Erica Jong: Die Angst vor dem Unsichtbarwerden

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Mit „Fear of Flying“ löste die New Yorkerin Erica Jong in den 1970er-Jahren einen kleinen Skandal aus. Nun schreibt sie über die Panik vor dem Altern und die unstillbare Lust an Abenteuern in den späten Jahren.

Es gibt Begriffe, die man drehen und wenden kann, und doch verlieren sie bei der Übersetzung ihren Charme. Als Erica Jong 1973 mit ihrem Roman „Angst vorm Fliegen“ (Original: „Fear of Flying“) einen ebenso überraschenden wie umstrittenen Bestseller landete, beschrieb sie darin spontanen, unbekümmerten Sex mit einem unbekannten Mann als „Zipless Fuck“. In der deutschen Übersetzung wurde daraus der unschöne Begriff „Spontanfick“. Das klang viel derber als der Originalausdruck, der den Moment umschreiben wollte, in dem sich „Reißverschlüsse lösen wie fallende Rosenblätter“.

Die Autorin hatte später nicht nur mit dem überwältigenden Erfolg dieses Romans zu kämpfen, der sich mit keinem ihrer weiteren Bücher wiederholen sollte, sondern auch mit den Reaktionen der Leser, wie sie erzählt: „Die Menschen sind so besessen von Sex. Viele dachten: ,Meine Güte, in dem Buch geht es um Sex‘, sie haben das Buch aber nie gelesen.“ Tatsächlich ging es in „Angst vorm Fliegen“ nicht nur oder nur sehr wenig um Sex, und wenn, war er vorwiegend Fantasie der frustrierten Hauptfigur und Autorin Isadora Wing, die mit einem impotenten Psychoanalytiker verheiratet war und ebenso Angst vor Flugzeugen wie vor sexuellen Höhenflügen hatte. „Der ,Zipless Fuck‘ war ein reines Gedankenspiel meiner Erzählerin.“

Um Sex geht es wieder nur am Rande

Vier Jahrzehnte sind seither vergangen, eines davon hat Erica Jong an ihrem neuen Roman geschrieben, „Angst vorm Sterben“, der lose an das Buch von damals anknüpft. Eigentlich wollte sie Isadora Wing erneut (wie in drei weiteren ihrer Romane) zur Protagonistin machen, „aber ich konnte ihre Stimme nicht mehr finden“. Also wurde Vanessa Wonderman, eine Schauspielerin in ihren Sechzigern, zur Erzählerin, doch Wing taucht als deren weise beste Freundin auf. Und auch den „Zipless Fuck“ zitiert Jong selbstironisch: Ihre Erzählerin Vanessa sucht auf der Online-Datingplattform Zipless.com nach möglichen Sexualpartnern, da ihr um einiges älterer, sehr wohlhabender Ehemann sie nicht mehr befriedigen kann. Doch auch diesmal gilt: Um Sex geht es hier nur am Rande, im Zentrum steht vielmehr das Verblassen der Jugend und der Anziehungskraft älterer Frauen, das Altern und Sterben der eigenen Eltern, das Heranwachsen der Enkel. Vanessa Wonderman ist geradezu besessen davon, ihren Alterungsprozess aufzuhalten, rennt zu allerlei Ärzten, Wunderheilern und bedauert, „die Macht über Männer verloren zu haben, die ich einst hatte“.

Der „Spiegel“ schrieb 1976 – als „Angst vorm Fliegen“ auf Deutsch erschien – von „einem schockierenden Roman“. Liest man das Buch heute wieder, stutzt man längst nicht mehr bei der freizügigen, offenen Sprache einer jungen, sexuell gierigen Frau, die damals noch so ungewöhnlich erschienen ist. Schon eher über den Ausgang des Buchs (Isadora kehrt nach einer Affäre reumütig zu ihrem Ehemann zurück), aber vor allem erstaunt und amüsiert einen die bissige Art, mit der Jong die Österreicher („die Nazihexe im Dirndl“) und die Deutschen beschrieben hat. Denn die Handlung spielte über weite Strecken in Wien (Der erste Satz geht so: „In der Pan-Am-Maschine nach Wien befanden sich 117 Psychoanalytiker, und mindestens sechs von ihnen hatten mich behandelt. Einen siebenten hatte ich geheiratet.“) Als in New York geborene Jüdin, die selbst mit einem Psychiater verheiratet war, lebte Jong eine Zeit lang in Heidelberg und besuchte regelmäßig Wien. „Damals wurde mir bewusst, wenn ich nicht in New York geboren worden wäre, wäre ich vermutlich tot.“

Jongs Bücher behandeln banale Dinge, die jeder selbst erlebt hat, und sie sind das, was die „New York Times“ spitz „juicy reading“ nennt. Aber ihre Kunst ist es, das Banale so direkt, ungeschminkt auszusprechen und mit Satire zu garnieren, das es gar nicht erst peinlich wird. Vielleicht auch deshalb wurde ihr neues Buch in den USA wohlwollend aufgenommen. Die heute 73-Jährige habe der Generation der Babyboomer eine längst fällige Stimme gegeben. Vielleicht werde man Frauen in ihren Sechziger- und Siebzigerjahren jetzt mit einem anderen Blick sehen. Unabhängige Frauen seien ihr Lebensthema“ sagt Jong, die in eine Familie von extrem starken Frauen geboren wurde. Mutter und Tante waren begabte Malerinnen, die Großmutter erlebte die ersten freien Wahlen für Frauen, „und ließ sich ihr Lebtag nur von Ärztinnen behandeln“.

Wie in Jongs früheren Büchern verschwimmen auch in „Angst vorm Sterben“ autobiografische und fiktive Elemente. „Meine Eltern waren keine Antiquare, ich bin nicht Schauspielerin, aber die Gefühle sind meine.“ Sie gibt zu, dass sie selbst lang große Schwierigkeiten mit dem Älterwerden gehabt habe. „Ich habe mir ständig Gedanken gemacht, wie ich aussehe.“ Weil sie beobachtet habe, dass sich niemand mehr für die Filme, Kunstwerke oder Romane von Frauen interessiere, sobald sie nicht mehr jung und hübsch sind. Es sei Zeit, dass sich das ändert.

AUF EINEN BLICK

Erica Jong (*1942) wurde 1973 schlagartig durch ihren Roman „Angst vorm Fliegen“ berühmt, der zum Teil in Wien angesiedelt ist. Das Buch verkaufte sich 27 Millionen Mal, wurde in 40 Sprachen übersetzt. Der Hauptfigur Isadora Wing begegnen wir in Jongs neuem Roman „Angst vorm Sterben“ (Verlag S. Fischer, ab 25. 2.) als beste Freundin der Erzählerin wieder. Jong ist zum vierten Mal verheiratet, hat eine erwachsene Tochter und lebt in New York.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2016)

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