Meister, die uns die Weltliteratur gegenwärtig machen

Dostojewski stand am Anfang der Welle von Neuübersetzungen, die uns in 20 Jahren viele Klassiker neu entdecken ließ.

Als 1996 Swetlana Geiers Neuübersetzung von Dostojewskis 1866 erschienenem Roman „Schuld und Sühne“ unter dem Titel „Verbrechen und Strafe“ erschien, war die Aufregung groß. Während die preisgekrönte Übersetzerin behauptete, dass die legendäre Hauptfigur Rodion Raskolnikow „nicht einmal im Epilog von Schuldgefühlen geplagt“ werde, argumentierten die entsetzten Kritiker, dass es Dostojewski um nichts anderes als um Schuldgefühle ging. Zugeben musste man allerdings, dass der russische Originaltitel des Romans, „Prestuplenije i nakasanie“, mehr juristische als metaphysische Bedeutung hat und die Neuübersetzung ihm deshalb mehr entspricht als ebenjener Titel, unter dem der Roman auf Deutsch bekannt wurde.

Diese Diskussion erklärt jedenfalls, warum Neuübersetzungen sinnvoll sein können. Denn jede Zeit hat ihre Wertmaßstäbe. Im 19.Jahrhundert waren die metaphysischen Bezüge, die bei Begriffen wie Schuld und Sühne mitschwingen, noch wesentlich präsenter als im 21.Jahrhundert. Die über ihrem Lebenswerk 2010 verstorbene Swetlana Geier benannte deshalb weitere Bücher Dostojewskis um: Aus den „Dämonen“ wurden „Böse Geister“, aus dem „Jüngling“ wurde ein „Grüner Junge“. Der Erfolg dieser bibliophil gestalteten Neuausgaben rief ein paar Verlage auf den Plan, die sich in den vergangenen 20 Jahren der Neuübersetzung von Klassikern verschrieben.

Der Hanser Verlag etwa legte 2000 die Neuübersetzung von Alessandro Manzonis 1827 erstmals erschienenem Roman „Die Verlobten“ in der Übersetzung von Burkhart Kroeber unter dem Titel „Die Brautleute“ vor. Der alte Goethe hatte seinerzeit noch davon geschwärmt, dass dieser Roman „alles überflügelt“, was wir in dieser Art kennen. In kurzer Zeit wurden 20.000 Stück von der Neuausgabe abgesetzt.

In den folgenden Jahren nahm sich eine Reihe von Verlagen Klassiker vor. Wolfgang Tschörke hat etwa die Franzosen Cyrano de Bergerac, Voltaire, Zola und zuletzt Rabelais neu übersetzt, die Grazerin Elisabeth Edl hat unter anderem Flauberts „Madame Bovary“ in ein zeitgemäßes Deutsch gebracht. Eva Hesse, die dem deutschsprachigen Publikum wesentliche englischsprachige Dichter des 20. Jahrhunderts von E. E. Cummings über T. S. Eliot bis zu Samuel Beckett vermittelt hat, hat zuletzt mit ihrer Übertragung von Ezra Pounds „Cantos“ aufhorchen lassen. Für Aufsehen haben auch Alexander Nitzbergs Übersetzung von Bulgakows Jahrhundertwerk „Meister und Margerita“, Peter Urbans Übertragung des Werkes von Tschechow und Turgenjew oder der von Jürgen Brôcan neu ins Deutsche gebrachte Roman Nathaniel Hawthornes, „Der scharlachrote Buchstabe“, gesorgt.

Schwerer überprüfbar und deshalb oft umstritten sind Neuübertragungen aus toten Sprachen. Zuletzt hat sich der Tiroler Raoul Schrott an eine moderne Version von Hesiods „Theogonie“ gewagt. Der Autor betonte zwar, genau recherchiert und die Stätten besucht zu haben, in denen die Götterwelt der alten Griechen angesiedelt ist, doch die Kritik an seiner freien Wiedergabe blieb nicht aus. So mag man geteilter Meinung darüber sein, ob der Satz „Sie haben Hesiod einst den schönen Gesang gelehrt“ besser ist oder „Sie waren es, die Hesiod schön zu singen lehrten“, wie Schrott übersetzt hat.

Solche Probleme stellen sich natürlich auch Übersetzern aus lebenden Sprachen. Und darüber wird unter den Sprachkünstlern auch eifrig gestritten. Georg Schwarz übersetzte in der legendären 13-bändigen Edition der Dostojewski'schen Werke in der DDR-Ausgabe bei Aufbau etwa die russische Redensart „podnesti koku s sokom“ mit „einen Kniff mit Pfiff beibringen“. In der Münchner Ausgabe bei Piper, die von E. K. Rashin gestaltet worden war, hieß es an dieser Stelle, „ein Bonbon mit Füllung verabreichen“. Das sind doch eklatante Unterschiede.

Empfehlung

„Verbrechen und Strafe“. Von Fjodor M. Dostojewski. Aus dem Russischen von Swetlana Geier. 768 S.,brosch., € 13,40 (Fischer Taschenbuch Verlag)

„Theogonie“. Von Hesiod. Aus dem Altgriechischen und erläutert von Raoul Schrott. 224S., geb., €20,50 (Hanser Verlag)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2015)

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