Franz Werfels Damaskuserlebnis

Franz Werfel
Franz Werfel ullstein bild - Abraham Pisarek / Ullstein Bild / picturedesk.com
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Der Roman "Die vierzig Tage des Musa Dagh",1933 publiziert, machte Franz Werfel weltberühmt. Nicht nur die Armenier feiern ihn dafür.

Vor hundert Jahren begann während des Ersten Weltkrieges im Osmanischen Reich die systematische Verschleppung der Armenier, die in einem Völkermord durch die Türken und ihre Handlanger endete. Historiker schätzen, dass 1915/1916 mindestens eine Million Menschen dieses Volkes bei Pogromen und auf Todesmärschen umgebracht wurden. Gräuel an Zivilisten mit vielen tausenden Opfern gab es in diesem totalen Krieg von vielen Armeen, doch der Genozid an den Armeniern überstieg sie bei Weitem.

Als einer der Ersten machte Johannes Lepsius auf die Massaker aufmerksam. Der Vorsitzende der Deutsch-Armenischen Gesellschaft reiste Ende Juli 1915 nach Istanbul, um Konkretes über bereits kursierende Gerüchte zu erfahren. Anfang August schrieb der Pastor an seine Gattin, es sei unsagbar, was geschehen sei: „Die vollkommene Ausrottung ist das Ziel – alles unter dem Schleier des Kriegsrechtes.“


Intensives Quellenstudium. Lepsius bat um eine Audienz bei Kriegsminister Enver Paşa, um die Kampagne der Vernichtung im oberen Tal des Euphrat zur Sprache zu bringen. Der gab ihm zu verstehen, dass er an seinen Plänen festhalten werde, redete offen über sie, wie aus einem Protokoll zu ersehen ist: „Ich übernehme die Verantwortung für alles“, sagte der Minister: „Wir können mit unseren inneren Feinden fertig werden. Sie in Deutschland können das nicht. Darin sind wir stärker als Sie.“

Ein Irrtum. Adolf Hitler nahm sich diesen Völkermord zum Vorbild für den der Nazis an den Juden. „Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?“, höhnte der deutsche Diktator im August 1939, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Wer redet noch davon? Alle Welt. Und das ist auch das Verdienst des österreichischen Dichters Franz Werfel. Er hat die Vernichtung wortgewaltig zur Sprache gebracht. Sein monumentaler historischer Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ mahnt bis heute die Erinnerung an dieses Verbrechen ein.

Werfel veröffentlichte sein Buch, zu dem er ausführlich die verfügbaren Quellen studiert hatte, just im Jahr der Machtergreifung der Nazis 1933. Dem Gespräch zwischen Lepsius und Enver Paşa ist ein wesentliches Kapitel im ersten von drei Teilen des Romans gewidmet. Es fußt auf den Protokollen des Pastors. Dieses Kapitel hat der Autor noch mitten im Prozess des Schreibens auf einer Lese-Tour durch Deutschland im November 1932 vorgetragen. 15 Monate später, als die Nazis ihre Politik totaler Verfolgung bereits in Gang gebracht hatten, wurde das Buch von ihnen wegen „Gefährdung öffentlicher Sicherheit und Ordnung“ verboten.

Sprengkraft besitzt der Roman tatsächlich. Er singt das Lied vom Widerstand selbst in aussichtsloser Lage. In Armenien ist er in der Schule Pflichtlektüre, Werfel wird dort tief verehrt. Aber bereits in der NS-Zeit galt das Buch als prophetisch, es kursierte in den Ghettos als Aufforderung zum Kampf gegen den Terror des Regimes.

Werfel beschreibt biblisch vierzig Tage (real waren es 53), an denen sich die Bewohner von sieben armenischen Dörfern am Fuße des Musa Dagh an der Küste des Mittelmeeres gegen die mörderischen osmanischen Truppen wehren. Er hat das Geschehen verdichtet, aber die Geschichte ist wahr.

Das einschneidende Erlebnis hatte Werfel 1929 in Damaskus: „Das Jammerbild verstümmelter und verhungerter Flüchtlingskinder, die in einer Teppichfabrik arbeiteten, gab den entscheidenden Anstoß, das unfassbare Schicksal des armenischen Volkes dem Totenreich alles Geschehens zu entreißen“, schrieb Werfel 1933 in der Vorrede des Romans.


Das Kreuz des Sohnes. Herausragender Protagonist unter vielen Tapferen ist Gabriel Bagradian. Sein Plan: Vor der angekündigten Deportation ziehen sich die Armenier ins Gebirge zurück und kämpfen gegen die Armee, darauf hoffend, so lang auszuharren, bis sie vielleicht übers Meer gerettet werden. Der Abwehrkampf fordert viele Opfer, doch Tausende überleben, als ein französischer Flottenverband auftaucht, die Belagerer in die Flucht schlägt und die Armenier nach Alexandria in Sicherheit bringt. Der Held allerdings findet ein tragisches Ende. Gabriel zieht sich auf den Berg zurück, zum Grab seines Sohnes: „Er klammerte sich ans Holz, riss es im Sturze mit. Und das Kreuz des Sohnes lag auf seinem Herzen. Ende“

Steckbrief

10. September 1890
Franz Werfel wird in Prag geboren. Der Nachkomme deutsch-böhmischer Juden veröffentlichte bereits als Schüler Gedichte. 1915–1917 war er Soldat an der Front in Ostgalizien, dann im Kriegspressequartier in Wien. Er lernte Alma Mahler, Witwe Gustav Mahlers und Ehefrau von Walter Gropius, kennen. 1929 heiratete er sie.

Erfolge in den 20ern
Da war er bereits ein gefeierter Autor, zu dessen Bestsellern „Verdi. Roman der Oper“ (1924), „Der Abituriententag“ (1928) sowie auch „Barbara oder die Frömmigkeit“ (1929) gehörten. Nach dem Anschluss Österreichs 1938 ging das Paar ins Exil, wo Werfel „Der veruntreute Himmel“ (1939) und „Das Lied von Bernadette“ (1941) publizierte. 1946 erschien „Stern der Ungeborenen“ postum. Werfel starb am 26. August 1945 in Beverly Hills, USA.

November 1933
Beeindruckt von einer Nahost-Reise 1929, auf der er in Damaskus das Elend armenischer Flüchtlingskinder sah, begann er den Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh“. Nach ausgiebigen Quellenstudien schrieb er ihn von Mitte 1932 bis Frühjahr 1933 nieder. Das Buch erschien dann im November 1933. Die Nazis verfemten es sofort, so wie den Großteil der Werke Werfels. Die Übersetzungen ins Englische machten ihn weltberühmt.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2015)

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