Wolfgruber: Dieser ganze Literaturzirkus

(c) Jung und Jung
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„Das Waldviertel war damals ein Notstandsgebiet“ – Gernot Wolfgruber über seinen ersten Roman und über die Befreiung vom Druck, ständig zu publizieren.

Seit seinem Debüt sind 34 Jahre vergangen, doch Gernot Wolfgrubers Roman „Auf freiem Fuß“, der soeben wieder neu aufgelegt wurde (Jung und Jung), bewegt noch immer mit seiner präzis erzählten Geschichte eines Scheiterns. Wie empfindet der 64-jährige Autor die Wiederbegegnung? „Ich habe die Druckfahnen gelesen, bis auf einige orthografische Details wurde nichts geändert. Und es hat sich auch in der Realität, die der Roman im Blick hat, bis heute nichts wesentlich verändert, wie ich meine. Das Waldviertel, wo der Roman spielt, war damals ein Notstandsgebiet am Rande, und auch wenn die Grenze zur Tschechei nun offen ist, sind doch die Lebensbedingungen der Menschen dort die gleichen geblieben. Jetzt, in der ökonomischen Krise, kommt die alte Scheiße wieder deutlich zum Vorschein: die verschärfte Arbeitslosigkeit mit allen ihren menschenzerstörenden Folgen.“

Auch wenn der Roman, obwohl das immer wieder kurzsichtig behauptet werde, keine Autobiografie sei, habe Wolfgruber sehr viel an eigenen Erfahrungen verarbeitet. „Ohne diese Erfahrungen wäre es unmöglich gewesen, so ein Buch zu schreiben, ohne alle die Details und Zusammenhänge, die man nicht erfinden und die ein Außenstehender einfach nicht sehen kann.“

Verbiegen und verbogen werden

In seinem Roman wollte er sichtbar machen, wie ein junger Mensch seine ersten Schritte in die Welt der Erwachsenen hinein geht. „Und diese Erwachsenenwelt ist nun einmal, auch wenn die Literatur das gerne vergisst, in erster Linie einmal eine Welt der Arbeit. Und was dem Jungen dort geschieht, wie er sich verbiegt und wie er verbogen wird auf seinem Weg in diese Welt, das wollte ich deutlich zeigen, wobei Weg und Welt, wie könnte es anders sein, nicht das Freundlichste, das Menschengerechteste gewesen sind.“

In den Siebziger- und Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts hat Wolfgruber seine großen Werke veröffentlicht. Es folgten neben kürzeren Texten, Fernseh- und Hörspielen die Romane „Herrenjahre“ (1976), „Niemandsland“ (1978), „Verlauf eines Sommers“ (1981) und „Die Nähe der Sonne“ (1985) – Longseller. Dann aber wurde es ruhig um den Schriftsteller, dessen Entwicklungsromane stilprägend neben denen des früh verstorbenen Franz Innerhofer und Josef Winklers waren, die ein realistisches Bild vom Leben auf dem Land boten.

Warum gab es diese lange Phase der Zurückhaltung? „Im Literaturbetrieb herrscht ein ziemlich großer Druck, ständig zu publizieren. Mindestens alle zwei Jahre soll man ein Buch herauslassen. Aber ich wollte mich einfach nicht darum kümmern, mich von etwas so Literaturfremdem nicht dirigieren lassen. Und je länger ich nichts publiziert habe, umso weniger habe ich den Druck zur Veröffentlichung gespürt. Ich habe gemerkt: Ich kann ganz gut ohne den ganzen Literaturzirkus und seinen Druck leben. Und auch schreiben“, sagt Wolfgruber. „Denn weitergeschrieben habe ich selbstverständlich. Ob allerdings das Buch noch zu meinen Lebzeiten erscheinen würde oder erst posthum, war mir eine Zeit lang völlig egal.“

„Es wird ein größerer Roman“

Was wird das für ein Werk? Und wie lebt der Schriftsteller heute? Wolfgruber: „Es wird ein größerer Roman. Aber bevor ich ihn veröffentliche, sage ich nichts dazu. Ich will ihn mir nicht totreden, und ich will schon gar nicht dem, was ich vielleicht öffentlich sage, hinterherrennen müssen. Jedenfalls ist dafür sehr kontinuierliche Arbeit und Disziplin vonnöten. Lange Zeit habe ich so gut wie jeden Tag daran gearbeitet, sehr konsequent und so, wie ein anderer täglich ins Büro geht. Wenn man einen Roman schreiben will, kann man nicht darauf warten, dass einen die Muse küsst. Dazu braucht es Sitzleder und, vor allem, Geduld.“ Auch wenn ihm das tägliche Schreiben längst zur Gewohnheit geworden sei, die er nicht mehr loskriege. „Der Blick verändert sich dadurch. So, wie ein Fotograf Motive sucht, suche ich nach Sätzen, die sich zu dem um mich herum und in mir sagen lassen.“

Vorübergehend vergessen und aufatmen

Und der Alltag? „Man hat sehr viel zu tun, wenn man die meiste Zeit allein lebt und versucht, alles selber zu machen. Und wenn man so ausgiebig mit dem Rad fährt, wie ich das – schon wieder eine Gewohnheit – fast täglich tue. Das habe ich nötig, weil es für mich, wie sich gezeigt hat, die einzige Möglichkeit ist, all das, womit ich mich am Schreibtisch herumschlage, vorübergehend zu vergessen und aufzuatmen. Nichts macht den Kopf so angenehm leer wie das Radfahren. Eine wohltuende Blödheit auf Widerruf.“

Auf die neue Rezeption seines erstes Buches ist Wolfgruber sehr gespannt: „Ich bin schon neugierig, wie das funktionieren wird. Am 9. Juli lese ich zur Eröffnung der O-Töne im Museumsquartier (im Haupthof des MQ, 20.45 Uhr, Anm.). Da gibt es meist ein junges Publikum; wer weiß, wie das auf meinen Text reagiert.“

„O-TÖNE“: LESUNG IM MUSEUMSQUARTIER AM 9.JULI

Gernot Wolfgruber wurde am 20.12.1944 in Gmünd geboren, sein Vater fiel im Krieg. Nach einer Lehre war Wolfgruber in diversen Berufen tätig, er machte daneben die Externistenmatura. Schon während des Studiums (Publizistik und Politologie) entstand sein erster Roman, seit 1975 ist Wolfgruber freier Schriftsteller. Er lebt seither in Wien.

Sein Erstlingswerk wurde soeben neu herausgegeben: „Auf freiem Fuß“ (Verlag Jung und Jung, 180 Seiten, 20 Euro).

Zu den Klassikern der zeitgenössischen österreichischen Literatur zählen „Herrenjahre“ (1976) und „Niemandsland“ (1978). Diese beiden Romane wurden auch verfilmt.

Bei „o-töne“ im Wiener Museumsquartier wird der Autor am 9. Juli 2009 aus seinem ersten Roman lesen. Zuvor musizieren ab 20Uhr im Haupthof Ernst Molden und Willi Resetarits. Ihre neue CD heißt „Ohne Di“.

Bis 27. August wird jeweils am Donnerstag um 20.30 Uhr im MQ aktuelle österreichische Literatur geboten: Melitta Breznik, Verena Roßbacher, Walter Kappacher und Thomas Stangl, Peter Rosei, Franzobel, Robert Menasse sowie Wolf Haas.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2009)

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