Emoji: Universalsprache oder Kinderkram?

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Die einen sehen in den Bildchen eine Bedrohung der Schriftsprache, andere erhoffen sich eine Rückkehr zum Zustand vor der babylonischen Sprachverwirrung. Über den Gebrauch und die Geschichte der japanischen Piktogramme.

Smiley. Emojis, das sei vorausgeschickt, sind nicht das Gleiche wie Emoticons: Letztere haben ihren Ursprung in den frühen 1980er-Jahren und stammen aus den USA, wo der Informatiker Scott E. Fahlman ein Smiley aus Satzzeichen erfand; zu oft war es ihm passiert, dass scherzhafte Bemerkungen von Kollegen ernst genommen worden waren. Emojis sind dagegen deutlich jünger, japanischen Ursprungs (ein Neologismus aus den Worten „Bild“, „Schreiben“ und „Figur“) und sollten Ende der 1990er-Jahre einer Telekommunikationsfirma helfen, Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen: Shigetaka Kurita übersetzte die aus ASCII-Zeichen bestehenden Emoticons in Bilder, fügte aber außerdem eine ganze Reihe von Piktogrammen hinzu, die nicht für Gefühlsregungen stehen. Heute gibt es über 800 verschiedene Zeichen, darunter welche für Bier und Auberginen, Schirme und lackierte Nägel – und wenn man will, kann man mithilfe eines Ringes per SMS einen Heiratsantrag machen. Am beliebtesten ist ein Smiley, der Tränen lacht.

Teufelchen. Schon Emoticons gelten als kindisch, und wer sie im Mailverkehr verwendet, erweckt leicht den Eindruck mangelnder Ernsthaftigkeit. Die grellen Emojis, die seit ein paar Jahren die Emoticons sukzessive ersetzen, sind Sprachwahrern erst recht ein Dorn im Auge, sie sehen die Schriftsprache bedroht von den küssenden Katzen und grinsenden Teufelchen in Nachrichten und SMS. Was zum Teil auf einem Missverständnis beruht: Denn knappe, formlose E-Mails, Nachrichten und Chats ersetzen weniger die schriftliche, sondern vor allem die mündliche Kommunikation, den schnellen Anruf, den kurzen Small Talk am Gang. Und ihr schriftliches Äquivalent wäre nicht der ausführliche, wohlformulierte Brief, sondern die Notiz am Kühlschrank – und die haben liebende Mütter schon vor Emoji-Zeiten gern mit einem Herzchen verziert. Das ist auch heute die wichtigste Funktion der Emojis: Die Nachrichten emotional zu färben, sie „weicher“ zu machen. Sie ersetzen ein Lächeln, den aufmunternden oder bedauernden Blick. Aber sie erfüllen auch einen praktischen Zweck: Weil diese neue Form der Kommunikation schriftlich ist, aber auf den Prinzipien der Mündlichkeit basiert, weil sie aber weder so elaboriert ist wie der Brief noch über die Möglichkeiten der Nuancierung über Tonfall und Mimik verfügt wie das Gespräch, ist sie fehleranfällig. Emojis stellen klar, wie etwas gemeint ist: Das grinsende Teufelchen kann etwa Schadenfreude symbolisieren.


Daumen rauf. Mittlerweile dienen Emojis nicht nur der Vermeidung von Missverständnissen und der emotionalen Färbung von Nachrichten, sie stehen immer häufiger für sich allein. In Ratespielen im Netz muss man anhand einer Reihe von Zeichen auf Filmtitel oder Songs schließen. Es gibt eigene Apps. Und es gibt soziale Netzwerke, in denen allein via Piktogramm kommuniziert werden soll. Die Hoffnung dahinter: Aus den bunten Bildchen soll sich eine Sprache entwickeln, die universell verständlich ist, über alle Grenzen hinweg, die zu einer Rückkehr zum Zustand vor der babylonischen Sprachverwirrung führt, in eine Zeit, als noch nicht mithilfe von abstrakten Zeichen und Buchstaben, sondern mittels Bildern kommuniziert wurde. Ein Lächeln und ein nach oben gestreckter Daumen überwinden locker Sprachbarrieren.


Moby-Dick. Emojis wären also die neuen Hieroglyphen, eine Weltsprache – und im Gegensatz zu Esperanto intuitiv erfahrbar. Einer der größten Fans hat eine Initiative zur Übersetzung von Melvilles „Moby-Dick“ gestartet. „Emoji Dick“ sollte zeigen, welches Potenzial in den Piktogrammen steckt. Doch das Buch belegt genau das Gegenteil. Emojis sind wenig präzise: Dass der Satz „So on I went“ mit fünf Uhren und einem gehenden Männchen übersetzt wird, mag zwar plausibel sein. Aber bei der Eindeutigkeit hapert es, immerhin könnten die sechs Bildchen genauso gut „In fünf Stunden werde ich gehen“ bedeuten. Das liegt einerseits an der rudimentären Grammatik: Selbst eingefleischte Fans können nur eine Handvoll Verknüpfungsregeln nennen, etwa jene, dass Gefühle vor Gegenständen kommen, das Herz und der Smiley also vor dem Blumenstrauß und dem Geburtstagskuchen. Ein weiteres Problem: Nicht nur Zeichenfolgen sind vieldeutig, auch die einzelnen Zeichen sind es. Wir können nie sicher sein, ob sie für den Gegenstand oder für einen abstrakten Begriff stehen – und für welchen. Lackierte Nägel können lackierte Nägel sein, eine Tätigkeit meinen oder aber einfach: „Mir ist langweilig.“ Von kulturellen Missverständnissen ganz abgesehen.


Nichts Böses sagen. Die drei Affen etwa sind Emojis der ersten Stunde und gehören nach wie vor zu den beliebtesten Symbolen, die von Handy zu Handy geschickt werden. In Japan ist ihre Bedeutung klar: Sie stehen für den vorbildlichen Umgang mit dem Schlechten: „Nichts Böses sehen, nichts Böses hören, nichts Böses sagen.“ Vor allem jüngere Europäer wissen nicht um diese Tradition: Einen Affen, der sich die Ohren zuhält, setzen sie ein, wenn sie sagen wollen: „Ich schäme mich.“ Der Affe mit den Händen vor dem Mund meint: „Ui, das hätte ich besser nicht gesagt“ oder soll signalisieren: „Ich bin verlegen.“ Auch andere Bildchen sind tief in der japanischen Kultur verwurzelt und werden falsch übersetzt: Der Ursprung des Kothaufens ist ein rosaroter Manga-Charakter. Und dass es eine Figur gibt, die sich verbeugt, ist vermutlich den meisten Österreichern noch gar nicht aufgefallen. Dass Emojis so respektlos unbeachtet der ursprünglichen Bedeutung verwendet werden dürfen, bietet viele Entwicklungsmöglichkeiten: Der US-amerikanische Linguist Benjamin Zimmer spricht von Wild-West-Stimmung. Auf Twitter wird das Emoji „Person am Informationsschalter“ etwa in zwei völlig verschiedenen Bedeutungen verwendet: „Bitte sehr“ oder „Mir egal“. Je nachdem, ob man die Handbewegung als hinweisend oder wegwerfend interpretiert. Es bilden sich Soziolekte und Dialekte, manche Zeichenkombinationen sind nur in kleinen Gruppen in Gebrauch.


Politisch korrekt. Eine Sprache, die dabei ist, sich zu entwickeln, sorgt natürlich für Debatten – gerade unter jenen, die sie gern und oft benutzen. Vor zwei Wochen veröffentlichte Apple ein neues Set Emojis. Jetzt gibt es nicht mehr nur Mutter-Vater-Kind, sondern auch Familien mit homosexuellen Eltern; und die Smileys sind nicht nur gelb, sondern auch hellbeige oder dunkelbraun. Der Versuch, politisch korrekt zu sein, rief selbst wieder Kritiker auf den Plan: Erst jetzt seien die Emojis wirklich rassistisch. Das Grellgelbe sei eine Fantasiehautfarbe gewesen und hätte alle eingeschlossen.

EMOJITRACKER

Über 800 Emojis sind derzeit in Gebrauch. Das Programm Emojitracker verfolgt im Netz, wie oft sie verwendet werden und in welchem Zusammenhang: Dafür werden in Echtzeit Tweets und Facebook-Einträge angezeigt. Auf diese Weise kann man feststellen, dass der Smiley, der Tränen lacht, am häufigsten verwendet wird – und immer häufiger im Sinn von: „Sind die blöd!“ Ebenfalls sehr beliebt sind die Herzsymbole.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2015)

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