Nervenkitzel im winterlichen Wien

Feines heimisches Thrillerhandwerk: Christian David.
Feines heimisches Thrillerhandwerk: Christian David. (c) Heribert Corn
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Christian David überzeugt in seinem zweiten Krimi "Sonnenbraut" als starker Spannungsautor: der Thriller als Cliffhanger-Sittenbild aus den Zeiten spätkapitalistischer Dekadenz.

Auch in seinem zweiten Kriminalroman „Sonnenbraut“ lässt der Wiener Autor Christian David im (diesmal kursiv gesetzten) Vorspann kurz Pathos aufblitzen: „Monate später, im Herbst desselben Jahres, änderten sich die Dinge. Überall zeigten sich blutüberströmte Gesichter, die einmal mehr vor Augen führten, wie stark die Abwesenheit von Liebe an den Seelen nagte.“ Es bleibt die einzige romantische Geste, bevor David in Thriller-Form die negative Konsequenz zieht und wieder in eine kalte, korrupte Welt eintaucht, die auch der merkwürdige Wiener Charme seines ungleichen Ermittlerduos – der eigensinnige Kriminalpolizeiveteran Belonoz und die junge, aufstrebende Staatsanwältin Lily Horn – nur unzulänglich erwärmen vermag.

Eine Serie von sommerlichen Frauenmorden und ein vertuschter Bauskandal hatten in Davids vielversprechendem Krimidebüt „Mädchenauge“ die beiden Figuren zusammengebracht, auf Seite drei des neuen Buches ist schon der darauffolgende Winter und ohne Atempause geht es weiter: Buchstäblich auf dem Weg zum Mittagessen wird Belonoz in eine neue mysteriöse Mordserie hineingezogen, als er zu einer Geiselnahme in eine Psychiaterpraxis gerufen wird. Die Aktion beginnt unter Schwierigkeiten und endet tödlich, obendrein mit der „falschen“ Leiche. Zudem wurde der (verschollene) Psychiater auf bizarre Weise getötet: Auftakt zu einer Reihe absurder Exekutionen. Die nach Routine riechende Kindesentführung, an der Lily Horn arbeitet, führt ins Herz des Affäre.

Politsumpf und Kunstbetrieb. Kam „Mädchenauge“ trotz starker Spannungsstrecken manchmal schaumgebremst daher, so löst „Sonnenbraut“ das Versprechen auf feines heimisches Thriller-Handwerk endgültig ein. Auf fast 500 Seiten rast David von einem Kapitel-Cliffhanger zum nächsten, rund um den sich verzweigenden Fall ein zeitgenössisches Sozialpanorama der spätkapitalistischen Dekadenz ausbreitend. Was er sich am Ballast von Figurenvorstellung und Exkursen spart, kommt der Erzähldichte und Breite des Sittenbildes zugute. Der durch die Institutionen wuchernde Politsumpf verästelt sich nun bis in Randzonen wie Kunstbetrieb und Frauenbewegung.

Die labyrinthische Intrige, inklusive kleiner Schocks und abrupter Auflösung, verrät den Filmliebhaber in David, der vor seinen Romanen eine Biografie Klaus Kinskis verfasste, vor allem den Connaisseur italienischen Genrekinos der 1970er, als Giallo-Krimis oder Politthriller wüste Bilderstürmerei und beißende Gesellschaftskritik zu explosivem Entertainment verbanden. Dass manche Dialoge eher dem Kino als dem Leben abgelauscht klingen, mildert ein sanft österreichischer Klang. Für Regionalklischees und Skurrilitäten Marke Austro-Krimi hat David aber ebenso wenig Zeit wie für literarische Spielereien, dafür ist es ihm gottlob zu ernst mit dem Regel- und Handwerk des klassischen Krimis: als angemessene moralische Form zur Beschreibung einer kranken Welt, die möglichst maximalen Nervenkitzel produziert.

Neu Erschienen

Christian David
„Sonnenbraut“
Deuticke Verlag
480 Seiten
20,50 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2015)

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