Carlo Lucarelli: "Ich reiße euch das Herz heraus!"

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Keiner schreibt so selbstverständlich über Brutalität wie der Italiener Carlo Lucarelli. In seinem neuen Krimi, »Bestie«, geht es auch um den Niedergang Italiens und die Wut der Bürger.

Ganz Italien ist doch so“, sagt Kommissar Sarrina. „Alle auf verlorenem Posten, alle wütend.“ Und einer ist ganz besonders wütend, „tollwütend“ könnte man fast wortschöpfen: ein Mörder, der Bologna unsicher macht, seine Opfer auf bestialische Weise attackiert, regelrecht zerfleischt und nur eine Art Geifer am Tatort zurücklässt. Abstoßend, ohne Zweifel, aber doch ist Sarrina sich sicher: „Wenn wir die Leute fragten, würden sie diesen Kampfhund nicht ins Gefängnis werfen, sondern in die Regierung wählen.“

Das liegt daran, dass die „Bestie“ – so der Titel des jüngsten Krimis von Carlo Lucarelli – ihre Opfer offenbar nicht zufällig auswählt. Auf den ersten Blick wirken sie beliebig, auf den zweiten sind sie durchaus symbolträchtig: der Sohn einer Mafia-Patin, eine Immobilienspekulantin und ein Lkw-Fahrer, der gerade Giftmüll entsorgt – ein repräsentativer Querschnitt der Symptome all dessen, an dem das moderne Italien krankt.

„Bestie“ hatte es kurz nach seinem Erscheinen bereits auf die renommierte „Krimi-Bestenliste“ der „Die Zeit“ geschafft – und das, obwohl Carlo Lucarelli im deutschsprachigen Raum noch nicht so bekannt ist, wie er das durchaus verdienen würde. Lucarelli, 1960 in Parma geboren und heute in Bologna ansässig, schreibt seit 1990 Kriminalromane. Er unterrichtet an Alessandro Bariccos „Scuola Holden“ kreatives Schreiben, spielt in einer Post-Punk-Band und präsentiert eine Sendung über ungelöste Kriminalfälle im italienischen Fernsehen. Der literarische Durchbruch gelang ihm mit der Reihe um Kommissar De Luca, der im Italien der Nachkriegszeit Fälle löst, deren Tentakel immer wieder in die faschistische Vergangenheit zurückreichen.


Allein unter Männern. Seine zweite bemerkenswerte Figur schuf Lucarelli mit der Bologneser Kommissarin Grazia Negro – eine der wenigen weiblichen Ermittlerinnen in der italienischen Krimilandschaft. Negro war bereits in „Der grüne Leguan“ (1999) und in „Der Kampfhund“ (2002) im Einsatz. Ihr Markenzeichen ist die Lust an der Jagd, eine unkonventionelle, intuitive Form der Ermittlung; ihr Pech, dass sie meistens dem Täter zu nahe kommt. Von Anfang an glaubt Negro nicht an die Theorie ihrer Vorgesetzten, dass die Morde auf das Konto staatsfeindlicher Elemente gehen. Als sie der Wahrheit auf die Spur kommt, kostet sie das fast das Leben. Mehr kann man nicht erzählen, denn Lucarelli droht „verräterischen“ Rezensenten ganz unverblümt, wenn auch augenzwinkernd: Nichts sagen, „sonst hole ich euch der Reihe nach und reiße euch das Herz heraus“.

Obwohl „Bestie“ aus ganz ähnlichen Elementen konstruiert ist wie „Der Kampfhund“, nimmt man das Lucarelli nicht übel. Erstens schreibt niemand so gekonnt nüchtern über Brutalität wie der Italiener; zweitens sind seine Figuren vielschichtig und überzeugend; drittens kann er Spannung sogar dann noch aufrechterhalten, wenn eigentlich schon alles klar ist; und viertens sind seine Bücher viel mehr als nur Krimis: Collagen aus der Erzählung selbst, aus Liedtexten, aus Gedichten (in „Bestie“ kommt Hans Magnus Enzensberger prominent vor) und anderen Textarten. Diese Elemente so zu verbinden, dass der Lesefluss dadurch nie gestört wird, ist eine Kunst. Lucarelli beherrscht sie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2014)

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