Das Elend der reichen Kinder Indiens

People look at a screen displaying India's FM Jaitley presenting the budget on the facade of BSE building in Mumbai
People look at a screen displaying India's FM Jaitley presenting the budget on the facade of BSE building in MumbaiREUTERS
  • Drucken

Zwei Bücher porträtieren die wohlhabende Mittelschicht Delhis und Bombays – ihre Exzesse, ihre Gier und ihre Ängste: erschreckend harte Porträts des heutigen Indiens.

Brutal und hypermaterialistisch: So beschreiben Shreyas Rajagopal und Rana Dasgupta ihr Indien. In zwei sehr unterschiedlichen Büchern revidieren die beiden jungen indischen Autoren etablierte Bilder über ihre Heimat: Keine Spur von Spiritualität, Magie, Exotik ist darin zu finden. Verklärte Darstellungen des Shining India der Wirtschaftsöffnung kommen ebenso wenig vor wie altbekannte Topoi des Elends und der Armut. Dafür porträtieren sie – schonungslos – die aufstrebende städtische Bourgeoise als die treibende Kraft im gegenwärtigen Indien.

In Rajagopals Roman dreht sich alles um das Elend der reichen Kinder Bombays: Der depressive Rish kehrt nach einigen Studiensemestern in New York in seine Heimatstadt zurück. Eher lustlos nimmt er den Kontakt zum alten Freundeskreis auf. Man trifft sich in glitzernden Einkaufszentren, in Fünfsternehotels und feiert die Nächte durch, in Bars, Discos, in Villen oder Luxusappartements. Der soziale Kontakt verroht zum Small Talk über Partys, Mode und Autos. Alkohol und Drogen werden exzessiv konsumiert, Partner beliebig ausgetauscht. Diese chronisch gelangweilte Jeunesse dorée ist nur noch auf der Suche nach dem immer stärkeren Kick.

Rishs Dauerbeschäftigung mit sich selbst geht dem Leser sehr bald auf die Nerven. Starke Momente bieten vor allem die Nebenschauplätze: Beschreibungen des Schulkinds etwa, das aus einem Porsche steigt und sich vom Chauffeur die Schultasche tragen lässt, oder die leise Präsenz des Dienstmädchens in Rishs Familie, die behutsam den Dreck der Exzesse des Jugendlichen verschwinden lässt.


Zerstörerischer Reichtum. Zarter nähert sich Dasgupta dem Alltag im Indien des 21. Jahrhunderts. Der britisch-indische Autor lässt in seinem Buch die Einwohner Delhis selbst erzählen, wie radikal sich ihr Leben und ihre Stadt verändert haben: Er spricht mit Hindus, Sikhs, Muslimen, Selfmade-IT-Milliardären, Immobilienspekulanten, Slumbewohnern, Geldwäschern und Beamten. Er trifft sie in Restaurants, Privatspitälern, Parks, Einkaufszentren, Bars, Villen, Slums. Durch die Beschreibung dieser Orte erweckt der Autor das gegenwärtige Delhi zum Leben. Exkurse in schmerzhafte Epochen der Vergangenheit vervollständigen dieses komplexe und kluge Porträt der indischen Hauptstadt. Es ist kein schönes Bild, das Dasgupta zeichnet.

Im Vordergrund steht die Gier nach noch mehr Reichtum und die Angst der Mittelschicht, alles wieder zu verlieren – in einer Stadt, in der sich alles zu schnell und ohne Kontrolle verändert. Das Gesicht des neuen Delhi trägt die Züge des exzentrischen Spekulanten mit Villa im abgeriegelten Compound, der vom Haus fantasiert, durch das sein Ferrari bis ins Schlafzimmer fahren kann. Der Brüder, die das Glück in Äthiopien finden, wo sie ihr persönliches Imperium aufbauen. Und des verbitterten Unternehmers, der Trost bei einem Guru sucht, der hauptberuflich Badarmaturen verkauft. Dasgupta erzählt mit viel Poesie märchenhafte Erfolgsstorys von Selfmademen und von dunklen Machenschaften von Beamten, die Milliarden verschwinden lassen. Und er lässt wütende, für die Elite „unsichtbare“ Slumbewohner zu Wort kommen, die schutzlos der Willkür der Behörden ausgeliefert sind. Ein ganzes Kapitel ist der Gewalt gegen Frauen gewidmet.

Der Autor sieht ein zerstörerisches Wirtschaftssystem („einen Kapitalismus russischer Prägung“) am Werk, in dem Unternehmer „wie Krieger” an sich raffen, was möglich ist. Indien sei in der Hand einer skrupellosen Oligarchenschicht aus Politikern, korrupten Beamten und Unternehmern, die an Gesetzen vorbei das große Geld machen. Das Buch endet bitter: Delhi werde nie zur Ruhe und Ordnung westlicher Metropolen finden, glaubt Dasgupta. Die Elite habe keine Absicht, in das Gemeinwohl zu investieren. Ein Millionär im Buch drückt das so aus: „Was ich tue, tue ich nur für mich, meine Familie und Freunde. Für niemanden sonst.“

Neu Erschienen

Rana Dasgupta
„Delhi. Im Rausch des Geldes“

übersetzt von
Barbara Heller und Rudolf Hermstein
Suhrkamp Verlag
462 Seiten
25,65 Euro

Shreyas Rajagopal
„Scar City“
übersetzt von
Stefanie Jacobs und Simone Jakob
Ullstein Verlag
352 Seiten
18,50 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.