Der Bühnentod ist manchmal echt

Krimiautor Peter Oberdorfer: Es kann niemals schaden, wenn man James Joyce gelesen hat.
Krimiautor Peter Oberdorfer: Es kann niemals schaden, wenn man James Joyce gelesen hat. Ralph Tooten
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Im Wien-Krimi "Schweres Gift" stirbt die betörende Sängerin Linda Steinberg auf der Bühne der Stadthalle. Kommissar Otto Bramböck muss nun herausfinden, warum eigentlich.

Die beste Voraussetzung für ein langes Leben als Ikone ist ja bekanntlich ein früher Tod. Nicht nur Amy Winehouse, Kurt Cobain und Jim Morrison können davon kein Lied mehr singen. Im Wien-Krimi „Schweres Gift“ von Peter Oberdorfer zieht die Sängerin Linda Steinberg diese potenzielle Unsterblichkeitsschraube bis zum äußersten Anschlag an: Sie stirbt auf der Bühne der Wiener Stadthalle, noch bevor ihr erstes richtiges Konzert überhaupt begonnen hat. Illegale Substanzen spielen natürlich auch bei diesem Popstar-Tod eine zentrale Rolle, doch diesmal anders, als man denkt: Die Frontfrau der Band Steinberg wurde mit einer Essenz des Blauen Eisenhuts vergiftet, einer Pflanze, die in jeder mäßig sortierten Baumarktgartenabteilung zu finden ist.

Der Hype, der nach diesem öffentlichen Tod um ein Dutzend unveröffentlichte Songs und ein paar Videoschnipsel auf YouTube einsetzt, verhilft dem überlebenden Rest der Band Steinberg zu einem lukrativen Plattenvertrag. Doch wer Linda Steinberg vergiftet hat, muss Ermittler Otto Bramböck erst noch gegen unterschiedlichste Widerstände – auch der eigenen Behörde – klären. Der junge Kommissar der Wiener Mordkommission spricht wenig, ermittelt akribisch, fährt Saab und eckt bei jeder Gelegenheit bei seinen Kollegen und Vorgesetzten an.

Swingerparty à la „Eyes Wide Shut“. Bramböck muss nun unter dem öffentlichen Druck, den der ungewöhnliche Fall durch seine hohe Medienpräsenz bekommt, den Mörder des begabten, widersprüchlichen, attraktiven Opfers aus einer Reihe von Verdächtigen herausfinden: einem musikbesessenen Notar, der seine Gattin geschlagen hat, dem betrogenen Freund und Bandkollegen, der vom unverhofften Post-mortem-Plattenvertrag profitiert, der undurchsichtigen Managerin, die besessen einem hehren Kunstideal frönt und einem dubiosen amerikanischen Altstar und Lisa-Förderer, der die Band als Vorgruppe engagiert hat. Damit nicht genug, hätten auch sämtliche hochgestellte, männliche Besucher einer Swingerparty à la Schnitzler bzw. „Eyes Wide Shut“ in einer noblen Hietzinger Villa, die Lisa beim Besuch dort näher kennengelernt und erkannt haben könnte, jeden Grund, sich über den Tod der Frau zu freuen.

So weit, so bekannt, denkt man. Wie überhaupt das Personal in Oberdorfers Wien-Krimi genau das hält, was das Genre so zu versprechen pflegt: einen nur auf sein persönliches Fortkommen bedachten und zur Korruption neigenden Polizeichef, einen karrieregeilen, illoyalen Kollegen, einen politisch gesteuerten Übervorgesetzten aus dem Innenministerium und den unvermeidlichen Gerichtsmediziner, „der sich in der Rolle des zynischen, irren Pathologen eingeschweißt“ hat „wie in einen Leichensack“.

Unprätentiöse Geradlinigkeit. Doch gerade aus diesem bewussten Spiel mit den durch das Genre vorgegebenen Figuren, Rollen und Handlungsabläufen gewinnt Oberdorfer in seinem zweiten Kriminalroman jede Menge Freiheit, um genau zu beobachten, lustvoll zu erzählen und mit vielen liebevoll recherchierten Details zu überraschen. So fasziniert inmitten eines Ensembles komplexer, ziemlich wienerischer Figuren der heruntergekommene amerikanische Hardcore-Punkrocker Ron Razorblade, als dessen Vorgruppe Steinberg in der Wiener Stadthalle auftreten durfte, als eine bis zur Karikatur flach gehaltene oberflächliche Figur ohne jeden doppelten Boden. Der Ermittler Bramböck wiederum bringt den Leser mit seiner unprätentiösen Geradlinigkeit rasch auf seine Seite und erträgt die Folgen seiner rücksichtslosen Ermittlungen ohne Glaskinn und mit großer Grandezza.

So ganz nebenbei verhandelt der Autor die Frage nach der wahren, reinen Kunst. Und um so einen Fall dann auch wirklich zu lösen, kann es auch niemals schaden, wenn man James Joyce gelesen hat. Bis dahin unterhält „Schweres Gift“ auf spektakulär unspektakuläre Weise. Ein Urteil, das sich Otto Bramböck wohl auch für seine Arbeit gefallen lassen würde.

Neu Erschienen

Peter Oberdorfer
„Schweres Gift.

Ein Wien-Krimi“
Aufbau-Verlag
362 Seiten
9,80 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2015)

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