Bungeespringer ohne Rettungsseil

(c) imago/Horst Galuschka
  • Drucken

Karen Köhlers Buch »Wir haben Raketen geangelt« erzählt von Menschen, die Liebeskummer, Verlust und Existenzangst erfahren. Doch ihr Sprachwitz lindert den Schmerz.

Es gibt ein Werbeetikett, das die Kaufverlockung einer Neuerscheinung in der Buchhandlung sekundenschnell in ein „Dann doch lieber nicht“ verwandelt. Zumindest ist das meine bescheidene Erfahrung. Dieses Etikett heißt „junge deutsche Erzählerin“.

Vor einem Jahrzehnt bewarb man die Vertreterinnen dieser Literatur noch als „Fräuleinwunder“. Da das ziemlich despektierlich und altbacken klingt (wer möchte schon ein Fräulein sein?), sind die Marketingabteilungen der Verlage mittlerweile davon abgekommen: Aus den Fräulein sind Frauen geworden. Doch die unter diesem Etikett angebotene Literatur ist in Grundzügen dieselbe geblieben: ichbezogen, beschränkt auf die im Allgemeinen recht ereignisarme Lebenswelt der Mittelklasse, ein Um-den-heißen-Brei-Herumschreiben. Manche nennen diese Texte auch böse Befindlichkeitsliteratur, und es sei nur der Vollständigkeit halber angefügt, dass auch Männer solche Bücher verfassen (diese werden aber anders vermarktet).

Karen Köhler ist auch eine junge deutsche Erzählerin, aber sie verstößt mit allen Regeln der Kunst gegen dieses Etikett, dem viele ihrer Generation allzu gern zu entsprechen versuchen. Sie ist also 1974 in Hamburg geboren, aber man sollte trotzdem unbedingt zu ihrem Buch – ihrem ersten! – greifen. Es ist ein Erzählband, der den Titel „Wir haben Raketen geangelt“ trägt.

Selbstverständlich schräg. Köhler macht das, was sich viele andere nicht trauen: Sie hat eigenen Ideen. Sie nimmt sich Raum. Sie zeichnet schräge Figuren und noch schrägere Lebensumstände mit der allergrößten Selbstverständlichkeit: Den Erzählungen der Hamburgerin mangelt es nicht an Dramatik, ja, sie sind sogar übervoll damit ausgestattet, aber man nimmt ihr dennoch alles ab. Alles. Das Leben ist in Auflösung, Menschen stehen an einem Wendepunkt, ein ganz großes Unglück ist im Anmarsch. Und von all dem erzählt sie in einem unaufgeregten Tonfall, geradezu beiläufig, mitunter witzig.

„I tried to drown my sorrows, but the bastards learned how to swim“, wird Frida Kahlo zu Beginn zitiert, und genau das ist der Ton, der sich durch das Buch zieht. In der Erzählung „Il Comandante“ schildert sie etwa die „Krankheitseinöde“ einer jungen krebskranken Frau. Ihren körperlichen Verfall, die Abhängigkeit von den Visiten der Ärzte, die Angst vor dem Ende der Beziehung. Die Angst vor dem Ende überhaupt. Als sie sich mit einem Patienten anfreundet, einem spanischsprachigen sonderbaren Vogel namens Cesar, werden ihre Treffen bei Banana Split für sie zum Lichtblick im tristen Alltag. Eines Tages ist sein Bett leer. „I hope they serve Banana Split in Heaven“, schreibt sie ihm ein SMS.

In einer anderen Erzählung verschwindet eine Frau im Wald. Sie richtet sich mit ein paar Habseligkeiten auf einem Hochstand ein, schreibt Briefe an ihren verstorbenen Partner B. Es ist eine zusehends dürftiger werdende Chronik einer, die auszog, um nicht mehr zurückzukommen. Am zehnten Tag notiert sie: „Schwupp. Vorbei der Tag. Wieder einer. Der Mond schwebt als schiefe Sichel in der Dämmerung. Eine Trostkrümmung, in die man sich legen mag.“ So schreibt Köhler: zeitgemäß, aber jargonfrei. Jedes Wort sitzt an seinem zugedachten Platz.

Karen Köhlers Geschichten sind trotz ihrer vielen Schrecken sonderbar tröstlich. Und sie sind so gut, dass sie kein Etikett benötigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.