"City on Fire": Eine Stadt wie keine andere

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Garth Risk Hallberg hat sechs Jahre an "City on Fire" gearbeitet. Entstanden ist ein großer amerikanischer Roman, ein Abgesang auf die 70er-Jahre und ein Kniefall vor New York.

In der Silvesternacht, die das Jahr 1977 einläutet, wird ein junges Mädchen im New Yorker Central Park angeschossen und schwer verletzt. Während Samantha Cicciaro ihr Leben bis zu dem Punkt aushaucht, an dem es nur noch ein Wachkoma ist, verknüpfen sich rund um sie bis dato lose Fäden zu einer Tapisserie, die dann in der Nacht des zweiten großen Blackouts am 13. Juli 1977 in Flammen aufgeht: Immobilienspekulation und Punk, Hell's Angels und Kunst, Feuerwerk und Verfall, Homosexualität und Reichtum. Garth Risk Hallberg (37) hat daraus „City on Fire“ gestaltet, einen ambitionierten, großen amerikanischen Roman mit vielen Protagonisten, aber nur einer wahren Diva: New York, der Stadt wie keiner anderen.

„Risk“ (Risiko) ist nicht nur ein Teil von Hallbergs Name, sondern offenbar auch sein Lebensmotto. Die literarische Fama erzählt, dass er (neben seinem Broterwerb) sechs Jahre in einem Raum verbrachte, um sein Opus Magnum zu schreiben. Dabei blieb er auch, als er schon nicht mehr glaubte, dass das Buch jemals publiziert werden würde. Doch Amerika hat Talent für Happy Ends: 2015 gab es eine Auktion, „City on Fire“ wurde für zwei Millionen Dollar verkauft, die Filmrechte gleich dazu, und Garth Risk Hallberg schoss als literarische Rakete ins All, befeuert von Vergleichen mit Donna Tartts „Der Distelfink“ und Tom Wolfes Epos der 1980er-Jahre „Fegefeuer der Eitelkeiten“.

Bilder voller Strahlkraft. „City on Fire“ ist keine leichte Kost, der Weg in den Roman nicht ganz einfach. Hallbergs Sprache ist teilweise spröde, mit fulminanten Bildern, deren Strahlkraft sich erst auf den zweiten Blick erschließt. Ein Kompliment gebührt hier dem Übersetzer Tobias Schnettler. Außerdem taucht Hallberg tief in das New York der 1970er-Jahre ein, mit vielen Anspielungen, die dem europäischen Leser fremd sein dürften.

Auch die Personen treten anfangs alle gleichberechtigt und – noch – zusammenhanglos auf. Da sind zum einen die steinreichen Erben des Hamilton-Sweeney-Imperiums, die einander entfremdeten Geschwister William III und Regan. William ist Maler, homosexuell, drogensüchtig, charismatisch und berühmt-berüchtigt unter seinem Alias Billy Three-Sticks, unter dem er mit der Band „Ex Post Facto“ die New Yorker Punk-Szene aufmischte, bis ihn der mysteriöse und unberechenbare Nicky Chaos verdrängte. Williams Schwester, Regan, ist eine essgestörte Neurotikerin, Mutter von William IV und Cate. Sie arbeitet im Familienunternehmen mit und hat sich gerade wegen einer Affäre von ihrem Mann, Keith Lamplighter, getrennt.

Dazu kommen Mercer Goodman, Williams Partner, ein Schwarzer aus dem Süden der USA, der als Literaturlehrer an einer Mädchenschule arbeitet und erfolglos an einem Roman schreibt, die Mitglieder von Williams Punk-Band, der Feuerwerkskünstler Carmine Cicciaro und seine Tochter, Samantha (das Opfer des Mordversuchs im Central Park), ihr Freund, Charlie Weisbarger, der seinen toten Adoptivvater betrauert, der alkoholsüchtige Journalist Richard Groskoph und der behinderte Polizist Larry Pulaski. Über allem schwebt die bösartige Präsenz von Armory Gould, dem „Dämonenbruder“, der über seine Schwester, Felicia, der neuen Stiefmutter von William III und Regan, den Weg in die Hamilton-Sweeney-Familie gefunden hat.

Verrottet und pulsierend. Hallberg bringt diese losen Fäden kunstfertig zu einem Tableau zusammen. Immer schneller springt die Erzählung zwischen 1960 und 1977 vor und zurück, erklärt, erhellt, gewinnt deutlich an Spannung. Viele Kritiker empfanden das Buch als zu lang, doch das trifft nur auf die ersten Seiten zu. Eine besondere Stärke ist die Einfühlsamkeit und die atmosphärische Dichte, mit der Garth Risk Hallberg alle Facetten des New Yorks der 1970er-Jahre schildert (das er selbst nicht erlebt hat): einer dem Verfall preisgegebenen Stadt, voller No-go-Zonen, ausgebeutet, kriminell, mit dramatischen sozialen Gegensätzen, gleichzeitig voller Leben und Kreativität, einzigartig – „die Stadt, die nicht anzusehen wie der Tod wäre“.

Neu Erschienen

Garth Risk Hallberg: „City on Fire“
Übersetzt von Tobias Schnettler,
S. Fischer, 1080 Seiten, 25,70 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2016)

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