Literatur: Haben wir bald einen Staatspreisträger ohne Hauptwerk?

(c) BilderBox
  • Drucken

Der wichtige Roman „Der Zögling Tjaž“ von Florjan Lipuš ist seit über zwei Jahren nicht mehr im Buchhandel erhältlich. Ob das so bleibt oder ob er wieder aufgelegt werden kann, hängt vom Ausgang eines Streits zwischen zwei österreichischen Verlegern ab.

Alle sind sich einig: Der großartige und für die österreichische Literatur der Zweiten Republik wichtige Roman „Der Zögling Tjaž“ von Florjan Lipuš muss im Buchhandel erhältlich sein. Derzeit ist das nicht der Fall. Warum nicht? Diese Frage evoziert eine lange und ermüdende Geschichte. Als handelnde Personen in diesem Drama treten auf, in alphabetischer Reihenfolge: Peter Handke, Jochen Jung, Florjan Lipuš, Helga Mracnikar, Alfred J. Noll, Lojze Wieser. Handke und Mracnikar haben den 1972 auf Slowenisch erschienenen Roman ins Deutsche übersetzt. So konnte er 1981 im damals von Jochen Jung geleiteten Salzburger Residenz Verlag erscheinen. Es war ein literarisches Ereignis.

Anlässlich des 60. Geburtstags des Autors im Mai 1997 wollte Lojze Wieser das nicht mehr lieferbare Werk in seinem Klagenfurter Verlag neu auflegen und suchte im Jahr davor um die Rechte an. Die wurden ihm gegen eine Zahlung von 35.000 Schilling überlassen. In der Folge erschienen mehrere Werke von Florjan Lipuš im Wieser Verlag. Ab da wird's kompliziert. Im Jahr 2000 schied Jochen Jung bei Residenz aus und gründete seinen eigenen Verlag. Die neuen Eigentümer des Residenz Verlags waren an einer Pflege der Backlist nicht interessiert und verkauften deshalb 2005 sämtliche Rechte am Werk von Florjan Lipuš an den Wieser Verlag. Zu diesem Zeitpunkt war der Autor darüber nicht mehr sonderlich glücklich, „drehte sich die Welt“, wie er der „Presse“ berichtete, doch „nur noch um den Verlag“. Aber nicht, weil das Haus mit großartigen Autoren und Büchern zu punkten vermochte, sondern weil „den Verleger die Rechte der Autoren nur auf dem Papier kümmerten, Beschwerden nicht beachtet, Vorschläge im Guten übergangen wurden und Kritik abprallte“, so Lipuš. Kurzum, er hatte den Eindruck, dass der Verlag an der Verbreitung seines Werks nicht mehr interessiert wäre.

Lojze Wieser hingegen behauptet, er würde den „Tjaž“ heute noch lieferbar halten, hätte ihm der Autor nicht die Rechte am Original entzogen. Möglich wurde das, weil der Wieser Verlag im März 2013 Insolvenz anmelden musste. Florjan Lipuš nutzte die dadurch eröffnete rechtliche Chance, sich vom seinem Verlag zu trennen. Nicht jedoch die Übersetzer Peter Handke und Helga Mracnikar. Das bedeutet: Die Rechte der slowenischen Ausgabe des „Zöglings Tjaž“ liegen seither beim Autor, jene der deutschsprachigen Übersetzung theoretisch beim Wieser Verlag.

Angebot von 500 Euro: abgelehnt

Ganz so klar ist das allerdings nicht, denn Schriftliches scheint es dazu nicht zu geben. Sonst hätte Lojze Wieser die diesbezüglichen Verträge Jochen Jung gezeigt, der in der Verlagsvorschau von Jung und Jung für den Herbst 2015 die Herausgabe des Werks ankündigte. Statt der Unterlagen bekam Jochen Jung einen Brief von Alfred J. Noll, dem Anwalt Lojze Wiesers, der das Recht zur Veröffentlichung mit dem Hinweis auf die fehlenden Übersetzungsrechte bestritt. Ab da könnte die Sache zum Fressen für Juristen werden: Fehlende Rechte kontra fehlende Verträge. Darauf wollte sich Jochen Jung nicht einlassen und erkundigte sich, was ihn die Übersetzungsrechte denn kosten würden. „Machen Sie einen vernünftigen Vorschlag“, kam aus der Anwaltskanzlei zurück. Das Angebot Jungs von 500 Euro mit dem Hinweis, dass „jeder Branchenkenner weiß, was von einem Titel zu verkaufen ist, der zum vierten Mal vorgelegt wird“, wurde nach Rücksprache mit seinem Mandanten seitens des Anwalts als unseriös abgelehnt und das Zehnfache gefordert.

Seither ruht die Sache. Zulasten des „Zöglings Tjaž“, der in den Archiven verstaubt. Nun stelle man sich einmal vor, Florjan Lipuš bekäme den Staatspreis für Literatur, den er verdienen würde. Dann hätten wir einen Staatspreisträger ohne Bücher. Weil der Verlegerkrieg über die Hohen Tauern nicht gütlich beendet werden kann? Herr Minister Ostermayer, bitte übernehmen Sie!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.