Die dunkle Seite der Ewigen Stadt

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Kaltblütige Morde, korrupte Politiker, Neofaschisten und die Mafia: De Cataldo und Bonini zeichnen in ihrem tiefschwarzen Krimi ein erschreckend reales Porträt Roms - und Italiens.

Ein blutiger Bandenkrieg hält Rom im Atem: Nachdem die verkohlte Leiche Spadinos, eines Mitglieds des mächtigen Anacleti-Clans, aufgetaucht ist, folgt ein grausamer Racheakt dem nächsten. Und während der hitzköpfige Oberleutnant Marco Malatesta gemeinsam mit einer kämpferischen Freundin und einem idealistischen Staatsanwalt zu verstehen versucht, was dahintersteckt, haben Roms Mächtige andere Sorgen: Die Mafiafehde bedroht das „große Projekt“, ein Milliardenbauvorhaben auf dem Territorium der zerstrittenen Clans: Geplant ist unter anderem eine Art Casinostadt in Roms Küstenvorort Ostia samt artifiziell-beschneitem „Montblanc“. Beteiligt an der Bauspekulation sind Politiker, Ordnungshüter, Kirchenvertreter und natürlich die Mafia – in all ihren regionalen Varianten. Strippenzieher ist Samurai, ein ex-neofaschistischer Terrorist und der wahre Boss von Rom.


Koks, Priester, Salonlinke. Benannt ist dieser tiefschwarze Krimi bezeichnenderweise nach dem verruchten Banditenviertel im antiken Rom: Suburra. Und Suburra steht auch für das hässlichste Gesicht des gegenwärtigen Italien: Der Roman zeichnet ein erschreckend treffendes Porträt des Zerfalls. Schauplatz sind die dunkelsten Monate der Wirtschaftskrise im Jahr 2011, als die „zweite Republik“ zerbröckelt ist und Silvio Berlusconi unter dem Druck der Finanzmärkte zurücktreten musste. Der hektische Versuch der Machthaber, noch etwas vom mager werdenden Milliardenkuchen der öffentlichen Aufträge zu ergattern, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte.

„Suburra“ ist aber mehr als ein politischer Noir-Krimi: Das Duo Giancarlo De Cataldo (Richter und Autor des Bestsellers „Romanzo Criminale“) und Carlo Bonini (Aufdeckerjournalist) haben minuziös recherchiert, bevor sie ihre Geschichte niedergeschrieben haben. Und sie bewegen sich dermaßen nahe an der Realität, dass bei der Buchpräsentation in Ostia ein Mann die beiden angebrüllt hat: „Nennt die Namen, falls ihr Mumm habt!“ Einige Monate später deckten Ermittler auf, was bisher niemand wahrhaben wollte: dass eine eigene, bisher unbekannte, Mafia Rom dominiert, mit Kontakten bis in die höchsten Machtzirkel.

Vor diesem Hintergrund wirken die einzelnen Charaktere des Thrillers noch eine Spur lebendiger: Da ist der kokainsüchtige katholische Politiker Magliardi, nach außen hin rechtschaffener Familienvater, privat für Orgien in einschlägigen Nobelstundenhotels bekannt. Oder der stets sanft lächelnde Monsignore Mariano Tempesta, der ein Buch über die Moral des 21.Jahrhunderts verfasst und im Namen der Kirche dafür sorgt, dass er den Hauptanteil der Profite aus Spekulationen zugeschanzt kommt. Korrupte Polizisten, erpressbare Richter und heuchlerische Salonlinke mit ansehnlichen „Pseudonichten“ vervollständigen das Bild der Dekadenz.

Ihnen gegenüber stehen die Don Quichottes „Suburras“: der zornige Polizist, die sture Bloggerin, der unabhängige Staatsanwalt. Die wohl stärkste Figur ist aber Meister Samurai – ein intellektueller Neofaschist, der vom Leben und von der Gesellschaft angewidert beschließt, das System von innen zu zerstören, indem er davon profitiert. Samurai weiß genau, wie resilient seine „Ordnung“ ist, dass sie Regierungen, Parteien und Politiker überlebt. Auch er wurde übrigens von einer wahren Figur inspiriert: Vieles erinnert an den neofaschistischen Terroristen Massimo Carminati, den „König von Rom“.

In der deutschen Fassung irritiert allerdings immer wieder die Sprache: In der Übersetzung gehen Ironie und Lockerheit verloren, viele Dialoge wirken forciert, steif. Vermutlich ist weder der farbige Dialekt der römischen Straße noch das pompöse Italienisch der Palazzi ins Deutsche übertragbar.

Trotzdem: „Suburra“ sollte man lesen, um das heutige Italien zu verstehen. Weit entfernt von jeglicher Italoromantik wird hier – eingebettet in eine fesselnde Handlung – eine verrottete Ordnung abgebildet, dessen „schwarzes Herz“ Rom ist. Eben diese hauchdünne Grenze zwischen Realität und Fiktion macht den wahren Gänsehautfaktor dieses Thrillers aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2015)

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