Žižek sagt: „Wir müssen nicht genießen!“

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Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek füllte an Freuds Geburtstag das Wiener Burgtheater.

Seit 1970 veranstaltet die Sigmund-Freud-Gesellschaft alljährlich zu Freuds Geburtstag, am 6. Mai, eine öffentliche Vorlesung. Sie war stets beliebt, jetzt ist sie so populär, dass sie die Räume sprengt. 2014 füllte die feministische Philosophin Judith Butler das Audimax der Uni Wien (und per Video drei weitere Hörsäle), auch heuer mussten viele abgewiesen werden: Das Burgtheater, in dem Slavoj Žižek am Mittwoch sprach, war nicht groß genug für den Massenappeal der meist überraschenden, manchmal haltlosen Thesen dieses slowenischen Denkers. Der stets für selbstironische Exkurse gut ist: So bekannte er sich, apropos Freud, als „obessional neurotic“: Wer ihn mehr als zehn Minuten sehe und das nicht merke, dem sei nicht zu helfen. Tatsächlich: Der beständig sprudelnde, schniefende, sich die Stirn reibende, von Thema zu Thema fliegende Žižek macht es Zuhörern nicht leicht, die auf konsistente Gedankengänge Wert legen.

Jenseits des Lustprinzips

Auffällig, dass sowohl Butler als auch Žižek über einen eher wackligen, erst spät hinzugefügten Stein in Freuds Theoriegebäude sprachen: über den Todestrieb. „Politik des Todestriebs. Der Fall der Todesstrafe“ war 2014 Butlers Titel, heuer sprach Žižek über „Theology, Negativity, and the Death-Drive“.

Freud rang sich ja erst spät, in „Jenseits des Lustprinzips“ (1920), dazu durch, dem Eros einen Widersacher zuzugesellen. Recht klar wurde ihm nicht, was dieser Thanatos sein solle. Eine Tendenz zur Auflösung der vom Eros geschmiedeten Verbände? Zur Rückkehr ins Anorganische? Freud selbst sprach vom Nirwana-Prinzip.
Žižek sieht das anders: Freud habe mit dem Todestrieb in Wahrheit „das genaue Gegenteil des Sterbens“ beschrieben: ein „untotes“ Leben, eine Ewigkeit jenseits von Leben und Tod, das schreckliche Schicksal des Amfortas in Wagners „Parsifal“ oder der Zombies. Was ist die Wunde, die Amfortas unsterblich macht? Der Drang zum exzessiven Genießen. Eben gegen diesen Zwang zum Hedonismus müsse die Psychoanalyse heute antreten, nicht gegen restriktive Väter, die gar nicht mehr existieren. ?ižek erzählte dazu wieder einmal seine Vision vom idealen Paar: eine mit Vibrator ausgestattete Frau, ein mit einer Plastikvagina gerüsteter Mann. Die beiden beschließen, ihre Geräte es pflichtschuldig miteinander treiben zu lassen und indessen ein Tässchen Tee miteinander zu trinken, vielleicht ein wenig zärtlich zu sein . . .

Ein anderer Lieblingswitz Žižek ist der vom Patienten, der glaubt, dass er ein Maiskorn ist. Vom Therapeuten geheilt, gesteht er diesem doch, dass er noch immer Angst vor Hühnern habe. Wieso das? „Ich weiß, dass ich kein Korn bin, aber weiß es das Huhn?“

„Wenn Gott existiert, ist er böse“

Ähnlich spricht Žižek, wiewohl exzessiv bekennender Atheist, von Gott: „Gott existiert nicht. Aber wenn er existiert, ist er böse.“ Denn er könne nicht allmächtig und gut zugleich sein, schließlich prädestiniere er die Menschen zum schuldlosen Leiden. Žižeks Heldin ist die Sharon im Film „The Rapture“, die es ablehnt, diesen Gott zu lieben und lieber ewig im Purgatorium bleibt. Über diese unauflöslichen, im Buch Hiob, aber auch in Christi Worten am Kreuz beschriebenen Widersprüche hätten sich Mel Gibson und Zeffirelli in ihren Jesusfilmen hinweg geschwindelt, meinte Žižek, schimpfte noch ein wenig über die beiden, nachdem er sich abermals als Kommunist bekannt hatte. Aber auch hier fand er eine paradoxe Formel: „Worüber Marx wirklich träumte, war Kapitalismus ohne Kapital.“ Mit einer Ladung solcher Sätze im Kopf, verwirrt und inspiriert zugleich, bejubelte das Publikum den wilden Denker.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2015)

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