Philosophicum: Heuer kommt Frankenstein nach Lech

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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2014 ging's um Schuld und Sühne, 2015 ist das Motto ein Imperativ: "Neue Menschen!" Michael Köhlmaier und Konrad Paul Liessmann verbanden die Themen in einer virtuosen Doppelconférence.

Vor 200 Jahren brach in Indonesien der Vulkan Tambora aus, der nicht nur das Klima prägte. Seine Asche machte 1816 zum Jahr ohne Sommer – und trübte auch den Urlaub einer Schriftstellerpartie am Genfer See, darunter Lord Byron, sein Leibarzt John Polidori, Percy Bysshe Shelley und seine zukünftige Frau, Mary Goodwin. Das Wetter war so schlecht, dass man beschloss, sich auf Indoor-Aktivitäten zu verlegen: Jeder soll eine Schauergeschichte schreiben. Zwei der entstandenen Romane: „The Vampyre“ von John Polidori und „Frankenstein or The Modern Prometheus“ von Mary Shelley.

Keine üble Ausbeute. „Schimpfen wir also nicht über schlechtes Wetter!“, resümierte Michael Köhlmaier, der sich den „Frankenstein“ ausgesucht hat, um das zu tun, was er alljährlich gemeinsam mit Konrad Paul Liessmann im Museum Moderner Kunst tut: eine Brücke vom vergangenen zum kommenden Philosophicum Lech zu spannen, er als Erzähler, Liessmann als Philosoph. 2014 war in Lech von Schuld und Sühne die Rede, 2015 geht es um „neue Menschen“. Das von Viktor Frankenstein geschaffene Monster ist ein neuer Mensch, es lädt Schuld auf sich (indem es etliche Verwandte Frankensteins mordet), und es weiß darum. „Verfluchter Schöpfer!“, ruft es (nachdem es John Miltons „Paradise Lost“ gelesen hat): „Warum hast du ein so grässliches Monster erschaffen, dass sogar du dich voller Abscheu von mir abwendest?“

Seltsam an Shelleys Roman ist, dass das Monster offenbar mehr Schuldgefühle hat sein Erschaffer. Und sich mehr existenzielle Fragen stellt: „Wer war ich? Was war ich? Woher stammte ich? Wohin sollte ich gehen?“ Frankenstein in seinem Bestreben, „lebloser Materie Leben zu schenken“, fragt dagegen vor allem: Kann man das machen? Damit gleiche er manchen heutigen Genetikern, meinte Liessmann – und erinnerte an Erwin Chargaff (1905–2002), den dissidenten Biochemiker, der meinte, es sei besser, nicht ins Erbgut einzugreifen. „Heute sprechen wir nicht von literarischen Fantasien, sondern von technischen Optionen“, sagte Liessmann, frisch inspiriert von einem Seminar über künstliche Intelligenz: Unter Robotikern setze sich die Ansicht durch, dass Roboter, um zu lernen, Körpererfahrung kennen müssen. Einschlägige Experimente laufen schon. Sind die Roboter frei in ihrem Lernen? Oder müssen ihre Konstrukteure ihnen Schranken setzen? „Ein Roboter darf kein menschliches Wesen verletzen“, formulierte Isaac Asimov 1942 als erste „Grundregel des Roboterdienstes“. „Heutige Drohnen befolgen dieses Gebot nicht“, konstatierte Liessmann bitter.

So zeigte der „philosophisch-literarische Vorgeschmack“: Es wird ein heißes Philosophicum 2015. Und die Plätze werden knapp.

„Neue Menschen! Bilden, optimieren, perfektionieren“: 16. bis 20.September in Lech am Arlberg.

„Schuld und Sühne“: Der Tagungsband zum Philosophicum 2014 ist im Zsolnay-Verlag erschienen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2015)

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