Furiose Frauen als Systemfehler

37. TAGE DER DEUTSCHSPRACHIGEN LITERATUR: NADINE KEGELE
37. TAGE DER DEUTSCHSPRACHIGEN LITERATUR: NADINE KEGELE(c) APA/GERT EGGENBERGER (GERT EGGENBERGER)
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Die Debüts von Christine Koschmieder und Nadine Kegele eint pechschwarzer Humor und Heldinnen, die ihren Sympathiebonus ständig aufs Spiel setzen.

Es ist 1979. Blondie singt „Heart of Glass“: „Feels like the real thing/but I was so blind/Mucho mistrust, love's gone behind.“ Brigitte Mohnhaupt ziert mit dunklen Augenschatten die RAF-Fahndungsfotos und die amerikanische Actrice Jean Seberg, bekannt als „Herald Tribune“ verkaufende Elfe mit raspelkurzem Pixie-Cut aus Jean-Luc Godards „Außer Atem“, wurde gerade tot in Paris in ihrem Auto gefunden.

Diese losen Koordinaten markieren den Beginn einer Geschichte zweier Frauen, die Autorin Christine Koschmieder in ihrem Debüt „Schweinesystem“ geschickt miteinander verwebt. Da ist Shirley Eudora Pasterneck, die in Marshalltown (Geburtsort der Seberg), Iowa, im Mittleren Westen der USA, ein eher tristes Dasein fristet, „umgeben von Maisfeldern, Schlachtanlagen und Futtersilos“. Die meisten Einwohner von Marshalltown arbeiten in einem riesigen Schweineschlachtbetrieb – auch sie und ihr Mann –, doch Shirley sehnt sich insgeheim nach mehr Glamour. Sie möchte aus dem Provinzmief auch stylingmäßig herausstechen und lässt sich einen Afro à la Angela Davis schneiden.

Sonst hat sie aber – vorerst – mit der Bürgerrechtsbewegung wenig am Hut. Dafür lässt sie sich von einer anderen Bewegung einfangen: von Mary Kay, deren Mitarbeiterinnen als selbstständige Schönheitsberaterinnen von Haus zu Haus tingeln und Verkaufspartys für Kosmetika veranstalten. Was wie ein Traum von pinkfarbenen Cadillacs und fetten Provisionen beginnt, endet böse.


„Kleine Terroristin“. Und da ist die Deutsche Elisabeth, Studienrätin und Geografielehrerin, die, inspiriert von Jean Seberg, die Haare raspelkurz trägt und der der Familienalltag – allen voran ihre siebenjährige Tochter Pats – gehörig auf die Nerven geht. Pats bekommt das deutlich zu spüren, als Mutter ist Elisabeth launenhaft, ungeduldig und unbeherrscht. Beim Strumpfhosenkauf mit der Tochter im Kaufhaus zuckt sie in der Warteschlange vor der Kassa aus und verprügelt die Kassiererin mit einem Kleiderbügel. Ihr Mann nennt Elisabeth manchmal „meine kleine Terroristin“, aber: „liebevoll klingt das nicht“. Also beginnt Elisabeth eine Affäre mit einem Kurschatten, der aber nicht das ist, was er zu sein vorgibt. Sie sind nicht unbedingt Sympathieträgerinnen, die beiden Frauen in „Schweinesystem“, die Koschmieder mit Witz, Verve und Erbarmungslosigkeit gegen die Wand fahren lässt. Quasi en passant lässt sie die Frauen mit den politischen Entwicklungen der späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahre (zwischen Terroristenjagd, Emanzipation und Kapitalismusseifenblasen) kollidieren.


Späte Rache. Weniger politisch, aber dennoch nicht ohne Sprengkraft ist die schillernde Prosa der Bachmannpreis-gestählten Nadine Kegele (Publikumspreis 2013). Ihre Heldin Nora wünscht ihrer nach einem Selbstmordversuch im Koma liegenden Mutter den Tod und schläfert deren gesunden Hund ein – als Rache für die lieblose Gewaltherrschaft der Mutter. In Rückblenden auf das Leben der Mutter zeigt sich: Auch die hatte es nicht leicht, und es gibt Parallelen, die die Tochter vielleicht nicht wahrhaben möchte.

Nora ist eine Strauchelnde, die mit ihrer Eifersucht auf die siebenjährige Tochter ihres Freundes hadert und, nachdem der sie verlässt, in eine Krise schlittert. Umgeben ist sie von einer amüsanten, wenn auch leicht holzschnitthaft gezeichneten Frauenclique: Die „Füchsin“ ist Yoga-Fanatikerin, die sich zwei Blutegel als Haustiere hält; Ruth eine bodenständige Lesbe und Religionslehrerin mit Kinderwunsch; und Vera mondäne Tochter aus dem Hause einer Sektdynastie.

Es sind zwei eigenwillige Debüts, voll erzähltechnischer Bocksprünge und schwarzem Humor, die Frauen zeigen, die durchaus einmal Kollateralschäden in Kauf nehmen, um ein Stück vom Glück zu erhaschen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.11.2014)

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