Fantasy: Helden mit Makeln

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Zeitreisende, Kinder mit besonderen Fähigkeiten, Einäugige und sogar eine Werwölfin: Sie sind die neuen Helden einer florierenden Fantasy-Kultur.

Die Wölfin fährt ihre Krallen aus und bohrt sie in den Hals des Mannes. Die weit aufgerissenen Augen können nur mehr realisieren, was die Frau schon längst weiß. Er wird sterben. Elena Michaels ist die einzige lebende Werwölfin auf der Welt. Frauen, so lautete die Legende, seien zu schwach, um die Verwandlung zum Werwolf durchzustehen. Bis Elena Michaels kam. Sie überlebte und tritt nun als schöne Amazone umgeben von (sehr vielen, sehr schönen) Männern gegen Hexer, Dämonen und später sogar Jack the Ripper an. Ihr Make-up, ihre dünne, muskulöse Figur – alles ist perfekt an ihr. Wenn da nur ihr eigenes Gefühlschaos nicht wäre, in das sie Werwolf Clay Denvers, just der Mann, der sie in ein „Monster“ verwandelt hat, stürzt.

Später Trend. Die Fernsehserie „Bitten“, in der Elena derzeit zu sehen ist (Staffel zwei startete im Februar im US-Fernsehen, die erste Staffel ist auch in Österreich auf DVD erhältlich), basiert auf den Büchern von Fantasy­autorin Kelley Armstrong, die mit ihrer „Women of the Otherworld“-Serie weltweit Fans um sich scharen konnte. Von 2001 an baute sie die Welt rund um Elena mit weiteren Protagonistinnen aus. Dass die Geschichte erst 2014 verfilmt wurde, ist einem späten Trend geschuldet. Erst die Erfolge von Zauberer Harry Potter, Drachenreiter Eragon, den Vampiren der „Twilight“-Saga oder von Bogenschützin Katniss Everdeen in „Die Tribute von Panem“ konnten die Massen für Fantasyverfilmungen begeistern. Und haben dafür gesorgt, dass Vampire, Hexer, Drachen und mutige Frauen in Parallelwelten noch immer wahre Pilgerströme in die Kinos (und davor in die Buchhandlungen) ziehen.

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Die großen Filmstudios, die den Zeitgeist erkannt haben, sichern sich mittlerweile die Filmrechte von Fantasygeschichten, wenn das Buch, oft das erste einer mehrteiligen Reihe, gerade einmal auf dem Markt ist. So wurden die Filmrechte von Veronica Rossis „Under the Never Sky“, in dem das Mädchen Aria in die Wildnis verbannt wird, gleich von Warner Brothers Studios gekauft, nachdem das Buch 2013 innerhalb eines Monats ein Bestseller wurde. Die Verfilmung ist allerdings noch ausständig. Noch nicht einmal auf Deutsch erschienen ist der nächste Einkauf von Fox und Temple Hill Entertainment, die hinter der Verfilmung von „Maze Runner stehen“: In „The Young Elites“ von Marie Lu muss Adelina Amouteru mit den Nachwirkungen eines Blutfiebers fertigwerden. Das Fieber lässt die Betroffenen nicht nur gezeichnet zurück (Adelinas Haare sind nach der Krankheit etwa silberfarben, und sie sieht nur mehr mit einem Auge), sondern beschert ihnen auch spezielle Fähigkeiten.
„Maze Runner“ hat das ganze Prozedere quasi schon durchlaufen. Der erste Teil der Romantrilogie von James Dashner wurde von 20th Century Fox verfilmt und lief im Oktober 2014 in den heimischen Kinos an, der zweite Teil, „Maze Runner – Die Auserwählten in der Brandwüste“, kommt im September in die heimischen Kinos. Thomas und seine Kollegen sind dem Labyrinth entkommen, müssen sich nun aber auf einer Erde zurechtfinden, die in Schutt und Asche liegt.

Besonders und verunstaltet. Ein Protagonist mit Handicap ist auch in Joe Abercrombies neuer Saga „Königsschwur“ (Heyne Verlag) zu finden. Prinz Yarvi von Gettland muss sich als Thronfolger mit einer verkrüppelten Hand behaupten. Als sein Vater und sein Bruder ermordet werden, schwört Yarvi Rache, wird durch einen Hinterhalt vom Thron gestoßen und als Sklave verkauft. Ob er jemals die Regentschaft zurückerobern kann? Der zweite Teil, „Königsjäger“, erscheint im Oktober.
Eines zeigen sowohl Marie Lus Welt als auch die von Abercrombie: Wer jetzt Fantasyromane schreibt, setzt nicht mehr zwangsweise auf perfekte Helden. Ob gehandicapt oder mit ungewöhnlichen Fähigkeiten ausgestattet, aber verunstaltet – klassische Vampir-Werwolf-Hexen-Bestseller sind unter den neu veröffentlichten Büchern in diesem Jahr nur mehr wenige zu finden. Mit „Die Insel der besonderen Kinder“ (Knaur) hat US-Autor Ransom Riggs etwa 2011 ein bezauberndes und packendes Buch über Miss Peregrine und die Waisenkinder in ihrem Heim geschrieben. Eines der Kinder ist so leicht wie Luft, eines besonders stark, eines hat einen zweiten Mund am Hinterkopf. Im zweiten Teil der Saga, „Die Stadt der besonderen Kinder“, müssen die Kinder nun die Zeitschleife, die Insel Cairnholm, verlassen, um vor ihren Feinden zu fliehen. Im England der 1940er machen sie sich auf die Suche nach einer Magierin, denn Miss Peregrine ist nicht mehr die Hilfe, die sie sein sollte. Klar, dass ihnen auch in London viel Gefahr droht.

In die Gegenwart zurückgekehrt ist Hexe Diana Bishop mit ihrem Verlobten, dem Vampir Matthew de Clermont. Nach ihrer Zeitreise in die Vergangenheit und mit ihren neu gewonnenen Hexenkräften muss sie sich jetzt der Gegenwart stellen – und zuallererst einmal Matthews schwieriger Familie. Deborah Harkness’ letzter Teil der „All Souls“-Trilogie, „Das Buch der Nacht“ (Blanvalet), ist wieder packend, wenn auch etwas dicht geschrieben. Wer den Inhalt der Vorgängerbücher nicht mehr im Kopf hat, verliert schnell einmal den Überblick, wer mit wem welche Allianz geschmiedet hat. Egal, das Geheimnis um das Manuskript Ashmole 782 und die romantische Beziehung zwischen Diana und Matthew fesseln einen an die Seiten.

Zu Ende geht auch Cornelia Funkes Trilogie rund um Welten- und Spiegelwanderer Jacob Reckless. Zurück in der Spiegelwelt, muss Jacob in „Das goldene Garn“ (Dressler) nun den Handel erfüllen, den er mit dem Erlelf geschlossen hat. Funke hat nach ihrer weltweit erfolgreichen „Tintenherz“-Trilogie mit „Reckless“ eine komplett neue Welt geschaffen, die dunkler ist als der hochgelobte Vorgänger. Auch wenn der Hype um „Reckless“ weniger groß ist als der um „Tintenherz“: Ihr wortkarger Held Jacob, der wohl mehr Ehrgefühl hat, als ihm guttut, ist definitiv einen Griff zum Buch wert.

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Realer Kern. Dass Fantasygeschichten übrigens meistens als Trilogien oder ganze Serien angelegt sind, ist kaum verwunderlich. Zu komplex sind nämlich die neu erschaffenen Welten, als dass sich die Abenteuer in bloß einem Band abhandeln ließen. Das ist auch bei „Elias & Laia – Die Herrschaft der Masken“ (Bastei Lübbe) von Sabaa Tahir nicht anders, wenngleich noch nicht feststeht, ob es eine Fortsetzung geben wird. Die Welt von Elias und Laia hat einen sehr realen Hintergrund. „Ich las gerade eine Story über Frauen im Kaschmir, deren Brüder, Ehemänner und Söhne von lokalen Militärs entführt und nie wieder gesehen wurden. Dabei ging mir durch den Kopf: Was würde ich tun, wenn mir einer meiner Brüder genommen würde? Würde ich versuchen, ihn zurückzuholen?“, schreibt Tahir im Vorwort. Das Ergebnis ihrer Überlegungen lässt sich ab 15. Mai nachlesen.
Sehnlichst wird auch die Fortsetzung von „Das Lied von Eis und Feuer“ erwartet. „Game of Thrones“-Autor George R. R. Martin ist ja nicht für sein schnelles Schreiben bekannt. Quasi zum Überbrücken der Wartezeit wurden Ende 2014 anstatt der Fortsetzung die „Traumlieder“ I und II veröffentlicht, in denen seine Kurzgeschichten gesammelt sind. Der dritte Teil, „Traumlieder III“, erscheint nun im Mai (alle Heyne Verlag).

Eine ganz neue Welt betritt Robert Corvus mit „Grauwacht“ (Piper), in dem die Menschen dazu verdammt sind, ewig in der Nacht zu wohnen – und mit dieser zu wandern, bis die Welt aus dem Gleichgewicht gerät. Die Monde nehmen eine andere Farbe an. Werden die Menschen gegen ihre Feinde, die Sasseks, bestehen?
Auf Altbewährtes setzt A. I. Aiken mit ihrer Gestaltwandler-Reihe „Lions“ (ebenfalls Piper). „Fesselnde Jagd“ heißt Band acht, der am 11. Mai erscheint. Chick-Lit (Frauen-Belletristik) trifft Fantasy-World, könnte als Untertitel auf den Büchern stehen. Wer „freche Frauenromane“ kennt und mag, wird auch Aikens Bücher mögen. Eine starke, aber etwas schusselige Frau versucht, ein Problem in ihrem Leben zu lösen und wird dabei – mal williger, mal unwilliger – von einem schönen Mann begleitet, der sich zufälligerweise auch als ihr Retter und die Liebe ihres Lebens entpuppt. Dass es sich bei den Protagonisten in Aikens Büchern um Gestaltwandler wie Hunde, Wölfe, Bären oder manchmal sogar Hybride (Eisbären-Löwen-Männchen) handelt, ist reine Nebensache für die Liebesgeschichte und dient nur als Ausrede dafür, dass sich die testosterongesteuerten Männchen gegenseitig attackieren können. Trotzdem unterhaltsam.

Verheiratet in zwei Welten. Das Testosteron schwirrt auch in der neuen Fantasyserie „Outlander“ (seit August 2014 beim US-Sender Starz). Die Krankenschwester Claire wird nach dem Zweiten Weltkrieg, während der zweiten Flitterwochen mit ihrem Mann in den schottischen Highlands, ins Jahr 1743 zurückgeschleudert. In einer Welt, in der die schottischen Clans noch an der Macht sind, und verfolgt von den Vorfahren ihres eigenen Ehemannes, muss sich Claire zurechtfinden. Auch emotional. Immerhin ist ihr der junge Clansman Jamie lieber, als sie zunächst denkt. Verheiratet in zwei Welten, ein anstehender Krieg und der drohende Untergang der Clans, wie soll Claire sich verhalten? Und muss sie nicht um jeden Preis wieder zurück? Das erste Buch der „Highland-Saga“, auf der die Serie basiert, hat Diana Gabaldon 1995 veröffentlicht, der achte Teil, „Ein Schatten von Verrat und Liebe“, erschien 2014 auf Deutsch bei Blanvalet, was auch damit zu tun hat, dass Gabaldon nur alle paar Jahre eine Fortsetzung der Serie veröffentlicht. Ihre Fangemeinde vergrault das nicht. Sie dürfte mit dem Erfolg der TV-Serie ohnehin nur größer werden.

Wer übrigens nicht auf das nächste Buch warten kann: In „Königin im Exil“ (Blanvalet) sind 21 neue Erzählungen von Autoren wie Diana Gabaldon, Joe Abercrombie oder George R.R. Martin enthalten. Gabaldon steuert eine neue „Outlander“-Geschichte bei, Martin schreibt über den Bürgerkrieg, bei dem der fiktive Kontinent Westeros vor der „Das Lied von Eis und Feuer“-Saga fast zerbrochen wäre. 

Fantasy-Empfehlungen.

Robert Corvus‘ „Grauwacht“ erzählt von einer Welt, in der die Menschen in der Nacht leben. Piper, 12,99 Euro.

„Die Stadt der besonderen Kinder“ von Ransom Riggs dreht sich um Kinder mit besonderen Fähigkeiten. Knaur, 16,99 Euro.

In Joe Abercrombies „Königsschwur“ schwört ein verkrüppelter Königssohn Rache. Heyne Verlag, 14,99 Euro.

Die „Reckless“-Trilogie von Cornelia Funke nimmt mit dem Buch „Das goldene Garn“ ihr Ende. Dressler, 19,99 Euro.

„Das Buch der Nacht“ von Deborah Harkness bringt eine Hexe und einen Vampir in die Gegenwart zurück. Blanvolet, 19,99 Euro.

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