Das Mädchen auf dem Motorrad

Wie ihre Hauptfigur Reno in „Flammenwerfer“ liebt Rachel Kushner Skirennen und heiße Öfen.
Wie ihre Hauptfigur Reno in „Flammenwerfer“ liebt Rachel Kushner Skirennen und heiße Öfen.(c) Lucy Raven
  • Drucken

Rachel Kushner schrieb mit "Flammenwerfer" eine Ode an die 1970er-Jahre, als Kunst und Revolte eng beieinanderlagen und das Leben nur als echt galt, wenn es inszeniert war.

New York in den 1970er-Jahren: Die Stadt verrottet, überall Kriminalität. Der Verfall ist gleichzeitig abstoßend und fruchtbar – ein Humus, aus dem in leer stehenden Lofts eine lebendige Kunstszene sprießt, die die Grenzen zwischen Leben und Performance gern verwischt. Echt ist nur, was inszeniert wird. Selbst Revolutionäre wie die „Motherfuckers“ werden zur Slapsticknummer: Als sie Touristen vor der Freiheitsstatue mit einer Exhibitionistennummer schockieren wollen, ist in der winterlichen Kälte nicht viel davon zu sehen.

Rom in den 1970er-Jahren: Die Stadt am Siedepunkt, die Jugend auf der Straße, alles ist ernst, alles ist schwer, alles ist Revolution. Italien schleppt seine unbewältigte Geschichte mit sich herum. Aus den vielen politischen Gruppen stechen bald die Roten Brigaden hervor: Sie rauben Menschen und Leben. Kein Stein bleibt auf dem anderen.

Das sind die Spannungspole, zwischen die die amerikanische Autorin Rachel Kushner ihren Roman „Flammenwerfer“ einspannt – ein ungewöhnliches und faszinierendes Buch, das für seine unabhängige Stimme in den USA hochgelobt und für den National Book Award nominiert wurde (wie schon Kushners erster Roman, „Telex to Cuba“). Die Verbindung dazwischen bildet ein Mädchen namens Reno, das nach New York kommt, um als Künstlerin Karriere zu machen. Reno passt nicht ganz ins Bild der in Lofts und Galerien abhängenden Art-Schickeria: Sie ist Skirennfahrerin, liebt Motorräder und Leder, Öl, Geschwindigkeit und Neon. Reno ist hübsch, natürlich, ehrgeizig und naiv. Sie traut sich viel, traut sich gleichzeitig aber wenig zu. Weshalb sie sich erstaunlich bereitwillig an der Hand nehmen und hinters Licht führen lässt.

Sandro mit den Wolfsaugen. Diese Hand gehört Sandro Valera, einem älteren, erfolgreichen Künstler und Frauenhelden, der vor seiner reichen italienischen Familie nach New York geflohen ist. Sandro mit den Wolfsaugen, der die Gerichte auf italienischen Speisekarten mit amerikanischem Akzent ausspricht. Die Valeras wurden mit Reifen und mit Motorrädern reich. Auf einem davon unternimmt Reno einen Landgeschwindigkeitsrekordversuch auf den Bonneville-Salzseen in Utah, wird vom Valera-Team „adoptiert“ und zu einer Werbetour nach Italien eingeladen. Dort kommt sie nicht nur mit Sandros Familie in Kontakt, sondern verstrickt sich auch in der revolutionären Szene Roms.

„Flammenwerfer“ ist schwer zu fassen, es ist ein Buch wie ein experimenteller Film. Kushner saugt den Leser in einen Erzählstrom, der in mehrere Richtungen gleichzeitig zu fließen scheint. Zwar gibt es mit Reno eine Hauptperson, doch scheint diese oft nicht im Zentrum zu stehen; sie nimmt zwar daran teil, versteht aber vieles nicht. Sie ist ein „Reserve-Mädchen“.

Reno wird auch immer wieder von mächtigeren Erzählstimmen überlagert: etwa von Sandros Vater, dessen Lebensgeschichte in Rückblicken erzählt wird, oder von den New Yorkern wie dem einstigen „Motherfucker“-Gründungsmitglied Burdmoore Model oder Sandros bestem Freund, Ronnie Fontaine, Künstler und Nihilist, der die Wahrheit für völlig nutzlos hält. Und so weiß man auch nie, ob an Ronnies faszinierenden Geschichten eigentlich irgendetwas nicht erfunden ist.


Am Ende weinen die Frauen. Es sind immer die Männer, die das große Wort führen. Die Frauen lassen sich in „Flammenwerfer“ auf traditionelle Rollen reduzieren, gegen die sie zwar mit Worten, nicht aber mit Taten aufbegehren. In den New Yorker Lofts bereiten sie das Essen zu und erwarten von den anderen Frauen Hilfe in der Küche. In Rom sitzen sie ebenfalls an Küchentischen, auch wenn sie dort elektronische Sender reparieren. Zwar gönnen sich Kushners Frauenfiguren freizügigen Sex mit wechselnden Partnern, doch lässt die Autorin keinen Zweifel daran, dass die Nutznießer dieser Situation – bis auf eine Figur – nicht weiblich sind. Es ist wohl kein Zufall, dass das Cover von Kushners Roman ein Mädchen mit wildem Blick und zugeklebtem Mund ziert. Am Ende weinen jedenfalls immer die Frauen.

Neu Erschienen

Rachel Kushner
„Flammenwerfer“

Übersetzt von Bettina Abarbanell

Rowohlt

560 Seiten

23,60 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.