Julia Engelmann: ”Ich bin Happy-End-affin“

Frohnatur.  Will ein guter Mensch sein: Poetry-Slammerin Julia Engelmann.
Frohnatur. Will ein guter Mensch sein: Poetry-Slammerin Julia Engelmann.(c) Marta Urbanelis
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Ein Gespräch mit Poetry-Slammerin Julia Engelmann über Poetry
Slam im Internet, ehrliche Texte und positives Denken.

Eines Tages, Baby, werden wir alt sein und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können.“ Julia Engelmanns Poetry-Slam-Beitrag „One Day/Reckoning Text“, der um diese Zeile aufgebaut ist, klagt die Entscheidungsschwäche ihrer Generation an und begeisterte vergangenes Jahr im Internet Massen mit dem lebensfrohen Aufruf: „Los, schreiben wir Geschichten, die wir später gern erzählen!“ Denn als ein Blogger Engelmanns Beitrag als Video online stellte, wurde dieses auf YouTube Millionen Mal aufgerufen. Die dreiundzwanzigjährige Poetry-Slammerin, Pyschologiestudentin und Schauspielerin aus Bremen ergriff beherzt die Möglichkeiten, die ihr dieser plötzliche Erfolg bot: Sie tourte, veröffentlichte ein Buch – und schrieb weiter. So legt sie nun mit „Wir können alles sein, Baby“ ihre zweite Textsammlung vor, von der sie dem „Schaufenster“ vorab erzählt.

Wie ging es Ihnen, als Anfang 2014 Ihr Poetry-Slam-Text zu einem Internetphänomen wurde, Millionen Ihr Video teilten?
Es war aufregend, ich habe viel Herzklopfen gehabt, wenig geschlafen. Es war eine der größten Überraschungen, die in meinem Leben passiert sind, deswegen denke ich gern daran.

Sie sind kürzlich vor über 5000 Leuten bei Best of Poetry Slam in Hamburg aufgetreten. Warum mögen so viele dieses Format?
Ich kann nur sagen, warum ich gern hingehe. Ich mag, dass es abwechslungsreich und authentisch ist, es hat etwas Nahbares, anders als Theater oder Konzerte. Außerdem ist man involviert, ich glaube, das mögen andere auch. Sie können abstimmen, teilhaben.


Sie haben zur Zeit des Internet-Hypes viel Anerkennung erhalten, aber auch Kritik geerntet. Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich bin mit meiner Mutter eine Woche ans Meer gefahren und habe kein Internet eingeschaltet, das hat gutgetan. Ich versuche, bei mir zu bleiben, dann zu schauen, auf wessen Meinung ich etwas gebe.


Sie verwenden zur Verbreitung Ihrer Texte selbst Twitter und Facebook, haben eine Online-Kolumne beim „Stern“. Glauben Sie, dass das Internet großes Potenzial für literarische Texte birgt?
Das Internet erweitert und verändert Literatur vielleicht und ist eine Plattform, Gedanken und Möglichkeiten schnell zu teilen. Also wäre es aus meiner Sicht unlogisch, es nicht zu benützen.


In einem neuen Text schreiben Sie: „Oh Internet, look at what you’ve done, dass ich kein Deutsch mehr sprechen kann.“
Ich finde es extrem spannend zu sehen, wie sich meine Sprache durch das Internet verändert. Dieser Text, der eigentlich ein Alphabet aus Anglizismen ist, enthält nur einen Bruchteil der Sachen, die ich im Alltag verwende, und trotzdem denke ich, dass ich Deutsch spreche. Aber vom Gefühl her bin ich halbe Amerikanerin.


Trotz Ihres Erfolgs mit Poetry Slam im Web haben Sie mittlerweile zwei klassische Bücher geschrieben. Warum?
Ein Buch zu veröffentlichen war schon immer ein Traum von mir. Ich glaube nicht, dass sich das widerspricht, es gibt ja trotzdem ein E-Book und vielleicht ein Video dazu. Aber ein Buch, das man verschenken, mitnehmen und stromlos lesen kann, ist etwas Schönes.


Gibt es einen Unterschied zwischen den Texten, die Sie bei
Poetry Slams vortragen, und den Texten in den Büchern?
Im ersten Buch waren Texte versammelt, die ich für die Bühne geschrieben hatte, seit ich mit siebzehn mit Poetry Slam angefangen habe. Beim neuen Buch ist es anders. Ich habe innerhalb eines Jahres mehr oder weniger still geschrieben, es kennt bis jetzt nur eine Handvoll Menschen alle Texte. Ich habe jetzt teilweise auch nicht für die Bühne geschrieben, stillere und kürzere Texte, Haikus.


Ihr erstes Buch hat vom Erwachsenwerden und vom Finden des Lebensweges gehandelt, ist das im neuen Buch wieder der Fall?
Erwachsenwerden wird immer ein Thema für mich bleiben. Sicher habe ich seitdem mehr erlebt und mich bestimmt verändert, trotzdem bleiben meine Fragen und Gefühle ähnlich. Aber es geht auch um anderes, um Beziehungen, Freundschaft, Themen, die mich beschäftigen, etwa wie wichtig es mir ist, für mich selbst da zu sein.


Beziehen sich die Texte auf Ihr eigenes Leben oder Ihr Umfeld?
Ich schreibe nur über mich. Ich finde das am spannendsten, Fiktion, Geheimnisse und schwer zu verstehende Sachen gibt es genug. Also versuche ich so ehrlich zu sein, wie ich kann.


Lassen Sie sich von Büchern oder Musik inspirieren?
Für das neue Buch haben vor allem meine Gedanken, das, was ich erlebt habe, und Musik eine Rolle gespielt. Ich höre eigentlich immer Musik, meistens ein Lied vier Stunden hintereinander, wenn ich an einem Text sitze, und erstelle Playlists für Stimmungen und Themen, die heißen so ähnlich wie „Buch jetzt“ oder „Spät am Abend schreiben“. Interpreten, die ich unter anderem mit meinem Buch verbinde, sind Alt-J oder Damien Rice, ein wichtiges Lied ist etwa David Bowies „Heroes“.


Bei Ihnen nehmen auch die traurigsten Texte am Schluss eine positive Wendung. Sind sie ein sehr optimistischer Mensch?
Ich bin sehr Happy-End-affin. Ich will nicht akzeptieren, dass Sachen schlecht ausgehen, solange ich etwas dagegen unternehmen kann. Trotzdem bin ich auch melancholisch und so weiter.


Wie hat Ihre Familie das, was Sie machen, geprägt? Ihre Mutter ist Glückspsychologin, kommt davon Ihre Carpe-diem-Haltung?
Auf jeden Fall. Meine Familie hat einen riesigen Anteil an meinem Leben und meiner Person, demnach auch an meinen Gedanken und meinen Texten. Sie ist mir unfassbar wichtig.


Sind Sie sehr träumerisch? „Wir können alles sein“ beschreibt ein „Willy-Wonka-Ticket“ in eine schöne, fantasievolle Welt.
Ich bin träumerisch, insofern ich denke, dass jeder alles sein kann.


Wie viel sind Sie jetzt von dem, das Sie immer sein wollten?
Die Krux ist, dass ich mich gegen Sachen entscheiden muss und gleichzeitig vieles möchte. Für mich heißt alles zu sein, dass ich Prioritäten setze, wer ich am meisten sein möchte, und dann daran glaube, dass ich das schaffe. Auf abstraktere Dinge bezogen: frei sein, glücklich sein, voller Tatendrang sein und so weiter.


In Ihrem neuen Buch befindet sich eine To-do-Liste mit Plänen und Träumen. Was davon soll in nächster Zeit wahr werden?
Meine größten Ziele sind die abstrakten Sachen. Mich selbst zu verwirklichen, ein guter Mensch zu sein. Als Nächstes werde ich auf Tour gehen und hoffentlich mehr eigene Musik machen. Vielleicht sehe ich mir die Polarlichter an. Sonst bin ich gerade ganz glücklich mit den Sachen, die ich erlebe.


Wie sieht das Bühnenprogramm aus, mit dem Sie bald touren werden – es wird ja kein Poetry Slam sein?
Ich trage Gedichte vor, vielleicht aus beiden Büchern, spiele Gitarre und singe dazu und beantworte Fragen.

Tipp

Buch. „Wir können alles sein, Baby“, ab 19. 10. bei Goldmann Taschenbuch. Tourstopp in Wien: 16. 2.

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