie genauso gut in ein ultraorthodoxes Viertel passen. Die Kopfbedeckung ist in ihren Kreisen ein absolutes „Must“, und da ihr Mann angeblich Hüte nicht ausstehen kann, trägt sie ihr berühmtes Kopftuch. [...]

Über ihr Doktoratsstudium sagt Rivka heute: „Das war ein unheimlich wichtiges Projekt für mich. Und mein Mann hat mich total unterstützt.“ Wenn man sie fragt, wieso es zwischen ihren Mädchen, sie sind fünfzehn und zwölf Jahre alt, und ihrem vierjährigen Sohn so einen großen Altersunterschied gibt, antwortet sie: „Weil ich die Pille genommen habe“, und: „Weil ich mein Doktorat gemacht habe.“ Beide Antworten sind für eine konventionelle jüdisch-orthodoxe Frau undenkbar: Denn diese nimmt auf keinen Fall die Pille, bekommt also beinahe jedes Jahr ein Kind, und sie gibt auch nicht einer Promotion den Vorzug vor weiteren Geburten. Der Druck, möglichst viele Kinder zu bekommen, ist in der orthodoxen Gemeinde besonders groß.

Religiös. Rivka hat noch als Hochschwangere fünf Kurse auf der Uni gegeben, darunter auch jenen über radikalen Feminismus und die Herrschaft der Männer über den weiblichen Körper: „Und dann komme ich nach Hause und sehe mich im Spiegel, mit meinem langen Kleid, mit den langen Ärmeln und dem Kopftuch. Es ist wie eine Persönlichkeitsspaltung. Und es ist nicht einfach, in meinem Aufzug vor einer Klasse oder auf einem internationalen Kongress vor dem Publikum zu stehen und einen Vortrag zu halten. Ich muss mich dauernd gegen alle Vorurteile beweisen, beweisen, dass ich ,kein Horn‘ unter dem Kopftuch habe. Aber ich bin beides – religiös und feministisch – und ich will keines von beiden aufgeben.“

Frauen-Porträts

Israel gilt als fortschrittlicher Staat, in dem die Geschlechter offiziell gleichgestellt sind. Doch in vielen ethnischen und religiösen Gruppen werden trotzdem Frauen nach wie vor benachteiligt oder eingeschränkt.

Daniela Segenreich: „Zwischen Kamelwolle und Hightech. Starke Frauen in Israel“, Styria Verlag, 176 Seiten, 22,99 €.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2014)

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