"Alte Schmiede": Das Abstoßende, Amoralische ihres Tuns

(c) Alte Schmiede
  • Drucken

Weil die Wiener Städtische das Gebäude an einen Immobilienmakler verhökerte, ist das einzigartige Literaturhaus in Gefahr. Ein Abgesang auf Wien 1968 und sozialdemokratische Kulturpolitik.

Vor einigen Wochen zeigte mir Walter Famler, der Generalsekretär des Wiener Kunstvereins, mit sichtlichem Besitzerstolz den neuen Zeitschriftenraum der „Alten Schmiede“ mit Literatur- und Kulturzeitschriften aus ganz Europa. Soeben war nämlich – auch das sinnträchtig – die Zukunftswerkstatt der SPÖ aus den Räumlichkeiten ausgezogen. Was ihm, dem kritischen Linken, damals vorschwebte, war, aus dem Altwiener Haus im ersten Bezirk einen Treffpunkt für Kultur zu machen, mit Wohnungen für Literaten und Künstler und eventuell gar einem kleinen Forschungszentrum.

Mittlerweile ist, wie auch in der „Presse“ zu lesen stand (vgl. Michael Hammerschmids Aufruf in der Wochenendausgabe vom 7./8. Juni), der Bestand der Alten Schmiede ernsthaft in Gefahr; Famler und sein Team müssen buchstäblich ums Überleben kämpfen. Der bisherige Besitzer des Hauses, die Wiener Städtische, die jahrelang im Vorstand des Trägervereins der Alten Schmiede vertreten war, hat das Haus, das sie einstmals für einen Pappenstiel erworben hat, zu einem kolportierten Preis, der nahe an die sechs Millionen Euro heranreicht, an einen Immobilienmakler verhökert.

Ein Lehrstück in moderner Ökonomie

Sie ist jetzt keine kommunale „rote“ Versicherung mehr, sondern eine Aktiengesellschaft, die sich nicht lange mit Literatur und Kunst aufhalten will. Ein besonders abstoßendes Lehrstück in moderner Ökonomie. Zugleich ein Nachruf bzw. Abgesang auf Wien 1968. Begonnen hat nämlich die ganze Geschichte im Umfeld von 1968, in den Aufbruchszeiten sozialdemokratischer Kulturpolitik in Wien: Aus der einstigen Schmiede wurde kein Schmiedemuseum, der kommunale Verlag Jugend&Volk zog darin ein, schließlich übernahm die wiederum kommunale Wiener Städtische das Areal.

Und dann begann die fast einmalige Erfolgsgeschichte des vermutlich ältesten Literaturhauses im deutschsprachigen Raum. Liest man die Programme von einst und jetzt, so fehlt fast kein klingender Name der deutschsprachigen Literatur. Als Famler zum Generalsekretär avancierte, brachte er die Zeitschrift „Wespennest“ sowie ein europäisches Zeitschriftennetzwerk ein. Ein Stück literarischer Infrastruktur, ein Ort der viel beschworenen „Nachhaltigkeit“ im Bereich von Kultur, das nun ohne ersichtliche Not ins Trudeln gerät, weil die Politik verweigert, wofür sie zuständig ist: Verantwortung. Entgegen allem Augenschein war die Kohabitation von Literatur und Politik übrigens kein einseitiges „Geschäft“: denn die (Wiener) Sozialdemokratie, die Literatur förderte und finanzierte, erwarb sich durch diese Verbindung symbolisches Kapital, Ansehen. Sie wurde – gut sichtbar in der nachfolgenden Ära der gewiss eigenwilligen, aber profilierten Ursula Pasterk – eine aufgeklärte, urbane, moderner Kunst gegenüber aufgeschlossene politische Stadtpartei.

Damit ist es wohl ein für allemal vorbei. Im Neoliberalismus, den gerade die Wiener Sozialdemokratie rhetorisch so gerne attackiert und den sie doch seit Jahren klammheimlich befördert, ist der Spielraum für eine ambitionierte Kulturpolitik, die sich nicht den Gesetzen des Marktes und der Spaßkultur – siehe Euro 2008! – unterwerfen will, augenscheinlich eng geworden. In der Neuen Ökonomie gibt es keine politische Verantwortung: die Politik, die alles privatisiert, hat auf das Privatisierte keinen Einfluss mehr.

Die Werbung mit Klein-Maxis Tortenstück

Die Wiener Kulturpolitik will oder kann der „Alten Schmiede“ nicht helfen, weil das Haus ja der nunmehrigen Aktiengesellschaft gehört, die sich an dem einstmaligen Kommunalbesitz eine goldene Nase verdient, ja und die Wiener Städtische, die in ihrer aggressiven Fernsehwerbung den Zeitgeist der De-Solidarisierung feiert (Papi bekommt nichts von Klein-Maxis Tortenstück ab, deshalb muss man sich rechtzeitig lebensversichern), kann natürlich auch nichts anderes tun, als die fragliche Immobilie möglichst hochpreisig an wen auch immer zu veräußern. Die Literatur kommt dabei zum Handkuss; nun soll sich Famler mit dem neuen Eigentümer herumschlagen, der das teuer Erworbene wiederum gewinnbringend anlegen möchte. Da ist die Literatur, die bisher einen Gutteil des Hauses besetzt, ein ungebetener Gast. Deren einzige Trumpfkarte ist offenkundig ein wasserdichter Mietvertrag, der aber im besten Fall den Status quo sichert. Und der Eigensinn Famlers, der – ganz zum Ärgernis seiner „Genossen“ – an seinen linken Ansichten und an der Literatur festhält.

Bemerkenswert an der Causa ist das offensichtlich fehlende Bewusstsein der Beteiligten für das Abstoßende und Amoralische ihres Tuns. Das hat mit dem neuen ökonomischen Fatalismus zu tun. Ist die ökonomische Eigenlogik wirklich so zwangsläufig, wie jene suggerieren, die sich aus der Verantwortung stehlen wollen? Doch wohl nur, wenn man davon ausgeht, dass das ökonomisch Profitabelste immer schon die politisch beste Lösung ist. Befand sich die Wiener Städtische aber wirklich in einer ökonomischen Zwangssituation, aus der heraus sie das Haus unbedingt zum höchstmöglichen Preis hat verkaufen müssen? Und hätte sich der Kulturstadtrat Mailath-Pokorny nicht rechtzeitig mit allen Beteiligten zusammensetzen können, um eine Lösung zu finden, etwa ein Stiftungsmodell, eine Kooperation zwischen Stadt, Eigentümer und Kunstverein?

Man kann prosperierenden Unternehmen auch in den kapitalistischsten aller Welten nicht verbieten, sich aktiv für Kunst, Kultur und Wissenschaft einzusetzen. In den heute offenkundig als so vorbildlich angesehenen anglo-amerikanischen Ökonomien wird gerade auf solche Firmen erheblicher Druck ausgeübt, sich im sozialen, kulturellen oder wissenschaftlichen Bereich zu engagieren. Dahinter steckt die Idee, dass es so etwas wie eine soziale Verantwortung und ein soziales Gewissen gibt, dass der ökonomisch Glückliche etwas rückzuerstatten hat.

Kapital ersetzt nicht Kulturpolitik

Von den vier Millionen Euro Reingewinn, die die Transaktion der Versicherung wohl eingebracht hat, ließen sich, dem Musilschen Möglichkeitssinn folgend, einige kluge und wirksame Projekte in der Alten Schmiede finanzieren. Und wenn all jene Unternehmen, die nach 1989 in Zentraleuropa so unverschämt viel Geld verdient haben, nur einen Bruchteil in jene Bereiche investieren würden, die zwar selber nicht so ergiebig sind wie Immobilien, aber doch zur symbolischen Infrastruktur einer modernen komplexen Gesellschaft gehören, dann stünden Literatur, Film, Musik, schönen Künsten und Wissenschaften Mittel zur Verfügung, die Österreich wirklich zu einer kleinen Großmacht nicht nur im Bereich des kulturellen Erbes, sondern auch auf dem Feld der Innovation machen könnten.

Man braucht nicht in eine antikapitalistische Rhetorik zu verfallen, um die These zu riskieren, dass Geld und Kapital aus politischer Sicht kein Selbstzweck sein dürfen. Ökonomie ist nicht alles. Sie kann und darf Politik nicht ersetzen, schon gar nicht Kulturpolitik.

Wolfgang Müller-Funk ist Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker. Er lehrt am Institut für Germanistik der Uni Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.