„Alle Farben Rot“: Rot wie Blut, Kommunisten, Liebe

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Gastland der Frankfurter Buchmesse ist in diesem Jahr Indonesien. Laksmi Pamuntjak widmet sich in ihrem Roman »Alle Farben Rot« dem dunkelsten Kapitel der Landesgeschichte.

Indonesien, Oktober 1965: Nach einem gescheiterten Putschversuch linker Offiziere, bei dem mehrere Generäle ermordet werden, holt der neue starke Mann an der Spitze des Landes zum Gegenschlag aus. General Suharto, der das Land in Form einer Militärdiktatur bis 1998 regieren wird, ruft zur blutigen Rache an der Kommunistischen Partei auf, die für den Putschversuch verantwortlich gemacht wird. Verfolgt wird von nun an jeder, der im Verdacht steht, mit den Kommunisten zu sympathisieren. Der Hass auf die Linken entlädt sich in Massakern, bei denen bis 1966 mehrere hunderttausend Menschen ums Leben kommen – andere Schätzungen sprechen von bis zu zweieinhalb Millionen Opfern.

Bis heute ist dieses Kapitel – das dunkelste in der Geschichte des Landes seit der Unabhängigkeit 1949 – ein Tabuthema in Indonesien. Wie wenig Aufarbeitung bisher stattgefunden hat, ist der westlichen Öffentlichkeit durch die preisgekrönte Dokumentation „The Act of Killing“ von Joshua Oppenheimer aus dem Jahr 2012 vor Augen geführt worden. In dem Film brüsten sich die Mörder von damals noch heute mit ihren Taten und zeichnen sie vor der Kamera detailliert nach. Die Vorführung von Oppenheimers zweitem Film, „The Look of Silence“ (2014), in dem ein Bruder eines Opfers die Täter konfrontiert, wurde in Indonesien teilweise untersagt.

Unbequeme Literatur. Vor diesem Hintergrund ist der Debütroman der jungen indonesischen Autorin und Journalistin Laksmi Pamuntjak, „Alle Farben Rot“, ein unbequemes Stück Literatur, das nun vor der Frankfurter Buchmesse, die ab dem 14. Oktober stattfindet und in diesem Jahr Indonesien als Gastland hat, auf Deutsch erschienen ist. Seit dem Ende der Suharto-Diktatur 1998 haben sich einige vorwiegend junge Autoren mit den Massenmorden der antikommunistischen Todesschwadronen auseinandergesetzt. Laksmi Pamuntjak bettet die Ereignisse in eine große Liebesgeschichte ein, die sich am berühmten indischen Epos „Mahabharata“ orientiert.

Im Zentrum steht die zum Zeitpunkt der Umbrüche politisch völlig naive Amba, die es geschafft hat, sich den Traum eines Studiums zu erfüllen. Auf Drängen ihrer Eltern lässt sie sich leidenschaftslos auf die Verlobung mit dem gut erzogenen, kantenlosen Dozenten Salwa ein. Als dieser Jakarta für ein Jahr zu Lehrzwecken verlässt, treibt es die junge Frau just in den Wochen vor dem Putschversuch nach Kediri in Ostjava. Sie übersetzt dort Fachliteratur in einem Krankenhaus und stürzt sich in eine nicht einmal drei Wochen dauernde Liebesaffäre mit dem weltgewandten, unkonventionellen Arzt Bhisma, der in Leipzig studiert hat. Für beide ist es die Liebe ihres Lebens.

Der farbenblinde Bhisma hegt Sympathien für die Linken. Durch seine Tätigkeit als Arzt gerät er immer tiefer in den Strudel der Ereignisse – und Amba mit ihm. In dem Chaos, das dem Putsch folgt, verlieren sich die beiden und sehen sich nie wieder. Bhisma verbringt den Rest seines Lebens auf der Gefängnisinsel Buru, auf der ab 1969 politische Gegner des Diktators Suharto untergebracht wurden. Erst viele Jahre später erfährt Amba von seinem Schicksal, als sie sich mit Anfang 60 nach dem Empfang eines anonymen E-Mails auf den Weg nach Buru macht, um sich auf die Suche nach ihrer großen Liebe und ihrem verpassten Leben zu machen.

„Alle Farben Rot“ ist eine einfühlsames Porträt der indonesischen Gesellschaft seit den einschneidenden politischen Umbrüchen der 1960er-Jahre. Empathisch und ohne zu starke Wertungen beschreibt Laksmi Pamuntjak darin die gesellschaftliche Dynamik, die zu den Ereignissen zu Beginn der Suharto-Diktatur geführt hat. Nach und nach entsteht in dem umfangreichen Roman ein differenziertes Bild des heute größten muslimischen Landes. Für all jene, die sich zur Frankfurter Buchmesse eine Einführung in das Gastland Indonesien wünschen, ist „Alle Farben Rot“ sicher nicht die kürzeste und leicht verdaulichste Wahl, aber es ist ein lohnenswerter Griff für alle, die einen Blick unter die Oberfläche wagen wollen.

Neu Erschienen

Laksmi Pamuntjak: „Alle Farben Rot“.
Übersetzt von: Martina Heinschke.
Ullstein Verlag, 672 Seiten, 24,70 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2015)

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