Romeo und Julia in Dschidda

Sulaiman Addonia erzählt von der Liebe in Saudiarabien.
Sulaiman Addonia erzählt von der Liebe in Saudiarabien. Sarah Turton
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Der aus Eritrea stammende Autor Sulaiman Addonia erzählt von der verbotenen Liebe zweier junger Menschen in der glitzernden Metropole von Saudiarabien.

"Die Liebenden von Dschidda" – das klingt nach Romantik, Herzenswärme, vielleicht sogar Kitsch. Dieser Erwartungshaltung wird Sulaiman Addonias' Romandebüt gar nicht gerecht. Im Gegenteil. Es ist eine Geschichte voller Kälte und Brutalität.

Der Protagonist des Romans, Naser, muss als Zehnjähriger gemeinsam mit seinem dreijährigen Bruder, Ibrahim, aus dem Kriegsgebiet von Eritrea fliehen. Seine Mutter schickt ihn mit einer Flüchtlingskarawane fort. Sie bleibt zurück. Zuerst geht es in ein Lager im Sudan. Von dort holt ein Onkel Naser und Ibrahim heraus und bringt die Buben nach Dschidda in Saudiarabien.

Naser ist sofort verliebt in diese glitzernde, reiche Metropole. Doch sein anfänglicher Enthusiasmus schlägt schnell in bittere Verzweiflung um. In Saudiarabien herrschen die strengen Gesetze des Islam. Die Welt der Frauen ist von der der Männer akribisch getrennt. Es gibt keine Kontakte zwischen den Geschlechtern. Naser, der seine Kindheit mit seiner Mutter und deren Freundinnen im Dorf in Eritrea verbracht hat, fehlt die Frauenwelt – ihre Wärme, ihre Geschichten, ihre Fröhlichkeit.

Doppelmoral der Islamisten. Die bedürftigen Männer in Saudiarabien wenden sich in Ermangelung der anderen Möglichkeit dem eigenen Geschlecht zu. Das ist zwar auch haram – also laut islamischem Gesetz verboten–, aber immerhin möglich. Naser ist wegen seines grazilen Körperbaus und der Mandelaugen bei den Männern begehrt. Als Ausländer ist man in Saudiarabien nicht nur Bürger zweiter Klasse, man muss auch kräftig bezahlen und wird total überwacht. Jeder Nichtsaudi benötigt einen Bürgen, den sogenannten Kefil, um überhaupt eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Diese muss jährlich verlängert werden. Als Nasers Onkel einmal die Gebühr nicht zahlen kann, schickt er auf Verlangen des Kefils, des Gesegneten Bader ibn Abdallah, der im Radio Interviews zur moralischen Verkommenheit der Jugend gibt, Naser in dessen Haus. Der Onkel ist ein strenggläubiger Muslim. Trotzdem bedient er sich seines Neffen, wissend, in welcher Währung der erst fünfzehnjährige Naser den Kefil bezahlen muss.

Das ist nicht das einzige Mal, dass der Junge gezwungen ist, seinen Körper zu verkaufen. Er arbeitet in einem Café als Kellner, in dem vorwiegend homosexuelle Männer verkehren. Und auch seine Freunde wollen mehr von ihm, als bloß zu plaudern. Die Jungen treffen sich an geheimen Orten, schnüffeln Klebstoff und duften aus dem Mund, denn Alkohol gibt es nur als Parfum.

Verbotene Liebe. Die entscheidende Wendung nimmt Nasers Dasein, als ein Mädchen an ihm vorbeigeht und einen Zettel mit einer Botschaft fallen lässt. Es ist ein Liebesbrief. Naser weiß nicht, wie das Mädchen aussieht, wie alle Frauen ist es vollkommen verschleiert, er weiß nicht, wie ihre Stimme klingt und wonach ihr Haar duftet. Doch eines ist klar: Es ist eine mutige junge Frau, die bereit ist, für ihre Liebe zu sterben. Und auch Naser lässt sich auf das Wagnis ein. Zum ungewollten Boten ihrer Liebe wird der blinde Imam der Moschee im Nasers Viertel – ein schönes Symbol für die Verblendung des Hasspredigers. Nach Monaten des Versteckspiels wird klar: In Saudiarabien wird sich der Traum der jungen Menschen vom gemeinsamen Leben nicht erfüllen, sie planen die Flucht.

Der Autor dieses außergewöhnlichen Buches, Sulaiman Addonia, hat selbst das Land verlassen und lebt in London. Die Geschichte, die er in seinem ersten Roman erzählt und vermutlich stark autobiografische Bezüge aufweist, ist eine der Unterdrückung, der Menschenrechtsverletzungen und grausamen körperlichen und psychischen Strafen und Folterungen.


Willkür der Religionspolizei. Saudiarabien lehnte sich eine Zeit lang an die USA an, gehörte zu den Verbündeten des Westens. Seit Jahren aber wird die Kritik an der Diskriminierung der Frauen, die vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind, und den harten Maßnahmen gegen Regimekritiker immer lauter. Jenen jungen Männern und Frauen, die aus den europäischen Ländern nach Syrien fahren, um sich dort dem Islamischen Staat anzuschließen, sollte man dieses Buch besonders ans Herz legen. Wer wissen will, wie man in einem konservativ-islamischen Land lebt, der kann das bei Sulaiman Addonia nachlesen. Verurteilt wird nicht der Islam an sich, vielmehr jene Form der Anwendung, die Menschen daran hindert, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

In klarer, eindringlicher, stellenweise drastischer Sprache erzählt Addonia von den Gräueltaten und der Willkür der Scharfrichter und der Religionspolizei und von der Angst, die die Menschen Tag und Nacht in ihrem Würgegriff hat. Da wird nichts beschönigt, nichts verklärt. Dass die Liebe selbst in Zeiten von Cholera und Pest Schlupflöcher des Widerstands findet, ist ein Hoffnungsschimmer.

Neu Erschienen

Sulaiman Addonia
„Die Liebenden von Dschidda“
übers. von: Bernhard Jendricke, Rita Seuß
Atlantik Verlag

383 Seiten, 10,99 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2015)

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