E. L. Doctorow: Er liebte, kritisierte und ironisierte Amerika

(c) imago/ZUMA Press
  • Drucken

E. L. Doctorow, bekannt für Romane wie „Ragtime“ und „Billy Bathgate“, ein möglicher Kandidat für den Literaturnobelpreis, ist in Manhattan an Lungenkrebs gestorben.

Er war mit Leib und Seele New Yorker: Im Jänner 1931 wurde Edgar Lawrence Doctorow im Stadtteil Bronx geboren; am Dienstag ist er in Manhattan an Lungenkrebs gestorben. Um ihn trauern nicht nur seine Frau und drei Kinder, sondern auch eine große Lesergemeinde, denen er preisgekrönte Romane wie „Das Buch Daniel“ (1971) „Ragtime“ (1975), „Billy Bathgate“ (1989), „Homer & Langley“ (2009) und zuletzt „Andrew's Brain“ (2014) geschenkt hat.

„Wer glaubt mehr an Amerika als die Leute, die eilig die Gangway herunterlaufen und die Erde küssen?“ Mit diesem Satz aus dem Roman „Homer & Langley“ meinte Doctorow keinen ehemaligen Papst, sondern Migranten in die USA, die er für die größten Patrioten ihres neuen Heimatlandes hielt. Der Satz ist auch typisch für seinen schwarzen Humor. Doctorow, Nachfahre jüdischer Einwanderer aus Russland, hatte ein inniges Verhältnis zu den Vereinigten Staaten, weshalb er Land und Leute auch gern ironisierte.

Er nutzte seine Stellung als angesehener Schriftsteller, um sich politisch einzumischen. Dabei geriet er auch selbst unter Beschuss, etwa, als er 2004 im Fußballstadion der Hofstra-Universität eine Rede gegen den Irak-Krieg hielt. Die Studenten applaudierten, doch ihre ebenso anwesenden Eltern haben ihn damals ausgebuht. Er aber blieb dabei: „George W. Bush hat Amerika dekonstruiert.“

Als GI in Deutschland stationiert

Dass E. L. Doctorow vehementer Kriegsgegner war, hat auch mit seiner Biografie zu tun. War er doch als Angehöriger der US-Armee von 1953 bis 1955 in Deutschland stationiert. Was er dort über die Kriegsgräuel erfahren hat, ist nicht nur in sein Bewusstsein, sondern direkt in seine Romane eingeflossen. Nach seiner Rückkehr aus Europa konnte er mit seinem Studium der Philosophie, das er 1952 mit Auszeichnung absolviert hatte, nicht allzu viel anfangen und schlug sich erst einmal mit Gelegenheitsarbeiten durch, bevor er 1959 als Lektor zu arbeiten begann. 1960 erschien sein erstes Buch mit dem prophetischen Titel „Welcome to Hard Times“. Ab da ging es mit seiner Karriere steil bergauf. Den Durchbruch schaffte er 1975 mit dem New-York-Roman „Ragtime“, in dem er Kleists „Michael Kohlhaas“ verarbeitete. Das Buch stand fast ein Jahr an der Spitze amerikanischer und englischer Bestsellerlisten und wurde 1981 von Miloš Forman verfilmt.

Besonders aktuell scheint jedoch sein Roman „Der Marsch“ aus dem Jahr 2005 zu sein, in dem es um die Verwüstungen im amerikanischen Bürgerkrieg geht. Doctorow zeigt darin, dass der Sieg Lincolns zuerst nicht zur Befreiung der Schwarzen geführt hat. „Es kamen Jahrzehnte der Segregation“, beklagte er 2007 in einem Interview. Wenn heute Angehörige des Ku-Klux-Klans wieder die Südstaatenfahne schwenken, dann berufen sie sich auf diese Ausgrenzung der Schwarzen.

E. L. Doctorow war ein politisch engagierter Autor, der das Genre des historischen Romans nicht bedient, sondern nur gern fiktionale Charaktere in historische Kontexte gestellt hat. Einen „Historiker und Erfinder“ nannte ihn Daniel Kehlmann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.