Ausleuchtung eines Völkermords

Ein Sammelband zählt auf, was es über den Holocaust noch alles zu erforschen gibt.

Hitler, Weltkrieg, Holocaust: Kein zeitgeschichtliches Thema scheint in den Medien so omnipräsent wie die zwölf Jahre lang wütende nationalsozialistische Diktatur. Das verstärkt in Deutschland und auch Österreich das Grundgefühl, wie die in Berlin tätige Zeithistorikerin Susanne Heim schreibt, „umfassend informiert oder gar mit Informationen überfüttert zu sein“. Aber anstelle profunden Wissens werde in der medialen Aufarbeitung oft nur „eine moralische Haltung vermittelt und dadurch in der Öffentlichkeit das Gefühl der Wiederholung des allzu Bekannten nur verstärkt“.

Trotzdem: Sieht man sich die Flut an Büchern an, die in den vergangenen drei Jahrzehnten zu Verfolgung und Ermordung der Juden in Europa erschienen sind – ist da von der Forschung inzwischen nicht so gut wie alles rund um den Holocaust ausgeleuchtet?

Mitnichten, wie dieser höchst lesenswerte Sammelband ausführt. 13 Zeithistoriker von München bis Toronto, von Wien bis Jerusalem präsentieren da neueste Erkenntnisse zum Judenmord und zählen auf, wo es noch Lücken und Defizite gibt. Der Überblick, den Ulrich Herbert (Uni Freiburg) über den Stand der Holocaust-Forschung in Deutschland gibt, ragt da heraus; er nennt auch sechs Punkte, die die Forschung in Zukunft noch beleuchten sollte, um bisher Unbekanntes zu entdecken.

Sibylle Steinbacher (Uni Wien) und Dieter Pohl (Uni Klagenfurt) steuerten ebenfalls besonders lesenswerte Aufsätze zu dem Sammelband bei; die beiden gehören in der internationalen Historikerzunft inzwischen zu den anerkanntesten Experten für vergleichende Genozidforschung.

In der gegenwärtigen Geschichtsschreibung wandelt sich dabei das Bild des Holocaust von einem von Hitler-Deutschland ausgehenden Völkermord immer mehr zu einem gesamteuropäischen Genozid. Ost- und Südosteuropa als Schauplätze rücken zunehmend in den Fokus; ebenso die Täter, die nicht nur Deutsche und Österreicher waren. (b.b.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2015)

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