Mankell-Nachruf: Neugier, Strenge und Lebenlust

Bestsellerautor Henning Mankell (1948–2015) begeisterte sich für Afrika und engagierte sich gegen Israel. Berühmt machten ihn seine Wallander-Krimis.
Bestsellerautor Henning Mankell (1948–2015) begeisterte sich für Afrika und engagierte sich gegen Israel. Berühmt machten ihn seine Wallander-Krimis.(c) REUTERS (TT NEWS AGENCY)
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Henning Mankell, Schriftsteller, Erfinder des introvertierten Kommissars Wallander, Afrika-Kenner und moralische Instanz, starb mit 67 Jahren an Krebs.

In Afrika ist der Tod ein Teil des Lebens. Die Europäer haben Leben und Tod getrennt. Es ist Furcht einflößend, wie unsere Kultur ein Mysterium um den Tod macht. Ich halte das für eine Schwäche der europäischen Kultur.“ Das sagte Henning Mankell heuer im April in einem Interview mit der „Zeit“. Er war ein beredter Mann, scheute nicht die Medien. Er hat uns Schweden nahegebracht, seine wilde Natur und die coole Aufgeklärtheit seiner Menschen. Auch dass Erinnerung, so schmerzlich sie sein kann, besser ist als Vergessen, haben wir von ihm erfahren. Mankell wurde 1948 in Stockholm geboren. Der Vater war Richter.

Die Mutter verließ die Familie, der Sohn nahm ihr das übel – und der Vater hatte wohl seinen Anteil daran, dass das Verhältnis getrübt blieb. Die Mutter wählte den Freitod. In „Mankell über Mankell“ von Kirsten Jacobsen schildert der Schriftsteller seine schwierige Mutterbeziehung. Man staunt über die bittere Unversöhnlichkeit, mit der er die Geschichte Jahrzehnte danach kommentiert.

Anfänge am Theater

Aber Mankell hat dadurch wohl auch etwas gelernt – über Wut, Verletzlichkeit und Verantwortung. Seine Kommissar-Wallander-Reihe machte ihn zum Bestsellerautor, über 40 Millionen Bücher wurden ab 1991 verkauft. Der Halbinsel Schonen, wo der Krimi spielt, bescherte der grüblerische Ermittler einen Touristenboom. Die Millenniumskrimis von Stieg Larsson (1954–2004) mit der genialen Computer-Hackerin Lisbeth Salander wandeln auf Mankells Spuren. Dieser hatte seinerseits Konflikte mit dem Autorenduo Sjöwall/Wahlöö, Erfinder des Kommissars Martin Beck aus den 1960er/70er-Jahren, an diesen Geschichten orientierten sich die Wallander-Bücher. Maj Sjöwall warf Mankell 2005 vor, er beschreibe Zustände mit dem Holzhammer und habe keinen Humor.

Die Verfilmungen der Wallander-Romane sind zwar naturgemäß schlichter als die Bücher, aber optisch attraktiv mit ihrer Zeichnung eines gespenstisch bleichen Schwedens voller undurchschaubarer Missstände. Man denkt an den, allerdings in Alaska spielenden, großartigen Film „Insomnia“ („Schlaflos“ mit Al Pacino 2002). Die Mitternachtssonne beleuchtet eine anarchische Gegenwelt. Mankell begann am Theater, als Schauspieler, Regisseur und Intendant. 1972 reiste er erstmals nach Afrika, ein Kindheitstraum. Er fand, wie er sagte, eine vertraute Welt. Mosambik wurde seine zweite Heimat. Mit Christoph Schlingensief (1960–2010), der seine Kunst nach Afrika brachte und dort ein Operndorf errichten wollte, war Mankell befreundet. Ihm vertraute Schlingensief sein afrikanisches Vermächtnis an. Eine tiefe Melancholie über den Zustand der Welt hat den überschäumenden Aktionisten Schlingensief und den nachdenklichen Schriftsteller Mankell verbunden, politisches Gespür und wie man seine Mission inszeniert, auch humanitäres Engagement mit wenig Eigeninteresse.

Allerdings waren auch beide gut verdienende Stars in ihrem Metier. 1995 veröffentlichte Mankell den Roman „Der Chronist der Winde“, er schildert Kolonialgeschichte und Gegenwart eines afrikanischen Landes aus der Sicht eines Kindes (die deutsche Ausgabe erschien 2000). 2002 kam „Die Rückkehr des Tanzlehrers“ heraus, verfilmt mit Tobias Moretti. In dem atemberaubenden Page-Turner geht es um die bestialische Ermordung eines Ermittlers mit SS-Vergangenheit. Aus der Krimi-Schablone löst sich eine packende Parabel über späte Rache. Verzeihen ist manchmal unmöglich, wusste Mankell.

Schreiben gegen den Tod

Afrika habe, wie Mankell einmal erzählte, seine Mission als Autor geschärft: den Kampf gegen Vorurteile und Rassismus, das lauernde Böse hinter der Normalität. Wie man politische Wirkung erzielt, hat Mankell früh geübt. Er war in der schwedischen 1968er-Bewegung aktiv, beteiligte sich an Protesten gegen den Vietnam-Krieg, Portugals Kolonialkrieg in Afrika (Angola) und gegen die Apartheid in Südafrika. Eine Zeitlang engagierte er sich in der maoistischen Arbeiterpartei in Norwegen, ohne aber Mitglied zu werden.

Mankells Position zum Krieg im Nahen Osten blieb nicht unwidersprochen: Nach einer Reise durch die palästinensischen Autonomiegebiete 2009 erklärte er, die Gründung Israels 1948 sei keine „völkerrechtlich legitime Handlung“ gewesen. Angesichts der Lebensumstände der Palästinenser sei es nicht verwunderlich, dass sie sich in Selbstmordattentäter verwandeln, die Israelis würden Leben vernichten. Der Publizist Henryk M. Broder warf Mankell verschobene Maßstäbe vor. Andreas Breitenstein meinte in der „Neuen Zürcher Zeitung“, Mankell betreibe „auf der Basis historischen Halbwissens einen selbstgefälligen linken Moralismus“. Im Mai 2010 nahm Mankell an der „Ship to Gaza 2010“-Aktion des Free Gaza Movement teil, Israels Marine tötete mehrere Aktivisten. Mankell blieb unverletzt. Anschließend rief er zu globalen Sanktionen gegen Israel auf.

Mankell war eine Instanz. Mit der Zeit wurde er eine Art Vaterfigur für alle, denen Moral wichtig ist. Immer wieder verwies er auf den humanistischen Standpunkt, auch in scheinbar unlösbaren Konflikten. An diese Haltung dürfen wir uns dieser Tage erinnern.

Aber Mankell war auch ein Querkopf, wie seine Helden. Tatsächlich sind es ja brüchige Heldengestalten, Menschen in einem ewigen Widerspruch, denen Leidenschaften im Guten wie im Bösen, Laster und Liebessucht, nicht fremd sind. Schreiben gegen das Sterben, das ist ein häufiges Phänomen, nicht nur bei Literaten. Es ist eine Art Selbstvergewisserung.

„Treibsand. Was es heißt, ein Mensch zu sein“, Mankells letztes Buch, das auch eine Geschichte ist, erschien Ende September bei Zsolnay. Darin schreibt er: „Wir können so viele Überlebensstrategien entwickelt haben, wie wir wollen, aber die elementare Kraftquelle, die uns erfolgreich macht, sind unsere Lebenslust und Lebensfreude. Wenn man diese mit einer ständig lebendigen Neugier und Wissbegierde paart, erhält man ein Bild der vollkommen einzigartigen Fähigkeit des Menschen.“ Mankells Einzigartigkeit bleibt unbestritten.

Zur Person

Henning Mankell. Der Erfinder des Kommissars Wallander war dreimal verheiratet, in erster Ehe mit einer Norwegerin, zuletzt mit der Theaterregisseurin Eva Bergman, einer Tochter des Filmregisseurs Ingmar Bergman („Das siebente Siegel“, „Szenen einer Ehe“). Mankell hatte vier Söhne. Sein Großvater trug den gleichen Namen wie er und war Komponist. Das von seinem Vater, einem Richter, geerbte Hofgut in Sveg hat Mankell 2009 dem Schwedischen Dramatikerverband vermacht. Wenig bekannt ist, dass Mankell auch Kinderbücher schrieb: „Das Geheimnis des Feuers“, „Der Junge, der im Schnee schlief“. In seiner Wahlheimat, Mosambik, hatte Mankell auch ein Theater.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2015)

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