Neue Wunderkammer für Österreichs Dichter

PRESSEFUeHRUNG LITERATURMUSEUM DER OeSTERREICHISCHEN NATIONALBIBLIOTHEK
PRESSEFUeHRUNG LITERATURMUSEUM DER OeSTERREICHISCHEN NATIONALBIBLIOTHEK(c) APA/HANS KLAUS TECHT
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Das Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek verschränkt im Grillparzer-Haus in Wien I raffiniert Geschichte, Dichtung und ihre Wirkung. Ein Haus der Begegnung mit einer Fülle von Veranstaltungen ist geplant.

Wie eine barocke Wunderkammer, aber mit modernsten technischen Möglichkeiten wirkt die Dauerausstellung des Literaturmuseums im Grillparzer-Haus (Johannesgasse 6), das am Freitag in Wien der Presse vorgestellt wurde. Die Fülle bemerkt man gleich bei der Begrüßung im ersten Schaukasten: Heimito von Doderers Morgenmantel wird neben Elfriede Gerstls Hüten gezeigt, man sieht unter anderem eine Plattenaufnahme Hermann Brochs, eine Pfeife Egon Friedells, Adalbert Stifters Krauthobel, Franz Grillparzers Regenschirm, Ödön von Horváths Exlibris – und fast schon als Reliquie eine Locke Arthur Schnitzlers.

Was wollen uns diese kuriosen „Fundstücke“ sagen? Eine ironische Anspielung? Schaut her, wie reich die österreichische Literatur ist, wie nahbar im Konkreten? Weiter geht es zu einer Kammer hinter schwarzem Vorhang. Darin kann man Thomas Bernhard zuhören, bei einer berühmten Rede zu einer der vielen Preisverleihungen. Den Skandal kann man sich zu den wohlgesetzten Worten dazudenken. Neben dieser dunklen Klause ist ein Portal aus Monitoren aufgebaut. Darauf spielt sich die Entstehung eines Gedichts ab. Zur Eröffnung sah man die Genese von Friederike Mayröckers „Liebes-Werk“.

Die Wurzeln in der Aufklärung

Von hier aus tritt man in einen Raum, der der Aufklärung gewidmet ist. Zurück zu den Quellen für das Heutige! In grüner Schrift ermuntert Immanuel Kant zum richtigen Denken und Handeln, aber das 18.Jahrhundert entfaltet sich hier sonst vor allem aus Wiener Sicht. Nach diesem Vorspiel landet man rasch im Biedermeier, im Vormärz und bei der Reaktion: In der Johannesgasse 6 leitete einst der Dichter und Hofrat Grillparzer (1791–1872) das Hofkammerarchiv. Das Amtszimmer des k.k. Archivdirektors ist erhalten und mit seinen schmucken Möbeln aus der Biedermeierzeit einer der vielen Höhepunkte der Ausstellung. Nunmehr muss sich der große Tote die Räume mit all jenen Kollegen teilen, die seit 300 Jahren das Wesentliche der österreichischen Literatur ausmachen. Dabei wird häufig zu Recht über die heutigen Landesgrenzen hinausgegangen.

Vom Amtszimmer aus sieht man bereits Schriften, Devotionalien, Fotos, Briefe, Filme, dicht an dicht. Als Schaukästen dienen die alten Regale des Archivs, sie wurden vorteilhaft für ein modernes Ausstellungskonzept genützt. Die Fülle lässt sogleich erkennen: Hier ist es mit einem kurzen Rundgang nicht getan. Für Liebhaber der Literatur bedeutet dieser Ort eine ständige Anlaufstelle. Das Studium von Originalmanuskripten Franz Kafkas („Der Verschollene) und Ludwig Wittgensteins („Philosophische Untersuchungen“) oder Heimito von Doderers Skizzen (zu den Romanen „Die Strudlhofstiege“ und „Die Dämonen“) braucht Muße, so wie ein Liebesbrief von Ingeborg Bachmann an Paul Celan oder Franz Werfels handschriftliche Fassung des monumentalen Romans „Die vierzig Tage des Musa Dagh“, der den Völkermord an Armeniern thematisiert.

Das von Direktor Bernhard Fetz unter der Ägide der Nationalbibliothek geleitete neue Museum ist großzügig dimensioniert: 750 Quadratmeter Ausstellungsfläche in drei Stockwerken widmen sich der Literatur, zusätzlich gibt es Veranstaltungsräume. Der dritte Stock ist ab 2016 für Wechselausstellungen vorgesehen, im ersten und zweiten gibt es dauerhaft an die 650 Exponate zu sehen, die Einblick in das Werk von 209 Autorinnen und Autoren geben, geordnet in ca. drei Dutzend Themenkreisen, aufgelockert durch 68 multimediale Stationen, ein Kino sowie Info-Spots mit Sesseln zum Lesen. Sogar eine kreative Ecke gibt es, bei der man Anfänge von Texten fortführen kann. Daneben hängen 20 Blöcke mit Gedichten zum Abreißen – von Artmann bis Trakl, man darf sie gratis als Souvenir mitnehmen. Hier soll auch ein Ort der Begegnung entstehen, mit Lesungen, Vorträgen, Diskussionen. Die bisher geplanten Führungen für Schüler seien bereits bis Sommer ausgebucht, sagte Generaldirektorin Johanna Rachinger bei der Pressekonferenz, an der auch Kulturminister Josef Ostermayer teilnahm. Er sprach von einer gelungenen Kooperation. Es solle ein Museum für alle sein, erklärte Direktor Fetz und betonte auch die europäische Dimension.

Peter Handke und Hatschi Bratschi

Die Themen sind locker chronologisch geordnet, aber im Detail viel raffinierter, die Schau hat eine durchaus gelungene, heutige Dramaturgie. Im zweiten Stock gelangt man von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg; Napoleon, das Biedermeier, die Revolution von 1848, die Begegnung mit Fremden, Wiens Wege in die Moderne werden aufgearbeitet, aber auch das Dorf, die Alpen, Netzwerke und die Avantgarde; immer wieder gibt es Vorgriffe, Durchbrechungen der Chronologie. Auch seltsame Nachbarschaften ergeben sich: Stifter und Waggerl, Peter Handke gegenüber von Hatschi Bratschi, Karl Kraus unter all den Gegnern, die er attackiert hat.

Im ersten Stock sind die Phantomschmerzen der Monarchie dokumentiert, der Bürgerkrieg, der Anschluss samt NS-Terror sowie der Kalte Krieg, aber auch generelle Themen wie Arbeiterschaft, Film, Kabarett, Theater und sehr viele Lebensläufe. Von Joseph Roth und Robert Musil aus geht es hier bis in die Gegenwart, etwa zu Elfriede Jelinek oder Robert Menasse. Von ihm ist eine bunte Skizze zu seinem Roman „Die Vertreibung aus der Hölle“ ausgestellt. Man glaubt beinahe, dem Autor über die Schulter zu sehen.

Literaturmuseum der ÖNB im Grillparzer-Haus: Wien I, Johannesgasse 6, Di–So: 10–18 Uhr, Do: 10–21 Uhr, von Juni bis September auch Montag geöffnet. Ticketpreis: sieben Euro, unter 19 Jahren freier Eintritt. Hinweise zu Veranstaltungen auf der Homepage www.onb.ac.at.

Die Generalsanierung des Archivs wurde mit 2,8 Millionen Euro budgetiert, die Kosten der Einrichtung des Museums belaufen sich auf 2,6 Millionen Euro. Planung: BWM Architekten, Planet Architects, Pendl+Co. KuratorInnen: Bernhard Fetz (Leitung), Michael Hansel, Evelyne Polt-Heinzl, Klaus Kastberger und Hannes Schweiger.

Katalog: „Das Literaturmuseum. 101 Objekte und Geschichten“, herausgegeben von Bernhard Fetz, Verlag Jung und Jung, 280 Seiten, 24,90 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2015)

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