Der geheimnisvolle Liebhaber

Ein Mann, der nicht greifbar ist: Johanna Adorj´an und ihr Roman „Geteiltes Vergnügen“.
Ein Mann, der nicht greifbar ist: Johanna Adorj´an und ihr Roman „Geteiltes Vergnügen“. Joachim Gern
  • Drucken

Die Kulturjournalistin und Autorin Johanna Adorján schildert im Roman "Geteiltes Vergnügen" eine schwierige Beziehung auf Distanz, die sich schließlich verläuft. Eine elegante Sache.

Gleich zu Beginn erfährt man, dass es schon vorbei ist: das Verhältnis zwischen Tom, einem aus New York stammenden Geiger, und Jessica, einer deutschen Journalistin und Autorin. Nach längerer Zeit laufen die beiden einander über den Weg. Für einen kurzen Moment, schildert Johanna Adorján aus Jessicas Perspektive, „ruhte sein Blick auf mir, aber es schien keine besondere Erinnerung daran geknüpft zu sein. Dann murmelte er ,See you around‘, drehte sich um – und war fort.“

Tom wirkt am Ende der Geschichte entzaubert, verloren, mehr verzweifelt als anziehend, doch eines ist er immer noch: schemenhaft und unergründlich. So wie ganz zu Beginn, als Jessica und er sich auf einer Geburtstagsfeier kennenlernen. Die Nacht ist warm, sie registrieren einander, sie mag ihn gleich: „Er hatte eine angenehme Stimme und eine Art, rasant in Sätze hineinzustolpern und sie dann mittendrin abzubrechen, als hinge ein verlängerter Gedankenstrich in der Luft.“ Beim nächsten Zufallstreffen küssen sie sich, später landen sie im Bett.

Ist er ihr Freund? „Geteiltes Vergnügen“ schildert das kurze gemeinsame Jahr von Jessica und Tom. Wobei, gemeinsam? Der Titel trifft das Verhältnis der beiden: In der Sexualität sind sie sich nahe. Jessica fühlt sich begehrt und hingezogen. Doch in der Außenwelt werden die beiden nie ein richtiges, „fixes“ Paar.

Adorjáns Roman ist eine aus der Sicht von Jessica erzählte Chronik des schwierigen Verhältnisses der beiden. Eine Schlüsselszene ist jene, als Tom Jessica eröffnet, dass er weiterhin Sex mit seiner Exfreundin, die ebenfalls den Namen Jessica trägt, haben wird. Als sie sich erkundigt, ob er das künftig nicht vielleicht unterlassen wolle, „hob er beide Hände, lächelte entschuldigend und schüttelte den Kopf. Take it or leave it, sagte sein ganzer Körper, so bin ich nun mal. Und da ich nicht gewillt war, ihn so schnell wieder aufzugeben, dachte ich um.“

Die Erzählung ist denn auch weniger eine Annäherung an Tom – er bleibt bis zum Ende ungreifbar –, als eine Chronik des angewandten Umdenkens von Jessicas Seite. Jessica ist plötzlich in der undankbaren Position der Wartenden; sie ist diejenige, die ihr Handy stets auf laut gestellt hat, „sogar nachts“, wie wir erfahren; sie ist auf Abruf verfügbar, wenn Tom sich spontan nach „a couple of days“ wieder meldet; und sie analysiert ihr Tom-Problem in vielen Sitzungen mit einer Psychotherapeutin, die ihr als Medium erklärt, dass ihr Liebhaber einfach viel Freiraum brauche.

Nicht mehr ganz so junge Leute. Adorján kennt das Milieu ihrer Charaktere sehr gut, das spürt man auf jeder Seite und in jedem Dialog. Sie ist vertraut mit der großstädtischen kreativen Klasse, mit jenen nicht mehr ganz so jungen Männern und Frauen Ende 30, Anfang 40, die – wie manchmal behauptet wird – „mitten im Leben“ stehen, und dabei so oft daneben. Mit jenen, für die es vielleicht zu spät für eine Familie mit allem Drum und Dran ist: wie eben Jessica, deren langjährige Beziehung zu Nicolas unsanft zu Bruch ging, die eine Fehlgeburt hatte und trotz ungeschütztem Sex mit Tom nicht schwanger wird – oder wie eben Tom, der sich um seine sterbenskranke Mutter rührend kümmert, aber sonst die Unverbindlichkeit sexueller Eskapaden mit unbekannten Frauen (und die Vertrautheit der Exfreundin) den Verpflichtungen einer Partnerschaft vorzieht.

Schon in ihrem Buch „Meine 500 besten Freunde“ wechselte Adorján elegant zwischen Nähe und Distanz: Geschichten über die Berliner Schickeria – Menschen, die man kennt, aber doch nie so ganz. „Geteiltes Vergnügen“ geht viel näher heran. Das ist mitunter schmerzhaft – und manchmal liefert die Autorin fast zu detaillierte Schilderungen des Beziehungsfortschritts (oder -verfalls), die es gar nicht brauchte. Der Leser weiß längst, dass dieser Mann weniger geheimnisvoll ist, als Jessica glaubt. Irgendwann kommt der Punkt, an dem sie sich distanziert, und Tom – bleibt, wie er ist. Als er eines Tages an Jessica vorübergeht, hält sie ihn nicht mehr an.

Neu Erschienen

Johanna Adorján
„Geteiltes Vergnügen“
Hanser Berlin
204 Seiten
20,50 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.