Ronja von Rönne: (K)eine Heldin unserer Zeit

Ronja von Rönne schickt in ihrem ersten Roman ihre Protagonisten auf die Suche nach dem Glück.
Ronja von Rönne schickt in ihrem ersten Roman ihre Protagonisten auf die Suche nach dem Glück. Carolin Saage
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Bachmann-Preis und "Bussi, Baby": Die Journalistin Ronja von Rönne provoziert um der Provokation willen. Und darüber hinaus? Ihr Romandebüt ist eine trost- und belanglose Sinnsuche.

Eine Selbstdarstellerin ohne wirkliche Botschaft – außer jener des Antifeminismus: So ist Ronja von Rönne vor einem Jahr im deutschsprachigen Feuilleton aufgepoppt. „Feminismus ekelt mich an“, schrieb die 23-Jährige, und: „Ich bin keine Feministin, ich bin Egoistin.“ Darauf folgte ein über Aufregung nicht hinausgehender Auftritt beim Ingeborg-Bachmann-Preis und einer in dem „Bussi, Baby“-Musikvideo der Wiener Band Wanda.

In der öffentlichen Wahrnehmung ist die „Welt“-Kolumnistin Rönne dabei so etwas geworden wie das deutsche Bad Girl – eine Antithese zum deutschen Good Girl, personifiziert zum Beispiel durch Popsängerin Lena Meyer-Landrut. Deutschlands Good Girls lächeln viel und kichern laut, trinken Prosecco, mögen Goethe und Pro7, machen Yoga und essen nie (oder wenn, dann nur heimlich).

Deutschlands Bad Girls sind wie Deutschlands Good Girls, nur mit ein paar mehr Abgründen abseits der Unterernährung: eine Therapie vielleicht, Kokainkonsum, ein Kindheitstrauma, weil das Bad Girl auf dem Land aufwuchs. Richtige tiefe, interessante Abgründe sind das aber auch nicht, also zumindest nicht so interessant, dass man darüber Romane schreiben sollte.


Egoismus im Extrem.
Nora, die Protagonistin von „Wir kommen“, ist dem Bad Girl Rönne nicht unähnlich, und so vergisst man manchmal, dass man hier keine Autobiografie, sondern einen Roman in den Händen hält. Nora ist jung, wohnt in der Stadt, kommt vom Land, versucht (offenbar erfolgreich, sie hat eine Managerin) in der Fernsehbranche Fuß zu fassen. Nachdem sie vom Tod einer Jugendfreundin erfährt, beginnt sie eine Psychotherapie – und schreibt, passenderweise, ab diesem Zeitpunkt ihre Tagesabläufe minutiös auf.

Schlafen, rauchen, trinken, sich nach einer Zweierbeziehung sehnen, obwohl sie sich bewusst gegen eben diese und für ein Vierergespann bestehend aus Exfreund, aktuellem Freund und Freundin des Exfreunds (zur selben Zeit Affäre des aktuellen Freunds) entschieden hat. Die Gemeinschaft als Erweiterung des egoistischen Ichs. Als der aktuelle Freund, Jonas, tagelang schweigend im Bett liegt, schafft Nora es nicht, mit ihm zu sprechen. Schrieb nicht schon Michail Lermontow 1840 in seinem Roman „Ein Held unserer Zeit“: „Man kann die Menschen und ihre schwachen Seiten nicht kennen, wenn man sich sein Leben lang allein mit sich beschäftigt.“ Lermontows Protagonist Petschorin war gelangweilt vom Leben – und doch getrieben, rastlos. Seine größte Faszination: er selbst.

Nora und Petschorin sind Geschwister im Geist: „Wir kommen“ ist hauptsächlich Selbstreflexion. Noras tägliche Sinnsuche ist trostlos, und sie liest sich auch so. Nur alle paar Seiten taucht ein Satz auf, der einem recht kurzes Lesevergnügen bereitet, wohl genauso, wie ein heller Gedanke nur selten in der Flut an Belanglosem in Noras Hirn glänzen darf. Angeblich ist Sommer in der Erzählzeit, sie fühlt sich aber an wie ewiger, grauer November.

Rönne thematisiert ein stetes Fühlen, bloß nie Handeln; ein Nachdenken über das Unausgesprochene und was es hätte bewirken können, wäre es über die Lippen gekommen. Fast unerträglich ist die Trägheit der Charaktere, die wahnsinnig viel wissen, aber aus ihrem Wissen nicht viel mehr machen – und selbst das wissen sie. Ein Buch wie eine Bekanntschaft, die Trübsal bläst, der man über Kaffee und Kuchen Ratschläge gibt, die sie dann aber erst recht nicht hören will: zu schön das Leid, zu schön das Gefühl, einen Zuhörer gefunden zu haben.

Nichts ist mehr echt. „Unsere Beziehung ist eine einzige Imitation irgendwelcher Filme, und wenn wir uns streiten, dann halt noir“, sagt Nora über sich und Jonas. Nichts ist mehr echt, nichts kann mehr neu entdeckt, neu gemacht werden, weil es alles schon einmal gab. Auch dieses Gefühl kannte schon Lermontow: „Lohnt es sich nach alledem noch, zu leben? Doch lebt man – aus Neugier; man erwartet etwas Neues . . . Es ist lächerlich und ärgerlich!“ Etwas Neues bietet „Wir kommen“ leider nicht.

Neu Erschienen

Ronja von Rönne
„Wir kommen“
Aufbau-Verlag
208 Seiten
19,50 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2016)

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