Deutscher Buchpreis: Longlist, Shortlist, . . . Bestseller!

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Am Mittwoch wird die Longlist des Deutschen Buchpreises bekannt gegeben, der zehn Jahre alt ist. Über eine umstrittene Erfolgsgeschichte.

Eine rote Strumpfhose hat Terézia Mora gestiftet, und Lutz Seiler ein Bündel fast auf Einheitslänge gespitzter Bleistifte (siehe Bild). Beide, Mora und Seiler, haben schon einmal den Deutschen Buchpreis gewonnen und für eine Jubiläumsausstellung nun Dinge gestiftet, die für sie mit diesem Preis verbunden sind, für eine Schau, die nur einen Zweck hat: dem Buchpreis eine Geschichte zu geben, und zwar eine möglichst kunstvolle, ja, einen Mythos.

Wer hätte das vor zehn Jahren gedacht? Der Deutsche Buchpreis hat allen Grund, sich auszustellen, er ist eine Erfolgsgeschichte, auch wenn sie vielen nicht behagen mag. Was deutschsprachige Leser für Romane lesen, wird heute maßgeblich von ihm mitbestimmt. Kaum einer hätte ihm das bei seiner Gründung vor zehn Jahren zugetraut. Einen einfallslosen kleinen Bruder des englischsprachigen Booker Prize schien der Börsenverein des deutschen Buchhandels damals kreieren zu wollen. Nicht der sehr alte und sehr elitäre, von Schriftstellern („den zehn“) vergebene französische Prix Goncourt war dabei Vorbild, sondern eindeutig der von einer Lebensmittelfirma 1969 gesponserte Booker, mit seiner öffentliche Spannungskurven erzeugenden Dramaturgie der Long- und Shortlist, der jährlich wechselnden Jury oder seiner publikumswirksamen Siegerkür: Sechs shortgelistete Autoren müssen sich bei einem Festakt vor Publikum anhören, wer von ihnen den Preis gewonnen hat – und sich nötigenfalls als gute Verlierer zeigen.

Wie wählen zwischen Zehntausenden?

Für Leser sind Buchpreise hilfreich. Unglaublich, aber vielleicht beneidenswert, wie wenig Auswahl man früher hatte, wollte man einen Roman lesen. Vor drei Jahrhunderten konnte man jährlich zwischen ein paar Dutzend Neuerscheinungen wählen – heute sind es zehntausende. Theoretisch. Praktisch wird die Auswahl schnell für den Konsum gefiltert: durch Literaturkritiken, Werbung, soziale Netzwerke etc. – und Literaturpreise.

In Deutschland wie auch Österreich spielt der Preis für „den besten deutschsprachigen Roman“ mittlerweile die größte Rolle von allen. Ein mediales „Wettrennen“ zwischen zwei österreichischen Autoren, dem schließlich „siegreichen“ Arno Geiger mit „Es geht uns gut“ und Daniel Kehlmann mit der „Vermessung der Welt“, um die 25.000 Euro machte den Preis schon im Debütjahr 2005 bekannt. Und dass es jedes Jahr heftige Ausfälle gegen ihn gibt, etwa über die zu „zahme“ Auswahl, macht ihn nur stärker – denn darum geht es ja: ins Gerede zu kommen, damit Bücher ins Gerede zu bringen, die dann gelesen werden – pardon, gekauft.

Alles an diesem Preis ist Kompromiss: von der Zusammensetzung der Jury (Kritiker, aber auch Buchhändler) über die Art der Urteilsfindung (kein Jurymitglied kann die fast 170 von den Verlagen nominierten Bücher lesen) bis hin zu den Wünschen an die Autoren (man will „hohe“ Literatur, aber auch „Lesbarkeit“). Man kann diesen Preis nur schätzen, wenn man ihn nicht allzu ernst nimmt – dann kann man auch seine Meriten würdigen: dass in den vergangenen zehn Jahren gute jüngere und davor unbekannte Autoren wie Arno Geiger, Julia Franck oder Katharina Hacker gefördert wurden, oder dass die Aufmerksamkeit auf „schwierige“ Romane wie Moras „Ungeheuer“, Kathrin Schmidts „Du stirbst nicht“ oder Tellkamps „Turm“ (mit fast einer halben Million verkauften Exemplaren innerhalb weniger Monate) gelenkt wurde. Nicht einmal die anfänglichen Befürchtungen, der Preis würde die Autoren zur Produktion von typischen „Buchpreisbüchern“ drängen, haben sich bewahrheitet – auch wenn die wechselnden Juroren zu (deutscher) Zeit- und Familiengeschichte(n) tendieren (Persönliches, aber zugleich gesellschaftlich „relevant“), am liebsten, wenn noch etwas Moral dazukommt.

Rebellische Autoren: Picknickt doch!

Als der „A Clockwork Orange“-Autor Anthony Burgess einst auf der Shortlist des Booker Prize stand, weigerte er sich, mit den übrigen fünf Favoriten zur Siegerkür in der Londoner Guildhall zu erscheinen, sofern sein Sieg nicht vorher feststehe. Er bekam den Preis nicht – aber was wäre gewesen, wenn doch? Der Jury hätte der „Sieger“ zum Herzeigen gefehlt, wie peinlich . . . Die Anekdote macht anschaulich, was allzu oft vergessen wird, wenn über den angeblichen Missbrauch oder gar die „Entwürdigung“ von Autoren und Büchern durch den Deutschen Buchpreis lamentiert wird: Buchpreise funktionieren nur, wenn die Autoren mitspielen. Was wäre, wenn niemand von den Autoren erschiene, zur angeblich so entwürdigenden Siegerkür im Kaisersaal des Frankfurter Römer, wo alle Autoren der Shortlist anwesend sein „müssen“? Müssten sie gar nicht, sagt der Börsenverein, Anwesenheit sei nicht Pflicht. „Macht doch stattdessen ein Picknick!“, empfahl denn auch vergangenes Jahr der für die Longlist des Deutschen Buchpreises 2014 nominierte Autor Michael Ziegelwagner seinen auf die Shortlist gelangten Kollegen. Denn „wer entmündigte Schreibschüler züchtet, soll kindische Streiche ernten“. Außerdem könnten die Favoriten für das gesamte Preisgeld einfach schon vorher eine Klassenkassa einrichten und das Geld dann aufteilen. „Schon wäre das verordnete Reglement, wonach ein Roman zehnmal so viel wert ist wie ein anderer, zumindest in monetärer Hinsicht ins Wackeln gebracht.“

Zehn Jahre Buchpreis: Fakten

Mit Markus Hinterhäuser sitzt heuer nur ein Österreicher in der jährlich wechselnden Jury. Auch der erste Preisträger war Österreicher: Arno Geiger. Nach ihm folgten u. a. Julia Franck („Die Mittagsfrau“) und Katharina Hacker („Die Habenichtse“), Uwe Tellkamp („Der Turm“), Eugen Ruge („In Zeiten des abnehmenden Lichts“), Terézia Mora („Ungeheuer“) oder zuletzt Lutz Seiler („Kruso“). Nach der am Mittwoch veröffentlichten Longlist folgt im September die Shortlist (sechs Bücher). Der Sieger wird am Montag vor der Frankfurter Buchmesse im Oktober bekannt gegeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2015)

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