Gauß: "Ich werde nie wieder nach Japan fahren"

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gauß(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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In seinem neuen Buch unternimmt Karl-Markus Gauß vor allem Gedankenreisen. Ein Gespräch auch über die Gefahr des Verkommens wie der Verbürgerlichung, über das Fälschen und den Ruhm.

"Die Presse": In Ihrem Buch "Der Alltag der Welt" zitieren Sie Paul Valéry, dessen "Cahiers" 27.000 Seiten umfassen: "Immer dieselben Gedanken seit 1894", schreibt er. Was hat Sie an diesem kreisenden Satz fasziniert? Haben Sie sich darin etwa gar gespiegelt gefühlt?

Karl-Markus Gauß: Sofern ich so hochmütig sein kann, mich in Valéry zu spiegeln, habe ich das tatsächlich dabei gefühlt. Als "Soldat der Pflicht des Schreibens" schrieb er über ein halbes Jahrhundert jeden Morgen an diesem singulären Werk, er kreiste dabei immer um Dasselbe, wurde immer lapidarer und konziser. Wenn ich mich vergleichen darf, dann so: Ich bin beim Schreiben zwar nicht soldatisch, habe aber eine recht hohe Disziplin. Das muss sein, denn ich habe sonst einen gewissen Hang zum Verkommen.


In "Alltag der Welt" sprechen Sie sogar von Faulheit. Bei einem Autor, der in den vergangenen sieben Jahren sieben Bücher veröffentlichte, wirkt das ein wenig kokett.


Peter Handke gibt pro Jahr bis zu drei Bücher heraus. Ich muss viel arbeiten, um bei mir zu bleiben. Zudem habe ich sonst nicht viele große Leidenschaften, außer die Familie und Freunde, mit denen ich mich gern zusammensetze, einmal in der Woche. Manchmal trinken wir dann zu viel, danach fällt ein halber Tag aus. Aber sonst habe ich keine aufwendigen Hobbys. Ich muss regelmäßig schreiben, weil ich mich sonst verliere. Bei uns sind inzwischen auch die Kinder aus dem Haus.

Wie wirkten diese sich auf Ihre Arbeit aus?


Sie waren für mich, wie für die meisten Väter, ein großartiges Erlebnis, aber auch als Autor ein fundamentales. Ich habe damals mit dem Schreiben Ernst gemacht. Vorher galt ich als interessierter und nicht unbegabter junger Mensch. Meine Frau, die damals für uns als Lehrerin das Geld verdiente, wollte dann doch für die Kinder zwei Jahre zuhause bleiben. Da musste ich aus den vielen Ideen, die ich hatte, etwas machen. Ich schrieb ab diesem Zeitpunkt zum Beispiel zweimal in der Woche Rezensionen für große oder kleinere Zeitungen, politische Kommentare und schließlich auch Bücher. Zuvor waren das nur Ideen in Notizbüchern. Das verdanke ich vor allem den Kindern. Und als sie ins Gymnasium gingen, lernte ich die Fächer erstmals wirklich - wenn ich die Kinder abzapfte.


Wird das hier ein großes Lob des Alltags?


Wenn man Familie hat, geht es um den Vollzug des alltäglichen Lebens. Man muss einen gewissen Rhythmus haben, ohne gleich zum Spießer zu werden. So ein Leben mit Strukturen kann sehr beglückend sein, ich sehe diesen Alltag der Welt durchaus positiv. Wenn man Kinder hat, gibt man auch eine gewisse zynische Lebensart auf. Man konfrontiert sie nicht damit, wie schlecht die Welt ist, sondern erzählt ihnen schöne Geschichten. So habe ich damals die Krankheit des Zynismus überwunden.


Waren Sie als junger Mann politisch radikaler als jetzt, damals, als Sie die Schriften des Kommunisten Ernst Fischer herausgaben?


Fischer, Viktor Matejka und Franz Marek waren doch hervorragende Geister! Wenn man mir sagt, dass ich heute weniger radikal bin als früher, freut mich das nicht. Ich glaube, dass ich noch immer eine recht scharfe Gesellschaftskritik betreibe, die, wenn man sie einordnen will, links und humanistisch ist. Leider wurde das Linke durch den Kommunismus mit seinen Millionen Opfern auf Generationen zerstört. Man kann heute keine linke Bewegung auf Reminiszenzen bauen. An Ernst Fischer interessierten mich vor allem seine Konflikte mit der KP, als er eurokommunistische Ideen entwickelte. Diese Strömung hat mich beeindruckt.


Was sagt Ihre Frau zu Ihren Texten?


Sie ist meine erste Leserin, Kritikerin dahingehend, dass ich nicht verbürgerliche. Meine Frau ist viel radikaler als ich, meine moralische Instanz.


Der erste Abschnitt Ihres Buches handelt vom Verschwinden, von Dingen wie etwa der Schreibmaschine, von Menschen . . .


Also, ich verschwinde noch nicht!


. . . ein anderer Teil ist mit "Die Apokalypse" betitelt. Zeugt das von Melancholie, Düsternis, Abschied, nachdem Sie sich kurz zuvor in dem Werk "Das Erste, was ich sah" mit Ihrer Kindheit beschäftigt haben?


Mir ist das ehrlich gesagt beim Verfassen noch gar nicht aufgefallen, obwohl ich mich für einen reflektierten Autor halte. Erst danach habe ich die Düsternis bemerkt, die tatsächlich stärker ist als in den Journalen zuvor.


Sie reisen diesmal vor allem durch Gedankenwelten, setzen sich mit Schriftstellern auseinander. Was für eine Textsorte ist das?


Ich habe bewusst auf eine Gattungsbezeichnung verzichtet. Ein Essay ist es nicht, selbst Journal nenne ich den Text nicht mehr. Ich versuche, sehr viele Genres hier zu verbinden, solche, die ich bereits erprobt habe, und auch neue. Gescheitert wäre ich, wenn die Leser sagten, man lese so dahin, kenne sich nicht aus. Es steht schon ein starkes kompositorisches Prinzip dahinter.


Auf Reisebücher bereiten Sie sich vor der Fahrt genau vor. Dieses Buch aber entstand offenbar am Schreibtisch. Ist das befreiend?


Das haben Sie richtig bemerkt. Ich führe hier gewissermaßen ein Zwiegespräch mit mir selbst und muss mir nicht einmal immer recht geben. Das ergibt eine gewisse Leichtigkeit. Einige Germanisten haben behauptet, dass ich eigentlich aufgeklärte Romane wie zu Zeiten Diderots schreibe. Das habe ich gern gehört, aber ich glaube es nicht ganz. Wenn ich einen Roman schreiben wollte, dann einen richtigen. Aber das reizt mich nicht. Zuletzt habe ich darum mit 18 Jahren gerungen. Ich habe auch keinen im Kopf. Meine Formen sind Journale und subjektive Reisegeschichten, die möchte ich weitertreiben, formal noch freier machen.


Gibt es ein Land, das Sie besucht haben, bei dem Sie nun aber sagen: "Nie wieder!"?


Ich werde nie wieder nach Japan fahren. 2007 war ich dort - eine großartige Lesereise, die ich gemeinsam mit meinem Sohn unternahm, das Erlebnis der Fremdheit pur. Ich habe das genossen, aber dort auch beschlossen, dass ich nur mehr in Europa reisen wolle. Denn ich will nirgends nur ein purer Tourist sein. Ich bereite mich auf meine Reisen mit ausführlicher Lektüre vor, weil ich von den besuchten Orten bereits zuvor eine gewisse Ahnung haben will. Bei Zielen wie Japan ist das nicht möglich, es bleibt fremd. Ich will inzwischen bei Reisen immer auch Nähe haben.


Was verbindet die Autoren, die Sie im Buch auf Ihren Gedankenreisen besuchen?


Sie spiegeln literarisch die Themen wider, die ich behandle, oder sind auch Kontrapunkte dazu. António Lobo Antunes und Ljudmila Ulizkaja etwa sind im Zwischenstück "Himmel und Hölle in der Literatur" solche Gegensätze. Was er verhöhnt, preist sie mitunter.

Wobei Sie offensichtlich Ulizkaja bevorzugen. Wen würden Sie Ihren Lesern sonst noch besonders zur Lektüre empfehlen?


Sehr hoch schätze ich David Albahari ein, einen serbisch-jüdischen Autor, der jetzt in Kanada lebt. Wunderbar witzig, teilweise unfreiwillig, immer genial sind die Briefe Hermann Brochs an verschiedene Geliebte in Amerika.


Das zentrale Kapitel handelt vom Fälschen. Ein reflektierter Autor wie Sie verarbeitet viele Gedanken, die schon da waren. Haben Sie Angst vor unbewussten Plagiaten?


Überhaupt nicht. Wenn ich irgendwann doch auch wie alle anderen das Zeitliche segne, wird man hoffentlich über mich sagen, Gauß habe nur Bücher verfasst, die er selbst hätte schreiben können. Das wäre ein schöner Grabspruch. Ich hoffe, dass ich meinen ganz eigenen Stil habe. Ob man die Bücher gut findet, ist eine andere Frage.


Sie sind auch Herausgeber und Chefredakteur. Wie requirieren Sie die Texte?


Die Autoren, sehr viele sind Freunde, lassen sich schon eher bitten. Sie drängen sich nicht auf. Außerdem möchte ich auch unbekannte Namen entdecken. Bei "Literatur und Kritik" gibt es jedes Jahr zehn bis 15 neue Namen. Andrea Grill hat zum Beispiel bei uns debütiert. Aber auch ältere Schriftsteller, die inzwischen vielleicht schon ein bisschen vergessen wurden, sollen bei uns zu ihrem Recht kommen.

Ist Ihnen Ruhm wichtig?


Ich möchte schon von vielen Menschen gelesen und nicht vergessen werden, ich will auch als Individuum wahrgenommen und besprochen werden. Ob das schon Ruhmsucht ist? Das Individuum ist doch eine große Errungenschaft unserer Zivilisation seit der Renaissance. Ich würde mir sehr wünschen, dass ich noch von viel mehr Menschen gelesen werde, es könnten schon dreimal so viel sein, obwohl ich kein völlig erfolgloser Autor bin. Ich schreibe aber auch für mich, damit ich nicht automatisch blöder werde.

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