Ein ewig Unentschlossener

Was nicht alles hätte sein können: Stefan Gärtners Roman über Putin, einen ewig Unentschlossenen.
Was nicht alles hätte sein können: Stefan Gärtners Roman über Putin, einen ewig Unentschlossenen.Anika Kempf
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Was wäre wenn? Es ist diese Frage, die den Helden in Stefan Gärtners "Putins Weiber" geradezu paralysiert. Ein etwas langatmiger Roman über einen Mann, der leben lernt.

Dieser Anfang beginnt mit einem Ende: Vera hat ihren Freund Waldemar betrogen. Es ist auf einem Kongress passiert, mit Robert, „einer Leuchte der Kulturwissenschaft“. Vera sagt, es habe keine Bedeutung. Das mag für die paar Minuten stimmen – und dennoch bringt die kurze Begegnung die Konvention zu Fall. „Nimm einfach an, es gibt mich nicht“, sagt Vera zu Waldemar. „Lass uns eine Weile Single spielen. Keine Verantwortung dem anderen gegenüber. Hast ja eh einen gut.“ – „Du meinst, ich hab eine gut“, versucht der Betrogene einen Witz.

Im dramatischen Beginn von Stefan Gärtners Roman „Putins Weiber“ steht das Ende der Beziehung von Vera und Waldemar, genannt Putin, dessen Freunde einen Kalauer über „Wladimir Putin“ zum Rufnamen für den Thirtysomething umfunktioniert haben. Das Ende der Beziehung, zunächst angelegt als temporäre Trennung und ausdrücklicher Freibrief für Putin, sich mit der Eroberung einer Frau für Veras Fehltritt rächen zu dürfen, ist Ausgangspunkt für Waldemars/Putins Reise in die eigene Vergangenheit. Denn wo fündig werden, wenn nicht bei den Fast-Frauen seines bisherigen Lebens?

Allzu viele sind es nicht gewesen, aber alle tragen sie ein M als ersten Buchstaben – Manuela, Marie, Mareike, Mimi. Warum, erschließt sich dem Leser nicht. Auch der Titel des Romans „Putins Weiber“ scheint so gar nicht zu dem männlichen Protagonisten zu passen, den Gärtner beschreibt: Putin hat es in seiner Vergangenheit nämlich so gut wie gar nicht geschafft, erfolgreich Frauen abzuschleppen. Warum dieser Macho-Ton? Die beiden Schlagworte im Titel scheinen auf Werbewirkung abzuzielen.


Der Witz an der Liebe. Gärtner hat einen Roman über einen ewig Unentschlossenen geschrieben, über einen Mann, der sich stets gern vor Entscheidungen gedrückt und selten Dinge initiiert hat: „Als ich sechzehn war, war ich felsenfest davon überzeugt, dass das eben der Witz an der Liebe ist, dass man sich da nicht entscheiden muss. In meiner Vorstellung stand sie eines Tages vor der Tür, die Liebe (...) Aber sie stand nie vor der Tür. Ich dachte, sie müsste irgendwann klingeln. Stellt sich raus, man muss selbst klingeln. An einer fremden Tür. Nichts, wirklich gar nichts, hätte mir ferner liegen können.“

So ist er, der Putin. Er räsoniert gerne und viel. Manchmal ein bisschen zu viel. Die Kapitel, in denen er abwechselnd aus der Ich-Perspektive und dann wieder aus der Perspektive eines Erzählers beschrieben wird, haben ihre Längen. Dagegen kommt auch der Wortwitz nicht an, nicht die zeitkritischen Bemerkungen und die mitunter amüsanten Dialoge zwischen Putin und seinen männlichen Nachbarn und seinem treuen Freund Georg. Stefan Gärtner, der von 1999 bis 2009 Redakteur beim deutschen Satiremagazin „Titanic“ war, hat einen Helden erschaffen, der ständig schwankt, er ist die Unsicherheit in Person. „Erst ist mir das Tun schwergefallen, weil ich dachte, wenn du es tust, dann wird das Konsequenzen haben, und welche, das kannst du nicht wissen. Aber mit dem Lassen bin ich auch nicht zurechtgekommen, weil dann die Frage war: Warum tust du's nicht?“ Es sind diese Worte, mit denen sich der Anti-Held bei einer Psychologin vorstellt: Mareike, eine Frau aus seiner Vergangenheit, die ihn einst ignorierte.

Zwischen Mareike, die ihren vermeintlichen Patienten schließlich erkennt und sich zu einem Abendessen ausführen lässt, und Putin entspinnt sich etwas Neues. Gibt es falsche Entscheidungen, gibt es ein Ende? Selten. Als Putins Mareikes Geschichte hört, und die der anderen Verflossenen, versteht er, dass nicht nur er seine Last zu tragen hat, sondern auch Mareike die ihre, wenn auch eine andere.

„Quäl dich nicht“, sagt eine Bekannte. „Es werden Fehler gemacht, und die Fehler führen zu allem.“ Das ist ja schon mal ganz erbaulich, auch für Putin.

Neu Erschienen

Stefan Gärtner
„Putins Weiber“

Rowohlt Berlin
284 Seiten
20,60 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2015)

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