Mexiko, Schlachthof der Kartelle

Don Winslow
Don Winslow (c) EPA (ALBERTO ESTEVEZ)
  • Drucken

US-Autor Don Winslow mutet mit seinem hyperrealistischen Drogendrama »Das Kartell« dem Leser viel zu. Doch wer die Lage in Mexiko verstehen will, muss dieses Buch gelesen haben.

Insgesamt 1500 Seiten umfasst Don Winslows zweiteiliges Drogenepos um den amerikanischen Drogenfahnder Art Keller und seinen mexikanischen Gegenspieler, den Drogenboss Adán Barrera. 2010 legte der US-Autor mit „Tage der Toten“ einen der besten Thriller des Jahrzehnts vor, nun ist mit „Das Kartell“ die 800-seitige Fortsetzung erschienen. Wollte man das Drama, das in Mexiko abläuft, kurz zusammenfassen, könnte man aus der Mitte des neuen Buches zitieren: „Mexiko, das Land der Pyramiden und Paläste, der Wüsten und Dschungel, der Berge und Strände, Märkte und Gärten, Boulevards und Gassen, Plazas und Patios ist jetzt nur noch ein Schlachthof. Und wozu das Ganze? Damit sich die Amis mit Drogen vollpumpen können.“

Winslow bringt Licht in Amerikas vielleicht unbekanntesten Krieg, jenen gegen die Drogen, der seit über 40 Jahren herrscht und den US-Präsident Richard Nixon ausrief.

Der Autor zeigt, dass das „mexikanische Drogenproblem“ eigentlich ein amerikanisches Drogenproblem ist. Er führt das auch im Buch aus: „Amerikaner kiffen, schnupfen, spritzen, was das Zeug hält – Marihuana, Kokain, Heroin, Crystal Meth –, und haben dann den Nerv, auf den Süden zu zeigen und mit erhobenem Zeigefinger auf das ,mexikanische Drogenproblem‘ und die mexikanische Korruption zu verweisen.“ Dabei haben mexikanische Polizisten keine Wahl: Entweder sie lassen sich bestechen, oder sie und ihre Familien werden getötet.


Amerika profitiert. Wer „Das Kartell“ liest, wird erkennen, dass nicht nur die bösen Mexikaner vom Handel mit Drogen profitieren, sondern auch und vor allem die Amerikaner. Sie sind abhängig von schmutzigem Geld, das nicht unwesentlich dabei hilft, ihre Wirtschaft am Leben zu erhalten. Die brachliegende Immobilienwirtschaft in Kalifornien und anderen Gegenden der USA nach der Finanzkrise 2008 wäre ohne die Milliarden an Drogengeld wohl schon längst endgültig zusammengebrochen. Nicht vergessen sollte man auch die Milliarden, die direkt in den „Krieg gegen Drogen“ fließen und amerikanische Behörden, Waffenproduzenten, Überwachungstechnologie sowie den Gefängnisbau finanzieren.

Eine weitere Erkenntnis: Das große Geld macht man mit den Transportrouten, die durch sogenannte Plazas verlaufen. Wer die Plaza besitzt, kann Weggeld einfordern. Die obersten Kartellbosse kommen mit Drogen kaum mehr in Berührung, umso heftiger umkämpft sind die Plazas. Es sind vor allem die Gemetzel, die hier passieren, die es regelmäßig in die Medien schaffen: 30 enthauptete Leichen hier, 40 getötete Studenten dort. Tatsächlich kommt es dabei auch nicht selten zu Verwechslungen, weshalb massenweise Unschuldige sterben.

„Das Kartell“ ist nicht ganz so brillant wie sein Vorgänger, manchmal hat man das Gefühl, Winslow will jedem einzelnen der zahlreichen Toten dieses Krieges gerecht werden. „Tage der Toten“ überzeugte neben der präzisen und schonungslosen Beobachtung des Kriegs gegen Drogen vor allem durch seine zahlreichen, fein gezeichneten Charaktere und die außergewöhnlichen Beziehungssituationen. Im zweiten Teil steht hingegen das Duell zwischen dem Drogenfahnder und dem Drogenboss stärker im Vordergrund. Beim Versuch, den Kontrahenten zu töten, nehmen sie billigend den Tod vieler Unbeteiligter in Kauf. Zwischen Gut und Böse ist nicht zu unterscheiden. „Es heißt, dass die Liebe alles besiegt“, denkt Keller einmal. „Das ist falsch. Der Hass besiegt alles.“


Ein Desillusionierungsroman. Dennoch nimmt sich der Autor immer wieder Zeit für Nebenhandlungen, die dann auch schon einmal 30, 40 Seiten lang dauern können. Das ist zwar für den Lesefluss ein wenig hinderlich, ermöglicht ihm aber ein einfühlsames Porträt der mexikanischen Gesellschaft.

Winslows Drogendrama ist ein Desillusionierungsroman. Immer wieder werden Drogenbosse beseitigt, doch die Maschine läuft weiter: „Nicht die Bosse machen das Kartell, sondern das Kartell macht die Bosse.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.