Al-Aswani: „Die Ägypter sind andere geworden“

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SPAIN LITERATURE(c) EPA (Guido Manuilo)
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Nationale und islamistische Faschisten „reichen sich unter dem Tisch die Hand“, sagt Alaa al-Aswani – doch die Angst sei verschwunden: Ein Gespräch über sein Land nach der Revolution.

Die Presse: Ihr Roman „Der Jakubijân-Bau“ über ein Haus in Kairo machte Sie weltberühmt. Auch Ihr jüngster Roman hat ein Gebäude im Zentrum, den Automobilclub von Kairo in den 1940er-Jahren. Ein Versuch, das Heute mit Vergangenem zu erklären?

Alaa al-Aswani: Ein Roman beginnt bei mir nicht mit einer Idee, eher mit einem Gefühl. Mein Vater war Anwalt des Automobilclubs. Er nahm mich in sein Büro mit, ich lernte das Dienstpersonal kennen. Das waren lauter Leute, die noch unter dem König gedient haben. Sie liebten ihn! Das hat sich mir sehr eingeprägt, und eines Tages fühlte ich mich fähig, diese Welt, die ich als Kind gespürt hatte, wiederauferstehen zu lassen.

Sie lieben es, in eng umgrenzte Räume eine ganze Welt hineinzusetzen . . .

Ja, Räume sind so voll von menschlicher Geschichte. In dem Hotelzimmer, in dem wir gerade sind, hat vielleicht ein Mann seine spätere Frau zum ersten Mal gesehen oder jemand sich entschieden, sein Leben zu ändern. Viele Schriftsteller vor mir haben ja Räume zu Hauptfiguren gemacht, wie Balzac, Ivo Andrić mit „Die Brücke über die Drina“, Joseph Roth mit „Hotel Savoy . . .

Oder ein berühmter Österreicher, Heimito von Doderer, in „Die Strudlhofstiege“, kennen Sie das Buch?

Nein, aber ich will es unbedingt lesen!

Was haben Sie als Kind in Kairo gelesen?

Mein Vater war schon Schriftsteller, Schriftsteller und Jurist, so wie ich jetzt Schriftsteller und Zahnarzt bin. In Ägypten müssen alle Autoren einen zusätzlichen Job haben, um leben zu können, sogar der große Nagib Mahfuz hat lange für die Regierung gearbeitet. Die wichtigsten Schriftsteller und viele andere Künstler gingen bei uns ein und aus. Ich hing sehr an meinem Vater, ich war sein einziges Kind. Er hat mir viel zu lesen gegeben und immer gesagt, was ich lesen soll und was nicht, zum Beispiel, dass ich Dostojewski erst lesen soll, wenn ich groß bin. Das habe ich getan, mit 19 habe ich Dostojewski zum ersten Mal gelesen. Er hat mein Leben verändert. Er ist viel mehr als ein Dichter, er war ein Prophet. Aber schon seit ich neun war, war es mein einziger Traum, Romane zu schreiben.

Ihre Figuren wirken unglaublich lebendig. In „Der Automobilclub von Kairo“ kommen sie sogar in die Welt des Autors und sagen ihm, was er alles falsch beschrieben hat. Haben Sie auch das Gefühl, nicht Herr Ihrer Erfindungen zu sein?

Ja, Schreiben hat etwas Organisches, es gehört dem Leben an, nicht der Theorie. Wenn ich einen neuen Roman schreibe, erfinde ich 50, 60 Seiten lang die Geschichte – und dann sehe ich nur noch zu, was weiter passiert. Ich weiß genau, was ich schreiben muss, aber nicht warum, so, wie wenn ich mich in eine Frau verliebe – da weiß ich auch nicht, warum gerade in sie. Schreiben ist überhaupt dem Leben ähnlich – nur dass das Leben auf dem Papier viel tiefer, bedeutsamer, schöner ist. Es gibt für mich nichts Schöneres auf der Welt, als so ein Leben zu kreieren.

Sie waren 2004 ein Mitbegründer der „Es reicht“-Bewegung gegen Mubarak, 2011 dann eine prominente Figur der Revolution. Ist die ägyptische Revolution für Sie ein potenzielles Romanthema?

Ich schreibe gerade an einem Roman über die Revolution! Er wird heißen „Die Als-ob-Republik“ – weil in einer Diktatur alle so tun, als wäre real, was sie inszenieren, aber das ist es nicht. Es beginnt mit den Wahlen und endet im Alltag, die ganze Gesellschaft wird heuchlerisch dadurch. Die Revolution hat versucht, diese Kluft zwischen Fassade und Realität zu überbrücken.

Politische Interviews lehnen Sie aber ab.

Ich sehe mich nicht als politisch. Der Kampf für Demokratie ist etwas viel Grundsätzlicheres: eine Befreiungsbewegung. Sobald wir in Ägypten Demokratie haben, werde ich mich nicht mehr mit Politik beschäftigen. Politik ist nicht Aufgabe des Schriftstellers – die Verteidigung der Freiheit schon. Wenn er in einem Land lebt, in dem Menschen sterben, weil sie für Menschenrechte auf die Straße gegangen sind, darf er nicht zu Hause bleiben. Alle Schriftsteller müssen in diesem Sinn Revolutionäre sein, ihr Schreiben ist ein Akt der Revolution.

Seit dem Sturz des Muslimbruders Mohammed Mursi ist wieder das Militär an der Macht, die Bürgerrechte sind nach wie vor sehr eingeschränkt. Wie fällt Ihre Bilanz vier Jahre nach der Revolution aus, was hat sich wirklich verändert?

Vieles. Die Macht versucht, die alten Formeln zu wiederholen, aber es funktioniert nicht mehr, die Menschen sind andere geworden. Die wahre Revolution verläuft ja langsam und ist nicht eine politische, sondern eine menschliche Veränderung – die politische Ergebnisse bringt. Und das ist in Ägypten passiert. Wer früher Angst hatte, mit einem Offizier zu reden, selbst wenn er nichts getan hatte, fürchtet sich nicht mehr. Im Lauf der Revolution haben sich selbst die, die auf die Revolutionäre geschossen haben, ihnen angenähert. In allen Bereichen, sogar innerhalb einer einzigen Familie, findet man jetzt zwei Standpunkte, einen alten und einen revolutionären. Und wir haben viele neue Gesetze, gerade die Frauen betreffend. Es gibt keinen Schritt mehr zurück.

Vorkämpfer einer nationalen und einer religiösen Diktatur kämpfen seit Jahrzehnten gegeneinander um die Macht in Ägypten. Haben diese Gegner nicht mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede?

Und wie! Sie ähneln einander, in der Art, die Frauen zu sehen, die Kopten, die Demokratie . . . Diese zwei Diktaturen brauchten einander, so konnte der eine sagen: Ich kann euch die Demokratie nicht geben, weil es die anderen gibt, die so gefährlich sind. Unter dem Tisch aber geben sie sich die Hand! Das ist widerlich. Bei den Muslimbrüdern hat sich seit 1928 ein immer gleiches Muster wiederholt: Zuerst sind sie für Demokratie eingetreten. Dann haben sie sich vom Regime vereinnahmen lassen, gegen die Demokratie. Schließlich hat die Diktatur sie nicht mehr gebraucht und ins Gefängnis gesperrt. Und zuletzt hat man sie befreit, und alles ist wieder von vorne losgegangen. Das war von der Zeit des König Faruq I., in der mein Roman spielt, bis zu Mubarak so. Und warum? Weil es nicht wirklich Gegensätze zwischen ihnen gibt. Der Konflikt kommt nur daher, dass es zwei Personen gibt – und nur einen Sessel.

ZUR PERSON

Alaa al-Aswani (* 1957) gehört zu den bedeutendsten ägyptischen Schriftstellern. Sein Roman „Der Jakubijân-Bau“ (2002) wurde im arabischen Raum ein Bestseller und machte ihn auch im Westen berühmt. Er war Wortführer der 2004 begründeten Bewegung Kifaya – Es reicht gegen Mubarak und der ägyptischen Revolution 2011. Auch in Österreich wurde er schon geehrt: 2007 erhielt er für die deutsche Übersetzung von „Der Jakubijân-Bau“ den Bruno-Kreisky-Preis für das Politische Buch. [ EPA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2015)

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