Die Kunst, einen Caesar zu schmähen

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Catull zielte mit seinen Schmähgedichten gegen Julius Caesar tief unter die Gürtellinie, so wie arabische Männer gegen ihre Frauen oder Feinde: Über die alte Welt der Invektiven - kleine literarische Rundreise zur Böhmermann-Affäre.

Harmlos wirkt es auf den ersten Blick, das elegische Distichon des römischen Dichters Catull: Nil nimium studeo, Caesar, tibi velle placere/Nec scire, utrum sis albus an ater homo“ – „wenig kümmert es mich, o Cäsar, dir zu gefallen,/Ob du bist weiß, ob schwarz, dieses auch kümmert mich nicht.“ Dabei haben es die zwei Verszeilen in sich. Schon das Wort für „gefallen“, „placere“, löste bei den Zeitgenossen auch erotische Assoziationen aus, und definitiv obszöne das Begriffspaar „weiß“ und „schwarz“: Beim Sex von Männern mit Männern wurde der passive Part als weiß, der aktive als dunkel bezeichnet. Der Dichter greift also ordentlich unter die Gürtellinie, wenn er die Frage, ob Caesar „albus“, „weiß“ sei, offenlässt; erwachsene „passive“ Männer wurden verachtet.

Schmähgedichte schneiden mit feiner Klinge – wie hier – manchmal am schärfsten. Nicht immer. Wenn die Verfasser wollten, dass die Spatzen ihre Spottverse von den Dächern singen beziehungsweise die Straßenjungen im alten Rom, musste der Text zumindest inhaltlich derb und simpel sein. So wie das zum Politikum gewordene Erdoğan-Gedicht von ZDF-Moderator Jan Böhmermann. Nicht die Form, aber das inhaltlich Primitive verbindet es mit einigen der berühmtesten Schmähgedichte der Weltliteratur. Kein Wunder: In der Invektive, wie man sie nach dem Wort „invehi“ für „schmähen“ nannte, ging es darum, mit allen Mitteln eine bestimmte Person so weit wie nur möglich herabzusetzen. Haarsträubende Übertreibungen und Unwahrscheinlichkeiten sind da geradezu zwingendes Gattungsmerkmal, ebenso wie „tiefste“ Vergleiche.

Beleidigendes aus dem Schlafzimmer

So ist in anderen Invektiven gegen Caesar von den „unverschämten Lustmolchen“ Caesar und Mamurra die Rede; und dass Mamurra (ein Günstling Caesars) „die Betten aller wie ein weiser Täuberich“ durchwandere. Erstaunlich, dass Caesar trotzdem versuchte, sich mit dem Verfasser dieser Zeilen zu versöhnen, und ihn dafür auch großzügig zu sich einlud. Die Tonart war damals nicht unüblich, die Römer stöberten besonders gern im Schlafzimmer des Gegners, wenn sie ihn beleidigen wollten. Hehre Motive hatten sie dabei nicht unbedingt. Catull, ein wohlhabender und vermutlich ziemlich unpolitischer Bürger, hat Caesar wohl aus persönlichen Gründen attackiert.

Genauso wie der für seine Spottgedichte berühmte griechische Lyriker Archilochos im 7. Jahrhundert v. Chr. einen Mitbürger. Es ist wohl eher Legende, dass er die Familie eines Mädchens, das er nicht heiraten durfte, mit seinen Versen in den Selbstmord trieb, jedenfalls rächte er sich aber verbal bitter an ihrem Vater. Auch seine fein gefeilten Gedichte auf bekannte Zeitgenossinnen waren heftig. Besonders gern griff Archilochos zu Tiervergleichen. Die in der Aufklärung gern zur Kindererziehung verwendete Tierfabel hat bei ihm begonnen – als Schmähgenre.

Wann ist ein Gedicht Satire, wann Invektive? Aristoteles unterschied zwischen (guten) Tadel- und (schlechten) Spottgedichten. Erstere wollen den anderen durch Kritik bessern; in den Spottgedichten geht es nur darum, den anderen möglichst herabzusetzen. Letzteres hat auch in der arabischen Lyrik große Tradition. Viele arabische Gedichte aus der vor- und der frühen islamischen Zeit waren Schmähgedichte, meist gegen gegnerische Stämme gerichtet; etwa dieses: Temim kennt den Weg zur Schande so gut, wie der Kranich den Weg zur Flut; aber den Weg der Ehre und Scham, wenn es gehen soll, so ist es lahm. Wenn sie sehen einen Floh auf dem Rücken einer Laus, so rufen sie: ein Reiter, oh! und reißen miteinander aus.“Der Dichter Baschschar Ibn Burd, jahrelang Vertrauter des Abbassiden-Kalifs, wurde im 8. Jahrhundert wegen eines Gedichts gegen den Kalifen (mit dem Vorwurf, er lasse den Wesir regieren und kümmere sich nur um fleischliche Freuden)zu Tode geprügelt. Beliebt waren auch obszöne Schmähverse über die eigenen Frauen.

Skandinavische „Scheltdichter“

Vermutlich aus Angst vor als Lob getarnten Gemeinheiten waren im Island des 12. Jahrhunderts nicht nur Verleumdungs-, sondern auch Lobgedichte verboten. Schmähgedichte blühten im nordischen Raum. Die Skalden, Sänger-Dichter an skandinavischen Fürstenhöfen, haben, vermutet man, sogar ihren Namen davon, waren ursprünglich „Scheltdichter“. Sie konnten die Ehre anderer so verletzen, dass die Rache dafür oft tödlich war.

Ein Schmähgedicht wie das folgende sei in Deutschland nicht erlaubt, hat Jan Böhmermann am 31. März betont – bevor er eben dieses Gedicht im ZDF rezitierte und genüsslich alle möglichen deutschen Amtspersonen in Verlegenheit brachte; im öffentlichen Rundfunk, in den Gerichten, in der Regierung. Und natürlich den türkischen Präsidenten, der im eigenen Land die Medien gängelt, in der Böhmermann-Affäre nun aber zur Witzfigur wird. Böhmermann steht nun unter Polizeischutz, das klingt gefährlich, heißt aber auch, er wird geschützt. In der Geschichte des Schmähgedichts gegen Mächtige ist das höchst unüblich. Catull war als angesehener Bürger und Standesgenosse Caesars eine Ausnahme; Invektiven gegen Herrscher waren in der Regel lebensgefährlich und wurden meist anonym verfasst. So gesehen hat Böhmermann dem Genre des Schmähgedichts ein erfrischendes neues Kapitel hinzugefügt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2016)

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