Als persische Muslime von Paris träumten

Roman „Der Kalligraph von Isfahan“.
Roman „Der Kalligraph von Isfahan“.(c) C.H.Beck Verlag
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Eine von Ludwig XIV. gesandte Frau befeuert im Roman „Der Kalligraph von Isfahan“ die Fantasien der Perser: Amir Hassan Cheheltan über Irans alte Liebe zu Frankreich, Wein als Zensurgrund und das Ringen um den „sanften“ Islam.

So schön wie Isfahan sei Paris, vielleicht noch schöner!, erzählen sich die Leute im Roman „Der Kalligraph von Isfahan“. Ein größeres Kompliment konnten Perser im 18. Jahrhundert einer Stadt nicht machen. Isfahan, die damalige persische Hauptstadt, war ein Prachtort. Die herrlichen Moscheen, die die Dynastie der Safawiden dort errichten ließ, kann man heute noch in der Millionenstadt bewundern. Und dennoch: Vielen Bewohnern von Isfahan gilt Paris in diesem Roman als Stadt der Träume. Und als Frau der Träume: eine ganz bestimmte Pariserin.

IS-Terroristen haben Frankreichs Hauptstadt, wie im Bekennerschreiben im Internet zu lesen war, als Hauptstadt der Dekadenz, als Sündenpfuhl angegriffen. Der grandiose iranische Romancier Amir Hassan Cheheltan erinnert in seinem historischen Roman an eine ganz andere Seite des Verhältnisses von Muslimen im Nahen Osten zu Frankreich: an die große Liebe zu diesem Land, die im Iran eine lange Tradition hat. Nur in deutscher Übersetzung ist das wunderbare, soeben im Beck Verlag erschienene Buch erhältlich. Wie bisher die meisten Werke des in Teheran lebenden Autors kann es in dessen Heimat, in seiner Muttersprache Farsi, nicht veröffentlicht werden, das verhindert die Zensur.

Die wunderschöne „Fränkin“

Die wunderschöne Pariserin, von der sich die Menschen im Roman alle möglichen Geschichten erzählen, ist auf dem „berühmtesten Stück von Isfahan“ zu sehen, dem „Teppich mit dem Bild der Fränkin“, der eine wichtige Rolle im Roman spielt. Sie heißt Marie Petit und war vor Jahren als Mitglied einer vom „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. entsandten französischen Delegation in Persien. Diese rätselhafte Frau ist, erfährt der junge Protagonist Allahyar zu seinem grenzenlosen Erstaunen, seine Mutter.

„Der Iran hatte immer eine besondere Verbindung zu Frankreich“, erzählt Cheheltan im Gespräch mit der „Presse“. „Anders als England hatte Frankreich keine kolonialistischen Ziele im Iran“. 1715 empfing Ludwig XIV., bereits todkrank, pompös den ebenfalls pompös einziehenden persischen Gesandten Mohammad Reza Beg; dieser blieb monatelang und faszinierte die Franzosen, auch die Literaten: Montesquieu zeichnete wenige Jahre nach diesem Besuch in seinen „Lettres Persanes“ („Persische Briefe“) ein satirisches Bild der französischen Gesellschaft aus der Sicht zweier Perser. Teheran wurde gern als „Paris des Nahen Ostens“ bezeichnet, auch mit politischer Konnotation. „Das erste Parlament in der Region gab es im Iran 1906, es wurde durch eine Revolution erzwungen“, erinnert Cheheltan. „1979 wurde die Monarchie gestürzt. Wir hatten mehrere Revolutionen im 20. Jahrhundert. Die iranische Literatur ist eine einzige Krisen-Erzählung.“

Cheheltan lebt in Teheran, kann aber seine Bücher dort nicht veröffentlichen. Allein schon dass der junge Allahyar, die Hauptfigur des Romans, zu Beginn heimlich bei Armeniern Wein holen geht, für die Lieblingsfrau des Schahs, geht den Zensoren zu weit. „Wenn Alkohol vorkommt, muss man diese Stellen streichen. Dabei ist die klassische persische Dichtung so voll von Wein, dass einem die Finger nass werden, wenn man das Papier berührt. Außerdem erzähle ich von Erotik, Tanz und kritisch vom Fundamentalismus, das ist alles tabu.“

Ein Perser als Symbol des sanften Islam

Das Ringen zwischen den verschiedenen Strömungen des Islam ist ein Hauptthema des Romans. „Was sich im 18. Jahrhundert im Iran abspielte, passiert jetzt in größerem Maßstab im ganzen Nahen Osten“, sagt Cheheltan. „Wir hatten immer schon gegensätzliche Kulturen innerhalb einer Religion. Der Sufismus repräsentiert die friedliche Denkweise des Iran und hat bei uns eine reiche Tradition, auch wenn sie immer wieder bekämpft wurde und derzeit wieder bekämpft wird. Die Derwische werden bei uns verfolgt, ihre Gebetshäuser und heiligen Stätten werden zerstört.“

Der berühmte Sufi-Mystiker und Dichter Rumi war ein Perser. In „Der Kalligraph von Isfahan“ besitzt die Titelfigur, Allahyars Großvater, die einzige Abschrift von Rumis Hauptwerk, „Mathnawi“. Es ist den strengen Geistlichen ebenso sehr verhasst wie der Teppich der schönen Fränkin.

Die Iraner wüssten nicht, was es heiße, Iraner zu sein, weil sie von ihrer reichen Geschichte abgeschnitten seien, heißt es im so fabelhaften wie schmerzlich zu lesenden Roman „Iranische Dämmerung“. Die ebenfalls soeben erschienene deutsche Übersetzung dieses älteren Romans ist die erste vom Autor autorisierte vollständige Ausgabe. Zwar ist er im Iran erschienen und wurde 2007 zum besten Roman des Jahres gekürt; doch Cheheltan lehnte die Auszeichnung wegen dessen Verstümmelung durch die Zensur ab.

„Ich bin nicht nationalistisch, aber der Iran ist in dieser Region einzigartig“, sagt er, „er ist das einzige Land mit einer historischen Identität.“ Die terroristischen Attentäter seien Entwurzelte. „Es ist wohl kein Zufall, dass man unter ihnen keinen Iraner findet. Weil die Kultur es ihnen nicht erlaubt.“

Auf jeden Fall verhindert sie nicht die politische Repression. Warum bleibt Cheheltan trotzdem? „Ich weiß nicht, warum ich so unglaublich an diesem Land hänge, es ist etwas Atmosphärisches. Als ich jung war, dachte ich, es sei wegen meiner Eltern. Jetzt habe ich beide Eltern verloren und merke, dass sich nichts geändert hat. Der Iran hat für mich die Gestalt eines Hauses, er ist mein Arbeitsraum, mein Schlafzimmer.“

Zur Person

Amir Hassan Cheheltan, geboren 1956 in Teheran, lebte immer wieder im Ausland und lebt mittlerweile wieder in Teheran, wo er aufgrund der Zensur kaum publizieren kann. Zuletzt wurde ihm sogar die Neuauflage bereits veröffentlichter Werke verboten. In deutscher Übersetzung sind fünf Romane erschienen: „Teheran Revolutionsstraße“, „Iranische Dämmerung“, „Amerikaner töten in Teheran“, „Teheran, Stadt ohne Himmel“ und „Der Kalligraph von Isfahan“ (Verlage: Kirchheim bzw. Beck). Er war anlässlich von „Literatur in Herbst“ in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2015)

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