Literatur: Noch immer vom Krieg besessen

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A. L. Kennedy, am Sonntag mit dem Österreichischen Staatspreis für Literatur geehrt, erzählt über die Obsession des Schreibens und schottische Flüche.

Die Presse: Stimmt es, dass Sie Ihre Werke im Bett liegend schreiben wie einst Marcel Proust?

A. L. Kennedy: Ja. Viele Dichter haben das getan. Mark Twain etwa oder Stevenson. Kinder gewöhnen sich ans Fantasieren, indem sie sich niederlegen. Ich mache das aber auch wegen meiner Rückenschmerzen.

Ist das Schreiben für Sie eine Obsession?

Kennedy: Ja. Alles, was man exzessiv betreibt, ändert deinen Geist. Schreiben ist eine Art Meditation mit einem langen, komplizierten Mantra. Es kann sowohl beglückend als auch belastend sein. Wenn man Glück hat, ist man ganz außer sich, existiert außerhalb des Schreibens gar nicht mehr. Es ist netter als ein gewöhnlicher Job. Man muss es sich bewahren, dass dieser Job ein Genuss ist.

Sie haben einen zeitgeschichtlichen Roman geschrieben, dessen Held Alfred Day Schütze auf einem Bomber im II. Weltkrieg ist, ein kleiner Mann mit viel Aggression und Sehnsucht nach Liebe. Kennen Sie solche Leute?

Kennedy: Ich habe viele Menschen kennen gelernt, die Bomben-Einsätze geflogen sind, viele Verwandte dieser Menschen aus der Royal Airforce haben mir auch geschrieben, aber Alfred Day habe ich erfunden. Er muss immer ums Überleben kämpfen und wollte das eigentlich gar nicht. Er wollte Menschen, die er liebte, retten, und das ist ihm nicht gelungen. Er beginnt erst, die Dinge zu verstehen, das ist sehr schmerzhaft. Wir sind in Großbritannien noch immer vom Zweiten Weltkrieg besessen. Meine Großeltern, die im Krieg in Mittelengland in einem Industriegebiet lebten, so wie Day, haben mir viel darüber erzählt.

Der Krieg hat Sie also gepackt?

Kennedy: Ich habe die Anziehungskraft des Militärs beschrieben. Im Krieg kann man schreckliche, aber auch heroische Dinge tun. Ein einfacher Beamter kann zum Helden werden, indem er Menschen aus Katastrophen rettet. Ein Bekannter meiner Großeltern war Kriegsgefangener der Japaner, der hatte einen schrecklichen Krieg. Ist es nicht seltsam, dass man noch immer glaubt, einen Krieg gewinnen zu können, wenn man ausreichend Zivilisten bombardiert? Man müsste doch wissen, dass dies in einem Verbrechen endet. Das funktioniert nicht. Die Strategie von Bomber Harris hat nur in Äthiopien funktioniert.

Lesen Sie viel oder stört das beim Schreiben?

Kennedy: Das geht bei mir phasenweise. Wenn ich an einem Buch arbeite, ist das Lesen nicht entspannend. Ich schaue mir dann lieber Filme an. Wenn ich fertig bin, lese ich eine Menge Bücher.

In Ihrem Werk dominieren innere Monologe. Das ist bereits eine bewährte Form seit hundert Jahren, erfordert aber höchste Konzentration. Haben Sie es gerne kompliziert?

Kennedy: Diese Schreibweise wird verschieden definiert. Ich denke nicht darüber nach, ob sie zeitgemäß ist. Sie gilt als modernistisch. Ich möchte damit so nah wie möglich an den Protagonisten kommen, an Erfahrungen, die nur wenige haben; dass auf einen geschossen wird, dass man verrückt wird. Ich möchte, dass die Leser meinen, mit Alfred Day im Flugzeug zu sein und den Horror zu erleben.

Im Verlauf des Romans gewöhnt man sich an diesen Day, macht mit ihm eine Entwicklung durch. Wie ist das für den Autor. Spielen sie die Szenen aus? Reden Sie mit sich selbst?

Kennedy: Die Vorarbeiten für meine Romane dauern zwei bis drei Jahre. Ich denke mir die Figuren sehr genau aus, springe aber nicht herum und mache sie nach. Ich höre sie.

Werden Sie nach dem großen Erfolg von „Day“ bei historischen Themen bleiben?

Kennedy: Nein. Mein nächstes Buch sind Short Stories, dann kommt ein Gegenwartsroman. Ich mag aber die Periode von „Day“.

Gibt es österreichische Autoren, die Sie lesen?

Kennedy: Ich fürchte, ich weiß nicht einmal, ob ich österreichische Schriftsteller kenne. mein Deutsch ist nicht gut genug, und es gibt wenige Übersetzungen.

Im Vergleich zu Elfriede Jelinek oder Thomas Bernhard sind Sie geradezu eine heitere Schriftstellerin. Deren Werke sind sehr dunkel.

Kennedy: Das schätze ich an der europäischen Sensibilität. Es gibt sie auch bei uns in Schottland. In Großbritannien tendiert man mehr zur amerikanischen, infantilen Sensibilität des happy ending.

Der schottische Humor gilt als bizarr. Was sind Ihre Lieblingsflüche?

Kennedy: Die Beleidigungen konzentrieren sich auf die Genitalien und die Mutter. Es gibt eine schottische Tradition: Man schreibt beleidigende komische Gedichte, eine Eigenart der Highlands. Da wird einem ein Bulldogen-Gesicht angedichtet, dann hat auch schon seine Mutter so eines, das wird zu einer Geschichte ausgeschmückt. Bei kleinen Völkern ist es vernünftiger, sich poetisch zu beleidigen als sich zu töten.

Henry James schrieb, dass ein Schriftsteller einsam sei. Hat er recht?

Kennedy: Er hat recht. Wenn man jung ist, weiß man das noch nicht. Ich habe sehr früh mit dem Schreiben begonnen. Wenn man diese Entscheidung trifft, ist es sehr schwer, ein normales Leben zu führen. Schreiben ist sehr fordernd, für Ehemänner und Ehefrauen ein Desaster. Für Schriftstellerinnen ist es sogar noch härter, weil das Rollenmodell eher auf Männer passt. Wenn ich schreibe, merke ich nichts um mich herum.

Welche Ambitionen haben Sie noch?

Kennedy: Mit dem Ergebnis ist man nie zufrieden, vor allem gilt das für die älteren Sachen. Ich hoffe immer, dass das nächste besser wird. Mit meinen Freunden rede ich kaum über das Schreiben. Manchmal sagen mir Leser, dass ihnen meine Bücher geholfen haben. Was will man mehr erreichen?

ZUR PERSON

Die schottische Autorin Alison Louise Kennedy (42) wurde am Sonntag in Salzburg mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur 2007 ausgezeichnet.

Neben fünf Romanen (zuletzt, 2007, „Day“) umfasst ihr Werk Erzählungen, ein Sachbuch, Theaterstücke, TV-Drehbücher, Hörspiele. Sie ist auch Stand-up-Comedian.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2008)

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